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Haftstättenverzeichnis

Zwangsarbeitslager / Zivilarbeitslager

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Abschied ukrainischer Mädchen von ihren Angehörigen vor ihrem Abtransport nach Deutschland, Mai 1942

Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-B119867; Foto: Knödler

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Neben Kriegsgefangenen und Häftlingen der Konzentrationslager sowie anderer Lager und Gefängnisse mussten rund 8,5 Millionen ausländische Zivilarbeiter zwischen 1939 und 1945 für den NS-Staat Zwangsarbeit leisten. Bis Herbst 1941 wurden sogenannte Zivilarbeiter vor allem in der Landwirtschaft eingesetzt, danach zunehmend auch in der Rüstungsindustrie sowie in anderen kriegswichtigen Industrien, schließlich in fast allen Arbeitsbereichen –von Einzelhaushalten über mittelständische Unternehmen bis hin zu Großbetrieben. Die größte Gruppe der männlichen und weiblichen Zivilarbeiter stammte aus der Sowjetunion, gefolgt von Menschen aus Polen und Frankreich. Mehr als die Hälfte der zur Zwangsarbeit eingesetzten polnischen und sowjetischen Zivilarbeitskräfte waren Frauen; viele der Verschleppten waren noch minderjährig. Der nationalsozialistischen Rassenideologie gemäß waren die Lebens- und Arbeitsbedingungen der ausländischen Zivilarbeiter nach einer rassistischen Hierarchie gestaffelt: Ihre Unterbringung reichte von einfachen Barackenunterkünften, die vor allem für westeuropäische Zivilarbeitskräfte vorgesehen waren, bis hin zu umzäunten Lagern für polnische und sowjetische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter.

Hintergrund für die Einrichtung der Zivilarbeiterlager war der Bedarf an Arbeitskräften für die Rüstung und andere kriegswichtige Industriezweige während des Zweiten Weltkrieges. Da arbeitsfähige Männer zum Kriegsdienst eingezogen waren und die Dienstverpflichtung für ledige Frauen wenig erfolgreich war, sollten stattdessen ausländische Arbeitskräfte zum Einsatz kommen, obwohl dies im Gegensatz zur nationalsozialistischen Weltanschauung stand, nach der die Beschäftigung „Fremdvölkischer“ im Reichsgebiet eine Gefahr für die „Rassenreinheit“ des deutschen Volkes bedeutete. Aufgrund des Arbeitskräftebedarfs im Deutschen Reich hatte die Anwerbung ausländischer Zivilarbeiter bereits vor Beginn des Krieges eingesetzt. Nach Kriegsbeginn warb Deutschland dann in größerem Maßstab ausländische Arbeitskräfte in den besetzten Gebieten für den „Reichseinsatz“ an, zunächst in Polen, bald auch in den besetzten westeuropäischen Ländern sowie in den mit dem Deutschen Reich verbündeten Staaten. War der Arbeitseinsatz der ausländischen Zivilarbeiter zunächst freiwillig, so wurde vor allem in Polen und später der Sowjetunion bereits nach kurzer Zeit Zwang und Gewalt bei der Rekrutierung von Arbeitskräften ausgeübt. Hintergrund dafür war, dass die Bereitschaft der Bevölkerung, zum Arbeitseinsatz nach Deutschland zu gehen, rapide abnahm, nachdem die schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen der Zivilarbeiter im Deutschen Reich bekannt geworden waren. In Polen wurden bereits im Frühjahr 1940 regelrechte Menschenjagden zur Rekrutierung von Arbeitskräften durchgeführt. Hatte die deutsche Führung wie auch die deutsche Bevölkerung den Einsatz von Arbeitskräften aus der Sowjetunion zunächst abgelehnt, begann nach Scheitern des „Blitzkrieges“ in der UdSSR 1942 auch die massenhafte, von Anfang an gewaltsam verlaufende Rekrutierung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern aus der Sowjetunion. In zweieinhalb Jahren wurden über 2,5 Millionen Menschen aus der UdSSR zum Arbeitseinsatz ins Reich verschleppt. Die Zivilarbeiter waren bis auf wenige Ausnahmen in Lagern untergebracht, die über das gesamte Reichsgebiet verteilt waren. Ihre Anzahl wird auf über 20.000 geschätzt. Ebenso gab es außerhalb des Reichsgebietes Zivilarbeitslager, faktisch überall dort, wo die Wehrmacht Gebiete besetzt hielt. Deportationen von Zivilarbeitern und Kriegsgefangenen waren dabei an der Tagesordnung: So wurden in Norwegen neben Kriegsgefangenen und inhaftierten jugoslawischen Partisanen auch männliche und weibliche Zivilarbeiter zu Bauarbeiten eingesetzt, zum Teil aus Norwegen, daneben auch aus dem besetzten Osteuropa.

Die Lebensbedingungen in den Zivilarbeiterlagern waren sehr unterschiedlich. Abgesehen von Handlungsspielräumen der Lagerleitung spielte die NS-Rassenideologie bei der Gestaltung des Haftbedingungen die maßgebliche Rolle: Während die Lebens- und Arbeitsbedingungen westeuropäischer Arbeitskräfte zumindest anfangs noch weniger restriktiv waren, hatten Lager für die als „fremdvölkisch“ klassifizierten osteuropäische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter von vornherein den Charakter von Haftstätten. Lager für osteuropäische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter waren umzäunt und Bewacht, die Inhaftierten durch besondere Abzeichen an der Kleidung („P“ für Polen, „OST“ für „Ostarbeiter“, die Bezeichnung für sowjetische Zivilarbeiter) gekennzeichnet. Bei geforderter höherer Arbeitsleistung wurden sie schlechter verpflegt als westeuropäische Arbeitskräfte, durften weder Radio hören noch Zeitung lesen und keinen Kontakt zur deutschen Zivilbevölkerung pflegen. Schwere körperliche Arbeit, Repressionsmaßnahmen, mangelhafte Ernährung, fehlende medizinische Versorgung sowie katastrophale sanitäre Bedingungen führten zu Unterernähung, Entkräftung und im Verlauf des Krieges regelmäßig zum Tod von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern. Vor allem zum Ende des Krieges waren die Haftbedingungen in diesen Lagern überwiegend mit denen in Konzentrationslagern vergleichbar. Neben jüdischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern hatten vor allem diejenigen aus der Sowjetunion und Polen die schlechtesten Überlebenschancen, da ihre im nationalsozialistischen Jargon bezeichnete „Vernutzung“ während des Arbeitseinsatzes nicht nur kalkuliert hingenommen wurde, sondern aktiv als „Vernichtung durch Arbeit“ im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauungspolitik durch das Deutsche Reich betrieben wurde.

Literaturauswahl:

Herbert, Ulrich. Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches. Berlin/Bonn 1985.

Ottosen, Kristian. Arbeits-und Konzentrationslager in Norwegen 1940-1945. In: Bohn, Robert et al. (Hg.). Neutralität und totalitäre Aggression. Nordeuropa und die Großmächte im Zweiten Weltkrieg. Stuttgart 1991, S. 355-368.

Spanjer, Rimco; Oudesluijs, Diete & Meijer, Johan (Hg.). Zur Arbeit gezwungen. Zwangarbeit in Deutschland 1940-1945. Bremen 1999.

Spoerer, Mark. Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939-1945. Stuttgart/München 2001.