Joe Julius Issak Philipp Heydecker wird am 13. Februar 1916 in Nürnberg als Sohn eines Schauspielerehepaares geboren. Er besucht die Volksschule, später eine Landwirtschaftsschule. Nach einigen Probewochen in einer Staatlichen Realschule kehrt er zur Absolvierung der Schulpflicht wieder zur Volksschule zurück. Im Anschluss daran besucht er eine Fortbildungsschule mit Graphikabteilung.

1931 beginnt Joe J. Heydecker seine zweijährige Fotografenlehre bei Stefan Rosenbauer in Frankfurt am Main. 1933 emigriert er mit seinen Eltern in die Schweiz. Er schreibt Artikel für das Luzerner Tagblatt. In der Pension in Meggen, wo er wohnt, trifft er Esperantisten, Grafologen und Parapsychologen. Diese Kontakte führen zu seiner intensiven Beschäftigung mit Esperanto und finden Niederschlag im Entwurf einer neuen Plansprache. 1933 erscheint sein erstes Buch "Coup - Roman eines Revuestars" im Lipsia Verlag Leipzig. Joe J. Heydeckers fotografisches Werk entsteht in den Jahren 1933-1997.

1939 wurde Joe J. Heydecker zur Wehrmacht einberufen. Aufgrund seiner fotografischen Kenntnisse wird er als Fotolaborant einer Propagandakompanie eingesetzt. 1941 folgt seine Versetzung nach Warschau. Während der gesamten Zeit trägt Joe J. Heydecker seine Kamera, eine Kine-Exakta bei sich. Wiederholt begibt er sich unerlaubt in das Warschauer Ghetto, um das Elend und die menschenunwürdigen Umstände der jüdischen Bevölkerung für die Nachwelt zu dokumentieren. Kampfszenen hat er nie aufgenommen. Seine Aufnahmen sowohl im Warschauer Ghetto 1941 als auch im zerstörten Warschau 1944 sind erschütternde Belege. Das Konvolut der Fotos aus dem Warschauer Ghetto und der Kriegsfotos, bestehend aus 1.880 Negativen, den dazugehörenden Kontakten und 389 Abzügen wird heute im Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien verwahrt. Alle Rechte inclusive der weiteren 24.000 Negative und ca. 1.500 Abnzüge des gesamten übrigen fotografischen oevre von Heydecker sind beim Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek. Die Aufnahme stammt aus dem Zyklus "The third eye. Samples of 70 years photographing."

Seine Erlebnisse während des 2. Weltkrieges beschreibt Joe J. Heydecker in klarer Sprache später in seinem Buch "Mein Krieg", das seine Lebensgefährtin Mara Kraus im Jahr 2007 im Selbstverlag heraus gibt. Das Buchmanuskript wird in seinem Nachlass verwahrt. "Verzeiht bitte, wenn ich erst heute schreibe, aber ich wollte dem Brief einige Photos beilegen, die ich gemacht habe ... Ohne Bilder kann man sich das schwer vorstellen. Ihr würdet die Stadt kaum wiedererkennen. Ein großer Teil liegt in Trümmern. ... Da und dort sieht man die Ziegelmauern und hoch oben, wo einmal der zweite oder dritte Stock war, klebt ein Kachelofen in der Ecke, wo vielleicht einmal eine Familie drum herum gesessen hat. Man weiß nicht, was alles unter den Trümmern begraben liegt. ... Aber auch die Menschen haben sich sehr verändert. Jetzt ist alles elend geworden, alles grau, bedrückt, die Leute eilen dahin, als wollten sie alle schnell weg. Es wimmelt von zerlumpten Kindern, die jeden anbetteln. .... " Aus einem Brief Joe J. Heydeckers an seine Eltern, undatiert, über seine Eindrücke in Warschau 1944. in: Buchmanuskript "Mein Krieg", Bundesarchiv, N 1486/65 Das Foto stammt aus dem Zyklus "The third eye. Samples of 70 years photographing".

