Mit dem „Deutsch-französischen Abkommen betreffend die beiderseitigen Besitzungen in Äquatorial-Afrika“ vom 4. November 1911 übergab Frankreich Teile von Französisch-Äquatorial-Afrika an Deutschland. Diese von deutscher Seite als Neukamerun bezeichneten Gebiete umfassten ca. 280.000 Quadratkilometer. Im Gegenzug erhielt Frankreich den sogenannten "Entenschnabel", ein Gebiet im Nordosten Kameruns im Umfang von ca. 12.000 Quadratkilometern.

Nach den Gebietserwerbungen von 1911 umschloss Kamerun im Südwesten die spanische Kolonie Rio Muni (das heutige Äquatorialguinea), erreichte im Südosten bei Bonga den Kongo und erstreckte sich im Osten bei Singa bis zum Ubangi. Beide Ströme besaßen als Handelswege große Bedeutung, da die Erschließung des Landes durch Straßen und Eisenbahnen gerade erst begonnen hatte.

Eine deutsch-französische Grenzexpedition wurde nach Zentralafrika entsandt, um die Grenze vor Ort zu erforschen und zu definieren. Bereits im ersten Protokoll traten die Unterschiede in der Arbeitsweise beider Seiten deutlich hervor: "Da eine Übereinstimmung nicht erzielt werden kann, erklären die Kommissare, dass, da das einzige von den beiden Kommissionen geforderte Resultat das vollkommene Übereinstimmen ihrer Karten ist, es jeder Kommission freisteht, zur Konstruktion ihrer Karte das Verfahren anzuwenden, welches ihr zuzusagen scheint." Dennoch konnten die Vermessungsarbeiten im Herbst 1913 abgeschlossen werden.

Durch den tropischen Urwald wurden Schneisen für den Grenzverlauf ebenso wie für Straßen, Telefon- und Telegrafenlinien geschlagen.

Die Verpflegung der Grenzexpedition gestaltete sich schwierig: "Erschwerend bei der Verpflegung wirkt noch die Zubereitung des einzigen hier in Frage kommenden Nahrungsmittels, des Kank. Es ist Maniok, der 5 Tage gewässert, dann gestampft, gekocht und zu Würsten geformt wird. Also ca. 6 Tage nach Ankunft in einem Dorf kann erst Verpflegung geliefert werden, falls genügend Maniok überhaupt vorhanden ist. Grössere Vorräte von Kank haben die Eingeborenen nicht, da er sich nur 6-8 Tage frisch hält. Voraussenden von Boten mit der Anweisung, Kank zu kochen, hat bisher fast nie Erfolg gehabt, da die Eingeborenen es einfach nicht tun."

Cassada, auch Kank oder Maniok, ist eine stärkehaltige Wurzel, die im tropischen Afrika ein Grundnahrunsmittel darstellt. In der Knolle enthaltene Giftstoffe müssen zunächst durch Zerkleinern und Wässern entfernt werden, bevor die Cassada zum Verzehr geeignet ist. Aufgrund des tropischen Klimas verderben Lebensmittel sehr schnell oder sind von Schädlingsbefall bedroht und werden daher in der Regel frisch geerntet und zubereitet.

"Reichs-Kolonialamt. Akten betreffend Vermessung der deutsch-französischen Grenze im Süden von Kamerun (Südkamerun-Grenzexpedition 1912/13)"

Wilhelm Solf, Staatssekretär des Reichskolonialamts, reiste in den Monaten August bis Oktober 1913 in die deutschen Kolonien Togo und Kamerun, um sich einen eigenen Eindruck von der Situation vor Ort zu verschaffen. Dabei besuchte er auch einen Teil des erst kürzlich erworbenen Neukamerun. „Unter Führung des Assessors Eltester machten wir einen zweistündigen Besuch an Land. Am Strand begrüßten uns die Europäer des Platzes, Kaufleute und Missionare, letztere von der katholischen Missionsstation Butika, die bald nach dem Übergang des Landes durch deutschsprechende Elsässer besetzt worden ist. Die Missionsschüler konnten bereits einige deutsche Lieder vortragen. Im Zollhause war eine kleine Ausstellung von Holzproben und von Ethnographika des Pangwe-Stammes, der das Muni-Gebiet bewohnt, aufgestellt. Der Holzexport (meist Okume, ein sehr leichtes Holz, das in der Zigarrenkistenindustrie Verwendung findet) des Gebiets ist schon ziemlich beträchtlich (im ersten Halbjahr 7000 Tonnen). Das Verwaltungsgebäude ist noch im Bau. Der Weg dahin führt durch eine dichte Ölpalmenpflanzung.“

Am 1. Oktober 1912 übergaben die Franzosen vertragsgemäß die ersten Gebietsteile an Deutschland. Wegen der komplizierten Kommunikationsverbindungen dauerte es bis zum 7. November 1912, bevor das Reichskolonialamt in Berlin von der erfolgten Gebietsübernahme erfuhr. „Lere und Gebiet begrenzt durch Logone bis zum Pende ersten Oktober übernommen = Adae“

