/Internet/DE/Content/Virtuelle-Ausstellungen/_config/DefaultNavNode thenavnode=/Internet/DE/Navigation/Entdecken/Virtuelle-Ausstellungen/virtuelle-ausstellungen
Skipnavigation
SUBSITEHEADER

Navigation

Der Stich der Tarantel - Heiße Lektüre im Kalten Krieg

  • BRD (ab 1949)
  • DDR (1949-1990)

Hintergrundinformationen

Hintergrundinformationen

Nach der zweifachen Staatsgründung 1949 und dem Beitritt zu NATO und Warschauer Pakt 1955 waren die Bundesrepublik und die DDR endgültig im "Kalten Krieg" angekommen. Dies bedeutete auch die Teilnahme am Propagandakrieg, der von beiden Seiten mit Heftigkeit betrieben wurde.

Als wichtigstes Printmedium kamen Broschüren zum Einsatz. Ihr kleines Format und der geringe Umfang machte ihr Eindringen in das gegnerische Lager recht einfach. Zumal der Verkehr zwischen West und Ost bis zum Mauerbau 1961 noch recht umfangreich war - und die Verbreitung von Flugschriften dementsprechend simpel: Gratisausgaben wurden an der Sektorengrenze verteilt oder in S-Bahnen und Interzonenzügen ausgelegt. Spektakulärer war der Versand von West nach Ost aus der Luft durch Ballons, mit einem entscheidenden Vorteil für die Bundesrepublik: An der Grenze wehte meist Westwind. Nach Art der Frontpropaganda im Zweiten Weltkrieg wurde außerdem mit Flugblatt-Raketen gearbeitet. Selbst Grenzverletzungen mit kleinen Sportflugzeugen, die Flugblätter abwarfen, kamen vor. Oder die Psychologische Kampfführung der Bundeswehr (PSK) ließ Propagandamaterial über die Ostsee Richtung DDR "einschwimmen". Eine Methode, Schriften zielgenau auf die andere Seite zu bringen, war der Versand als Standardbrief mit der Post. Die Broschüren wurden in Briefumschlägen mit gefälschten Adressaufdrucken von DDR-Ministerien eingetütet und in Ostberliner Briefkästen eingeworfen.

Eine der am nachdrücklichsten antikommunistischen Zeitschriften, die auf diesen Wegen in die DDR gelangten, war die "Tarantel. Satirische Monatsschrift der Sowjetzone". Sie entstand im Frühjahr 1950 in West-Berlin im Umfeld der Propaganda gegen das Deutschlandtreffen der FDJ zu Pfingsten in Ostberlin. Im Vorfeld dieser Veranstaltung lud der Grafiker Karl Willi Wenzel Kollegen West-Berliner Zeitungen zu einem Treffen in einem Nebengebäude des SPD-Blattes "Telegraf" am Bismarckplatz ein.

Wenzel selbst war nach 1945 zunächst als Redakteur des sowjetischen Nachrichtenbüros tätig gewesen. 1946 beantragte er beim französischen Presseamt in West-Berlin die Lizenz für eine Satirezeitschrift. Dies veranlasste die sowjetische Seite, ihn zu verhaften und in Hohenschönhausen und Sachsenhausen zu inhaftieren. Nach seiner Entlassung verschrieb es sich ganz dem antikommunistischen Kampf.

Am Bismarckplatz fanden sich viele bekannte Pressezeichner, wie Fritz Behrendt, der später für die FAZ zeichnete, ein und man entwarf ein politisches Satiremagazin gegen die DDR unter dem Titel "Tarantel". Den Namen hatte der als Chefredakteur tätig werdende Wenzel gewählt, da Menschen gewöhnlich wie besessen auf den Stich dieses Tieres reagieren.

Und das Satireblatt kam wirklich an: Insgesamt erschienen 124 Monatsausgaben mit einer Auflage von bis zu 250.000 Exemplaren und zahlreiche Sonderausgaben. Die Verbreitung übernahmen darauf spezialisierte West-Berliner Organisationen, wie der Ostapparat des "Telegraf", das Ostbüro der SPD, Studentenorganisationen an der Freien Universität und die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit.

