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Alles kalter Kaffee? Unterlagen zur DDR-Lebensmittelindustrie erschlossen

18.10.2023

Erschließung

Benutzung

Lebensmittelwagen der Handelsorgansiation in Berlin-Hohenschönhausen, 19. Mai 1954

„Kalter Kaffee“ kritzelte Kurt Westphal, Minister für Lebensmittelindustrie der DDR, 1957 auf das Schreiben eines Fachverlags, nachdem sich der Druck eines Sonderhefts zu Verpackungsmaterialien verzögert hatte. „Kalter Kaffee“ – das mag auch denken, wer sich heute mit den Unterlagen zur DDR-Lebensmittelindustrie beschäftigt. Wie wenig diese Einschätzung zutrifft, durften jetzt 19 angehende Archivarinnen und Archivare feststellen, die den Bestand während ihres verkürzten Vorbereitungsdienstes erschlossen haben: Betreut von dem für die DDR-Überlieferung zuständigen Fachreferat BE 5, haben die Anwärterinnen und Anwärter fast 2000 Akten – rund 54 Regelmeter – aus der Zeit von 1953 bis 1958 verzeichnet und so für die Nutzung durch Forschung und Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Das Ministerium für Lebensmittelindustrie wurde keine Woche vor dem Aufstand des 17. Juni 1953 gegründet und war zuständig für die Lenkung der volkseigenen Lebensmittelbetriebe. Zuvor hatte der von der SED vorangetriebene „Aufbau des Sozialismus“ nach sowjetischem Vorbild zu einer schweren Versorgungskrise geführt. Erst auf Druck aus Moskau lenkte die Parteiführung ein und verkündete einen „Neuen Kurs“: Er sah vor, die Versorgung der Bevölkerung zu verbessern, um einen Zusammenbruch des politischen Systems abzuwenden. So improvisiert wie seine Gründung war auch seine Arbeitsweise. Die kurze Zeit seines Bestehens war gekennzeichnet von einem ständigen Wandel der Strukturen und Zuständigkeiten. Die Akten wurden ohne Registratur und Aktenplan geführt, häufig schlicht als Sachbearbeiterablage. Bereits 1958 wurde es, zusammen mit allen anderen Industrieministerien, wieder abgewickelt. Erst 1965 erfolgte die Neugründung als Ministerium für Bezirksgeleitete Industrie und Lebensmittelindustrie.

Die Unterlagen liefern spannende Einblicke in die Wirtschafts-, Industrie-, Konsum-, Rechts-, Umwelt-, Organisations- und Gesellschaftsgeschichte der frühen DDR zwischen Diktatur und Alltag. So sind Aspekte wie Zuckerkampagnen, Molkereineubauten, Stärkegehalt in Kartoffeln, Fischfang in der Ostsee, Weihnachtsversorgung oder Einsatz von Eisenbahnwaggons für den Transport von Heringen minutiös überliefert. Gleichzeitig zeigen Eingaben der Bevölkerung zur angespannten Versorgungslage die Schwierigkeiten beim Aufbau einer planwirtschaftlich organisierten Lebensmittelindustrie.

Ein vielschichtiges und nach Betrieben aufgeschlüsseltes Berichtswesen beleuchtet den Volksaufstand des 17. Juni 1953. So schildern die Unterlagen das Schicksal eines Beifahrers der Deutschen Handelszentrale in Magdeburg, der versucht habe, Teile der Belegschaft „aufzuhetzen“ und daraufhin verhaftet wurde. Dokumentiert sind auch mehrere Spionagefälle, etwa in der Hauptverwaltung Fleisch und Fette: Dort war ein junger Lohnbuchhalter in Verdacht geraten, für einen westlichen Geheimdienst zu arbeiten, nachdem er sich in West-Berliner „Boogie-Clubs“ herumgetrieben und nie den DDR-Rundfunk gehört habe.

Über invenio kann der Bestand DG 5 (Ministerium für Bezirksgeleitete Industrie und Lebensmittelindustrie) von allen Interessierten recherchiert und am Standort in Berlin-Lichterfelde eingesehen werden.