DIE DÄMONISCHE LEINWAND ist der Titel des berühmten Buches von Lotte H. Eisner, das zum geflügelten Wort geworden ist für das deutsche Kino der Stummfilmzeit. Der Titel war etwas irreführend, da er eine ganze Filmepoche mit jenem magischen Helldunkel, der beredten Architektur und den manisch Getriebenen identifizierte, welche die Seelenräume des expressionistischen Kinos auszeichnete. Allerdings wollte Eisner selbst den Begriff nie so eng verstanden haben, wie die Rezeption ihn sich schließlich zu eigen machte. Unter den Schauspielern war es vor allem Conrad Veidt, dessen Starimage untrennbar mit dem eines Leinwanddämonen verbunden war. Über die Rolle des Cesare in DAS CABINET DES DR. CALIGARI schrieb Kurt Tucholsky: "Veidt stelzt dünn und nicht von dieser Erde durch seine wirre Welt: einmal ein herrlicher Augenaufschlag, einmal wie von Kubin, schwarz und schattenhaft und ganz lang an einer Mauer hingespensternd." Der Film gerät zur Sensation und macht Conrad Veidt zu einem gefragten, wenngleich auch auf einen bestimmten Typus festgelegten Schauspieler. Eine ganze Generation von Kinobesuchern schwärmte für den "dämonischen Conni". Die filmische Interpretation von Maurice Renards Roman LES MAINS D'ORLAC führte den Caligari-Regisseur Robert Wiene und Conrad Veidt erneut zusammen.

Die französische Schauspielerin Delphine Seyrig war eine der zentralen Frauenfiguren der internationalen Avantgarde. Sie hat in den Filmen von Bunuel, Resnais, Ottinger, Losey, Demy, Truffaut, Kümel und Duras mitgewirkt und dabei unterschiedliche Figuren und Schauspielstile entwickelt. Auf ironisch selbstreflexive Weise aber auch mit enigmatischem und unnahbaren Gestus demontierte und betonte sie zugleich die ikonographischen Traditionen des Kinos. Ihre beiden berühmtesten Rollen, die der Gräfin Bathory in BLUT AN DEN LIPPEN und der Dame A in LETZTES JAHR IN MARIENBAD referieren auf die kinematographischen Bilder jener mysteriösen Diven, in denen sich Unschuld und Sadismus paaren und deren unwirkliche Schönheit durch extravagante Kostüme aus Samt und Musselin betont werden, Darstellungen, die unweigerlich an die Inszenierungen der Dietrich bei Sternberg oder von Louise Brooks bei Pabst erinnern. In LETZTES JAHR IN MARIENBAD ist das statuarische Gesicht der Seyrig eingefasst in das prunkvolle Dekor und die geometrischen Parkanlagen eines Luxushotels, die ihr Äquivalent finden in den stilisiert-ritualisierten Gesten der Darsteller und dem betörend langsamen Gleiten der Kamera durch die theatrale Architektur.

"Sein Gesicht ist so jung wie das eines Kindes, und seine Augen sind ganz alt, beides zu gleicher Zeit und im nächsten Augenblick ist es umgekehrt - ich habe noch nie so ein Gesicht gesehen." (Jean Cocteau über Klaus Kinski) Klaus Kinski ist neben der Dietrich, die vielleicht geheimnisvollste, von unzähligen Mythen umgebene Starpersona, die das deutsche Kino hervorgebracht hat. Zweifelsfrei ist auf keine je wieder so emotional reagiert worden. Es ist vor allem das Image des großen genialen Hysterikers, das ihm anhängt; ein männliches Pendant zu der amerikanischen Schauspielerin Mercedes McCambridge. Neben Oskar Werner, James Dean oder Montgomery Clift steht er in dieser Zeit für einen differenzierteren Männlichkeitstypus, der keine festgefügten Geschlechtsidentitäten bedient. Den ersten großen Erfolg und Skandal am Theater hat Kinski mit Cocteaus LA VOIX HUMAINE in der Rolle einer Frau, die am Telefon das Abschiedsgespräch mit ihrem Geliebten führt. Gleichwohl bleibt er von Beginn an auf ein bestimmtes Rollenfach festgelegt, das sich in den Sechziger Jahren vor allem auf das des "Irren vom Dienst" in der Edgar Wallace-Serie reduziert.