Unverzüglich unterrichtete das Reichskolonialamt Kaiser Wilhelm II von der ersten Gebietsübernahme. Rechts oben ist mit dem Datum vom 10. November 1912 das Kürzel des Kaisers zu erkennen. „Reichs-Kolonialamt Berlin, den 9. November 1912 Seiner Majestät dem Kaiser und Könige Euerer Majestät wage ich in Ehrerbietung zu berichten, daß nach einer soeben eingegangenen telegraphischen Meldung Ew. pp Gouverneurs von Kamerun der nördliche Teil der von den Franzosen vertragsgemäß am 1. Oktober dieses Jahres zu übergebenden Gebiete, nämlich das zwischen der alten Grenze und dem Pennde und dem Logone-Flusse gelegene Land, an dem genannten Tage tatsächlich von den deutschen Behörden übernommen worden ist. Solf“

Bei der Übergabe der einzelnen Gebiete und Posten wurden jeweils Protokolle in deutscher und französischer Sprache ausgefertigt. Sie listen detailliert auf, welche Gebäude und Schriftstücke ausgehändigt wurden. In Bozoum wurde von den französischen Behörden außerdem der Gefangene Guéneau sowie eine Ausfertigung seines Urteils an die deutschen Vertreter übergeben. „I. Gebäude Der Posten Bozoum enthält am 1. April 1913 folgende Gebäude: 10/ Drei Wohnhäuser für die Postenbeamten, jedes enthält 2 Räume (in gutem Zustand) 20/ Zwei Nebengebäude als Küche (in gutem Zustand) 30/ Zwei Rundhütten für die Diener der Postenbeamten (in gutem Zustand) 40/ Zwei Rundhütten als Lager (in ziemlich gutem Zustand) 50/ Zwei und zwanzig Rundhütten als Wohnhäuser für die Besatzung (in ziemlich gutem Zustand) 60/ Zwei viereckige Häuser als Gefängniss (in schlechtem Zustand) [...] II. Archive Folgende Schriftstücke wurden übergeben: 10/ Eine Ausfertigung der Zivilstandbücher für die Jahre 1911-1912 und 1913 [...] 50/ Ein Pack Schriftstücke betreffend die Rechtspflege und das Gefängniss und – besonders – eine Ausfertigung des Urteils des Gefangenen Guéneau III. Gefängniss Der Gefangene Guéneau, welcher seit dem 24. Februar zu 3 Monaten Gefängniss verurteilt war, wurde übergeben."

Die an das Gouvernement und das Reichskolonialamt gerichteten Berichte über die Gebietsübernahme heben in der Regel den angenehmen Umgang mit den französischen Amtskollegen hervor. Nach einem gemeinsamen Essen wurde durch das Hissen der deutschen Flagge die deutsche Herrschaft über das neu erworbene Gebiet angezeigt. Die zur Schau gestellte Bewaffnung und Disziplin der deutschen Truppen sollte nicht zuletzt die neuen Untertanen beeindrucken. „Am Morgen des 2. Oktobers fand sodann auf dem Stationshofe die feierliche Hissung der deutschen Flagge statt, während die Truppe das Gewehr präsentierte. Ich gab dabei der Hoffnung Ausdruck, daß auch diesem Teil Neukameruns unter der deutschen Herrschaft eine glückliche Entwickelung beschieden sein möge, und brausend erschallten zum Schluß drei Hurrahs auf S[eine] M[ajestät], den Kaiser. Während die Dienstflagge des Reichskolonialamts erstmalig stolz im Winde flatterte, gaben 3 Salven weithin Kunde von deutscher Herrschaft, deutscher Macht und deutschen Strebens.“

Die Übernahme neuer Gebiete gab erstmals Gelegenheit, die geographischen und gesundheitlichen Verhältnisse, die dort lebenden Völker und den Zustand der vorgefundenen Bauten zu erkunden. „Die Eingeborenenbevölkerung um die Station Oyem ist zahlreich, der Menschenschlag ist kräftig, gehört zum Stamme der Ntums. [...] Arbeit wird scheinbar nicht viel verrichtet, in allen Dörfern sieht man kräftige Männer und Weiber herumliegen, jeder hat Zeit. Die Hütten sind schlechte Lauben aus Pfählen, Blättern und Rinde, ähnlich denen bei Duala. Die Dorfstraßen sind breit und meistens sauber, während die Hütten schmutzig sind. Hühner, Hunde, Enten nächtigen im gleichen Raum wie die Menschen, Schafe und Ziegen haben Ställe aus starken Stämmen. Die Farmen sind unordentlich, es wird Kassada, Makabo, Zuckerrohr und Erdnuß angepflanzt, vor den Hütten etwas Ananas. [...] Die Baulichkeiten [der Station] sind durchweg schlecht, namentlich in gesundheitlicher Hinsicht. Als Hospital wird jetzt ein 4 dunkle Räume enthaltendes altes Haus aus Luftlehmziegeln mit Blätterdach benutzt. Die Europäerhäuser sind ebenso aus Buschmaterial, unsauber, mit schlechter Veranda, schlecht schließenden Türen und Fenstern, alles ist nach heimischen Begriffen wie der alte Stall eines kleinen deutschen Bauern gebaut.“