Nach dem 2. Weltkrieg arbeitet Joe J. Heydecker für den amerikanischen Sender "Radio Munich". Dort spricht er zum ersten Mal über seine Erlebnisse im Warschauer Ghetto. Tatsachenbericht aus dem Warschauer Ghetto. Für Radio Munich am 4. November 1945, Sprechdauer 15 Minuten, 1. Seite

".... Was ich zuerst von Kameraden über die Vorgänge bei diesen Kontrollposten hörte, war so ungeheuerlich, dass ich mich selbst davon überzeugen musste. Heute kann ich sagen, dass sich unter den damaligen Eindrücken mein(e) Abscheu gegen alle Nazimethoden in einen kalten Hass verwandelte und dass ich damals das würgende Gefühl der ohnmächtigen Scham kennenlernte, diesem Volk anzugehören.... Einmal wurde ein alter, weissbärtiger Mann kontrolliert, der abends aus der Stadt zurück kehrte. Der Posten studierte mit quälender Langsamkeit den Passierschein, um sein Opfer in Ungewissheit und Angst zu versetzen. Inzwischen stand der Alte mit dem Hut in der Hand da.... Schliesslich untersuchte der Posten die Taschen des Mannes und fand darin einen Viertellaib Brot. Das sei verboten, schrie er ihn an - er habe das Brot gestohlen. Der Alte sagte einfach, dass er das Brot geschenkt bekommen und dass er Hunger habe. "Das ist eine freche Lüge!" schrie der Posten und schon hatte der Greis die Faust im Gesicht, dass er zur Seite taumelte..." Tatsachenbericht aus dem Warschauer Ghetto. Für Radio Munich am 4. November 1945, Sprechdauer 15 Minuten, 1. Seite

Die Fotos aus dem Warschauer Ghetto werden erst 1981 in dem Band "Wo ist dein Bruder Abel?". Atlantis Livros Ltd. Sâo Paulo, 1983 auch im Deutschen Taschenbuchverlag München unter dem Titel "Das Warschauer Ghetto. Photodokumente eines deutschen Soldaten." veröffentlicht. Auf die Frage an Joe J. Heydecker, warum er sie erst so spät publiziert, sagt er in einem Interview mit der Zürcher Zeitung 1983: "... es fehlte mir die Kraft, den Text zu schreiben, so oft ich auch damit begann, die Distanz fehlte mir noch..." Das Originalmanuskript sowie die Übersetzungen ins Englische und Portugiesische werden in seinem Nachlass verwahrt.

1946/47 gehört Joe J. Heydecker zu den wenigen deutschen Berichterstattern des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses. Archiviert sind neben seinen Unterlagen über die Nürnberger Prozesse auch Ton- und Magnetophonbänder mit seinen Interviews.

Am 8. Oktober 1946 ist zum ersten Mal in einer Tageszeitung eine kurze Notiz über eine deutsche Organisation zu lesen, die sich gebildet hat, um für den Gedanken eines Weltstaates und einer Weltregierung einzutreten: in München finden sich 25 Personen um Joe J. Heydecker zusammen, um die Weltstaat-Liga ins Leben zu rufen. Die Weltstaat-Liga bietet Albert Einstein die Ehrenmitgliedschaft an. Hat doch die 1945 verbreitete Erklärung des Gelehrten über die Notwendigkeit einer Weltregierung den äußeren Anstoß zur Gründung gegeben. Albert Einstein lehnt in einem Brief vom 8. März 1948 ab. Abdruck des Briefe von Albert Einstein im Mitteilungsblatt der Weltstaat-Liga, Mai 1948