"Marlene ist ein Transvestit" (Frieda Grafe) Journalisten ist Marlene Dietrich immer mit Misstrauen begegnet, ihre Interviews fallen durch Einsilbigkeit auf, die Namen in ihren Briefen sind durch Pseudonyme verschlüsselt. Ihr Leben hat so Anlass zu den wildesten Spekulationen gegeben. Auch ihre eigenen Memoiren haben den Mythos nicht offengelegt. Bereits auf der ersten Seite gibt sie unvermittelt zu, dass es sie nicht interessiere, über ihr Le-ben zu sprechen. Im Alter schließt sie sich von der Welt aus, lässt sich nicht mehr fotografieren, und nur noch die engsten Freunde und Verwandte dürfen sie sehen. Mit bemerkenswerter Konsequenz konserviert sie das Bild der rätselhaften Schönheit. Das Imaginäre, die Täuschung, der Schein, die Verkleidung sind von ihr kultiviert worden. Marlene Dietrich, das sind die Kostüme und die Maskenbälle in ihren Filmen. "Marlene Dietrich..., ihr Name beginnt mit einer Liebkosung und endet mit einem Peitschenknall. Sie tragen Federn und Pelze, die auf ihrem Körper zu wachsen scheinen wie die Pelze der Raubkatzen und die Federn der Vögel." (Jean Cocteau)

Mit James Dean verbindet Louise Brooks, dass allein das Bild ihrer Jugend in der kollektiven Erinnerung erhalten ist und dass es vornehmlich drei relativ schnell aufeinanderfolgende Filme waren, die ihren Ruhm begründeten. Danach verliert sich ihre Spur. Mit ihrer Rückkehr nach Hollywood hatte sie die Kehrseite des amerikanischen Traumes erlebt, anstatt zu einem Leinwandstar wurde sie zur Verkäuferin in einem Warenhaus. Nur für kurze Zeit war sie ein Idol der Jugend, ein Idol, das wie Dean sexuelle Ambivalenz ausstrahlte, dessen Erscheinung bereits festgefügte Geschlechterrollen auflöste. Eine der größten Bewunderinnen von Louise Brooks war Angela Carter. Sie sprach von den drei surrealistischen Liebesgöttinnen, einem Pantheon, in dem sich Marlene Dietrich und Barbara Steele um das Zentrum Louise Brooks formieren. Unwirklich, verwirrend ist ihre androgyne Schönheit, die das Traumhafte, Irrationale des Kinos betont. "Sind die BÜCHSE DER PANDORA und TAGEBUCH EINER VERLORENEN nicht durch eine Art Mirakel, nämlich das der Anwesenheit von Louise Brooks, zu erklären? [...] Louise Brooks existiert nämlich mit einer erschütternden Eindringlichkeit, sie wandelt durch diese beiden Filme mit einer rätselvollen Unpersönlichkeit." (Lotte H. Eisner)

Durch den Erfolg der Sissi-Filme avancierte Karlheinz Böhm zu einem der beliebtesten deutschen Stars der Fünfziger Jahre. Wohlerzogen, moralisch integer und mit sanftem Gesicht verkörperte er den perfekten Schwiegersohn, den Liebling der Massen. Kostüm- und Heimatfilme, Komödien oder seichtes Problemkino gehörten vorrangig zu seinem Repertoire. Als Aushängeschild des deutschen Wirtschaftswunderkinos kämpft er sich als romantischer Liebhaber, junger Vater, Arzt oder Ingenieur durch mittelmäßige Produktionen. Doch der allgemeine Niedergang des Kinos, ausgelöst durch die Konkurrenz des Fernsehens und festgefahrene Filmkonventionen, macht sich auch in Deutschland bemerkbar und zwingt Böhm, sich um Engagements im Ausland zu bemühen. Der englische Film TOO HOT TOO HANDLE konfrontiert den Schauspieler mit Nachtclubs, Hinterzimmern und Jayne Mansfield und kündigt den radikalen Imagewechsel an.