Tropische Klimabedingungen und mangelnde Infrastruktur stellten die deutschen Truppen vor besondere Herausforderungen: „Der Karagoua hat bei der Station eine ungefähre Breite von 80-100 m und besitzt ein über Stunden sich ausdehnendes Überschwemmungsgebiet. So mußte z.B. die Kompagnie auf dem Wege Aladi-Ebom-Ngara-Binsam die letzten 4 Stunden bis über die Brust im Wasser marschieren und inzwischen ist das Wasser noch bedeutend gestiegen, so daß ein Passieren dieser Wegestrecke, z.Zt. der einzige mögliche kürzere Verbindungsweg mit Altkamerun, fast unmöglich und mit Lebensgefahr verbunden ist. [...] Die Verpflegung der Kompagnie erfolgte in den ersten 14 Tagen durch Ankauf von Lebensmitteln in 5 umliegenden friedlichen Dörfern der Bakouelle’s, deren Häuptlinge sich sofort bei Übernahme der Station gestellt hatten, und den zur Station gehörenden kleinen Süßkartoffelnfarmen. Dann trat, nachdem die Farmen leer gegessen waren, ein derartiger Mangel an Lebensmitteln ein, daß sich der Kompagnieführer gezwungen sah, mit dem größten Teil der Kompagnie (74 Soldaten) eine Dienstreise in den Bezirk anzutreten, bis der beim Kommando telegraphisch bestellte Reis eingetroffen ist, worüber bei den derzeitigen Wegeverhältnissen noch 1-1 1/2 Monate vergehen können.“

Das Kaiserliche Gouvernement in Buea, Kamerun, berichtet an das Reichskolonialamt in Berlin über die umgehend vorgenommene Errichtung von Verwaltungsbezirken in Neukamerun.

Die üppige tropische Natur brachte die europäischen Neuankömmlinge zum Staunen. Sie verfolgten im Regenwald aber vor allem wirtschaftliche Interessen: Tropenhölzer, Kautschuk, Ölpalmen sollten möglichst hohe Profite abwerfen.

Mangrovensümpfe mit Ebbe und Flut, Beissameisen, Sandfliegen und andere Quälgeister ließen die neuen Gebiete unwirtlich erscheinen.

In einer Tanzrevue aus dem Jahr 1912 wurde das Tanzduett „Malongo vom Kongo“ gesungen. Das Lied ist eine musikalische Parodie auf die Argumente der Befürworter und Gegner des Erwerbs von Neu-Kamerun. Wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten stehen skrupellose Geschäftemacherei sowie hoher Investitionsbedarf gegenüber, Gummivorkommen kontrastieren mit nutzlosen Sümpfen; zuletzt wird die übertriebene Deutschtümelei aufs Korn genommen.

Die neuen Untertanen hatten völlig eigenständige Vorstellungen von kultiviertem Auftreten: „Unzählig sind die Gebilde des mit dem Kopfhaar fest verflochtenen Hauptschmuckes aus Perlen und Muscheln; alle Helmformen vom Mittelalter bis zur Neuzeit scheinen hier als Muster gedient zu haben. Auch in diesem Schmuck bewährt sich der weibliche Teil am glänzendsten. Beginnt es sich im Laufe der Monate unter demselben zu regen, so wird oft eine besondere Medizin zur Abtötung der Plagegeister angewandt, ohne daß der kostbare und vielstündiges Stillhalten erfordernde Putz zerstört werden muß. Gleich Sturmriemen findet man häufig noch zwei Perlenschnüre von Ohr zu Ohr durch die Nasenscheide gezogen.“ (aus: Die Grenzgebiete Kameruns im Süden und Osten. Hauptsächlich auf Grund der Ergebnisse der Grenzexpeditionen. Landeskundlicher Teil. Berlin 1914. hier: Major Karl Zimmermann: Überblick über das Südgebiet zwischen der Monda-Bai und der Dscha-Mündung in den Ssanga. Seite 6)

Die Dörfer in den Urwaldregionen im Süden von Neukamerun waren aus in der Umgebung verfügbaren Materialien errichtet, deren Haltbarkeit im tropischen Klima begrenzt war. Sobald überdies die Fruchtbarkeit der angelegten Pflanzungen erschöpft war, wurden die Siedlungen verlegt. Dies hatte für die neuen Kolonialherren zur Folge, dass mühsam erarbeitete Landkarten schon nach wenigen Jahren nicht mehr aussagekräftig waren. Auf den Karten verzeichnete Dörfer waren plötzlich nicht mehr vorhanden, was die Orientierung im unwegsamen Gelände erheblich erschwerte.