In den folgenden Jahren arbeitet Joe J. Heydecker u.a. als Korrespondent verschiedener deutscher Blätter, darunter "Der Kurier", "Abendzeitung München", und wird Chefredakteur der "Deutschen Illustrierten". Unter anderem die Einführung von Bundeswehr und Wehrpflicht veranlassen den überzeugten Pazifisten Joe J. Heydecker, gemeinsam mit seiner Frau Charlotte Heydecker geb. Angermeir und seiner Tochter Tita 1960 nach Brasilien auszuwandern. In Sâo Paulo gründen sie gemeinsam das Fotostudio "Studio 61" und erarbeiten Reportagen für "Die Zeit", "Quick", "Stern". Sie reisen durch fast ganz Südamerika, und Joe J. Heydecker hält ihre Eindrücke kontinuierlich auf Foto fest. Joe J. Heydecker führt zeitlebens Tagebuch. Seine Tagebücher über die Auswanderung nach Brasilien und die Zeit dort sind im Nachlass überliefert.

In Brasilien gründet er zusammen mit seiner Frau Charlotte 1969 die Versandbuchhandlung und den Verlag "Atlantis Livros".

1986 kehrt er aus Brasilien zurück und lässt sich mit seiner Lebensgefährtin Mara Kraus in Wien nieder. Als Journalist und Schriftsteller publiziert er verschiedene Bücher und Fotodokumentationen, u.a. zum Warschauer Ghetto und zu den Nürnberger Prozessen, aber auch Kinderbücher. Er verfasst Kurzgeschichten, Essays und Gedichte, die geprägt sind von seiner leicht sarkastischen Einstellung und seinem scharfen Beobachtungssinn.

Viele seiner Werke, veröffentlichte wie unveröffentlichte Texte und Manuskripte sind in seinem Nachlass überliefert. Außerdem im Nachlass sind neben persönlichen Dokumenten, genealogischen Unterlagen zur Familie Heydecker, seine Tage- und Notizbücher, unzählig viele Artikel in Zeitungen und Zeitschriften, seine Gedichte, Text- und Wortspielereien überliefert.

Wortspiele - eine von Joe J. Heydeckers vielen kreativen Ideen. "Wird in zusammengesetzten oder abgeleiteten Wörtern ein gemeinsamer Bestandteil nur einmal genannt, so wird als Ergänzungszeichen ein Bindestrich gesetzt. DUDEN, Rechtschreibung: Him-, Brom-, Wein- und Stachelbeeren. Eine Brat- für den Hanswurst. Einen Flach- trug Hartmann stets bei sich....."

"Einlaut-Sätze Zahnradbahn kam am Tal an. Der edle Esel Demeter entdeckt eben stets mehr Erde denn Ehre. Bei der Kleeernte fand die Schneeente am Seeende ein Teeei im Kaffeeeimer. Leis beisst ein Schwein sein Eisbein. ..."

Viele seiner Reportagen illustriert Joe J. Heydecker mit eigenen Fotos seiner Reisen v.a. nach Lateinamerika, Sri Lanka und natürlich quer durch Europa. Die im Nachlass überlieferten, wenigen, zum Teil bisher nicht veröffentlichten Fotos belegen vor allem seine "berufliche" Tätigkeit im und nach dem II. Weltkrieg, seine Projekte, auch Ausstellungsprojekte. Weiterhin sind neben Porträtfotos, Fotos seiner Familie und Freunde sowie seiner Reisen archiviert. Joe J. Heydeckers fotografischer Nachlass wird jedoch in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien verwahrt.

Sein "drittes Auge" - so nannte Joe Heydecker seine Kamera - hatte er immer und überall mit dabei. "... Sein Anliegen beim Fotografieren war vor allem zu informieren und zu dokumentieren, aber er vernachlässigte nie den ästhetischen Standpunkt. Wann immer er konnte nahm er Menschen ins Bild, denn: Menschen interessieren sich am meisten für Menschen. ..." in: "Joe J. Heydecker, wie ich ihn sah in seinen reifen Jahren und im Alter" von Mara Kraus, Vorwort im Findbuch zum Nachlass Joe J. Heydecker Am 17. März 1997 starb Joe J. Heydecker in Wien.