Das kostenlos verteilte, vierfarbig gedruckte Satiremagazin war stets voller, meist simpel gestrickter Kritik am kommunistischen System und der sowjetischen Übermacht. Es prangerte die Versorgungslage in der DDR an und nahm die Hohlheit der SED-Propaganda aufs Korn. Die Zeichnungen und Witze sollten nicht zu ironisch sein, sondern möglichst einfach, einleuchtend und glühend antikommunistisch.

Von besonderem Interesse sind die Zeichnungen, die sich an den Vorbildern "Simplizissimus" und "Kladderadatsch" orientieren. Ausnehmend beliebt waren Karikaturen der führenden Männer des Ostblocks, wie "Spitzbart" Ulbricht oder Wilhelm "III." Pieck.

Das Team von Schreibern und Karikaturisten arbeitete verdeckt in einer Wohnung in der Schlüterstraße in Berlin-Charlottenburg. Die Mitarbeiter trugen sämtlich Tarnnamen von bissigen Tieren, so hieß Heinz W. Wenzel beispielsweise "Heinrich Bär" und sein Stellvertreter Walter Schulz-Heidorf "Wolfram Wolf". Dennoch gerieten die Mitarbeiter ins Fadenkreuz des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Bespitzelungen und Drohanrufe waren an der Tagesordnung; die Redaktion lebte in der Furcht vor Angriffen und Entführungsversuchen.

Über die Geldgeber und Unterstützer der "Tarantel" ist kaum etwas bekannt. Ob amerikanische Stellen oder auch deutsche Regierungsdienststellen unterstützend tätig waren, ist noch nicht genügend erforscht. Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen ging offiziell auf Grund der Beziehungen von Wenzel zur Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit auf Distanz zur "Tarantel".

Durch den Mauerbau am 13. August 1961 brach das Vertriebssystem der Zeitschrift größtenteils zusammen. Anfang 1962 erschien das letzte Heft; 1968 schließlich wurde der Verlag aufgelöst.

Im Bestand BW 2 Generalinspekteur und Führungsstab Streitkräfte finden sich neben Druckerzeugnissen der "Tarantel Press, Berlin" die Ausgaben der "Tarantel" vom November 1957 bis Dezember 1958 (März 1958 fehlt) und der Sonderdruck "Tarantel. Sonderausgabe zum 40. Jahrestag der sowjetischen Oktoberrevolution" aus dem Jahr 1957 (BArch-Signatur BW 2 / 6880).

Die erste Karikatur auf der November-Ausgabe 1957 kritisiert den Start des ersten Sputnik-Satelliten am 04. Oktober 1957 durch die Sowjetunion. Was angeblich "Zu Ehren der großen sozialistischen Oktoberrevolution" geschieht, ist aufgebaut auf Knechtschaft und Gefängnis. Die sozialistischen Machthaber scheuen sich offenbar auch keineswegs, Gefangene für ihre Erfolge zu opfern, ist die Botschaft dieser Karikatur.

Die Ausgabe Mai 1958 zeigt auf dem Titelblatt den 1. Mai als kranke und lahme Zeitungsente mit der 1. Mai-Nelke im Schnabel und dem Emblem der SED am Kranken-Kopftuch. Was in den sozialistischen Ländern als "Internationaler Kampf- und Feiertag der Werktätigen für Frieden und Sozialismus" begangen wurde, entpuppt sich als unwahre Behauptung der Kommunisten, einfach als "Zeitungsente". Der Sozialismus tut gar nichts für die "Werktätigen".

Die Ausgabe vom Dezember 1958 zeigt Walter Ulbricht verkleidet als (falschen) Weihnachtsmann, der den Menschen "Die Zukunft des Sozialismus" als Geschenk bringt. Dies entpuppt sich aber als Luftballons aus "Parolen", "Versprechungen", "Bluff" und "Propaganda". Stattdessen ist Ulbricht im Auftrag der Sowjetunion (Roter Stern mit Hammer und Sichel) unterwegs und bedient sich roher Gewalt, u.a. mit Hilfe der "KVP", der Kasernierten Volkspolizei. Dies macht ihn letztlich zu einem schlechten Clown mit roter Nase.

Burkhart Reiß