Die gebürtige Schwedin Zarah Leander sollte in den Dreißiger Jahren als neuer Star der Ufa in Konkurrenz zu den großen internationalen Diven Marlene Dietrich und Greta Garbo treten. Ihre tiefe, erdige Stimme und der im Gegensatz zur Garbo fast schon ausgestellt wirkende, künstlich-melancholische Blick wurden zu ihren Markenzeichen. Unter barocken Schmuck, Pelzen, auffallend dekorierten Kleidern und übertriebenen Hüten versuchten Regisseure wie Detlef Sierck oder Carl Froelich die große, breitschultrige und allzu üppige Figur der Leander zu verstecken. Sie war in ihrer vollkommenen Künstlichkeit das genaue Gegenteil der schlichten, naturverbundenen, germanischen Frau, wie sie der nationalsozialistische Staat propagierte, ein Widerspruch zu der Doktrin »Menschen wie du und ich« auf die Leinwand zu bringen. Das Laszive in ihren Darstellungen wird gemildert durch das in ihren Filmen präsentierte Bild der opferbereiten, liebenden Frau und Mutter. Dennoch bleibt sie eine der subversivsten Kunstfiguren des NS-Starsystems. Ein Rest Autonomie, eine Opposition zur herrschenden Ordnung sowie etwas Fremdartig-Exotisches, das über ihre Rolle als Star hinausweist, bringt ihre Erscheinung an die Oberfläche.

"Wenn man schon verzweifeln möchte an der Berufenheit des Films, eine eigene, wirkliche Kunst zu werden, die würdig ist, daß sie eine zehnte Muse auf dem Olymp vertritt, wenn es einem fast selbst schon so vorkommt, als wenn der Film nur ein verkrüppeltes Theater wäre und sich zu diesem verhielte wie die photographische Reproduktion zum Ölgemälde, ja, wenn man zu zweifeln anfängt, dann ist es doch nur die Asta Nielsen, die einem Glauben und Überzeugung wiedergibt." (Béla Balász) Asta Nielsen war der erste große weibliche deutsche Filmstar, der bereits vor dem ersten Weltkrieg internationale Erfolge feierte. Ihr Starimage ist an ihre schauspielerische Wandlungsfähigkeit, an das Bild der großen, gereiften Künstlerin gebunden. Vom Publikum wie von den Kritikern wurde sie vergöttert. Für Béla Balász wurde sie zur Auslöserin für seine Theorie des Schau-spielers als eigentlichem Dichter des Kinos. Er betonte vor allem ihre Gabe, das Mienenspiel ihres Partners auf ihrem eigenen Gesicht zu reflektieren und dadurch einen innigen Kon-takt zu ihm herzustellen. Ihr Gesicht wird zum verbindenden Element. Sie durchdringt und füllt den Raum zwischen den Objekten.

Jean Simmons bleibt als Star schwer fassbar, wenngleich sie eine der präsentesten Frauenfiguren im Kino der Fünfziger Jahre war. Zu viele Figuren hat sie dargestellt, zu viele Genres bedient und sich so einem eindeutigen Image verweigert. Literaturverfilmungen, Thriller stehen neben Western, Komödien oder Musicals, die Figur der Femme Fatale oder der Ophelia neben Darstellungen der Sklavin Varinia in Kubricks SPARTACUS, die Lehrerin Julie in Wylers THE BIG COUNTRY oder der Thronfolgerin Elisabeth in YOUNG BESS. Allein die unschuldig-kindliche Ausstrahlung ihres Gesichtes wurde zu einem prägnanten Erkennungsmerkmal. Die Regie von ANGEL FACE übernahm der Wiener Filmemigrant Otto Preminger, der einige Jahre zuvor mit LAURA das Genre des Film Noir neu formulierte. ANGEL FACE steht immer noch etwas im Schatten des übermächtigen Klassikers. Seine Grundkonzeption steht geradezu prototypisch für das klassische Beziehungsmuster des Film Noir: die rätselhafte, eiskalt kalkulierende Schöne mit dem Engelsgesicht und der lakonische, vor Entscheidungen zurückweichende, entmachtete Mann, der sich von ihr ins Verderben ziehen lässt. Das deutsche Plakat lässt die im Genre verankerten Geschlechterpositionen überdeutlich hervortreten.

Arnold Fancks Spielfilm DER HEILIGE BERG, ein recht einfältiges Eifersuchtsdrama mit atemberaubenden Naturaufnahmen, machte Leni Riefenstahl praktisch fast über Nacht zum Star. Sie blieb dem Bergfilm viele Jahre lang treu, bis sie im Nationalsozialismus hinter der Kamera Karriere machte. Anders als Zarah Leander oder Pola Negri entsprach Leni Riefenstahl mit ihrem sportlich durchtrainierten Körper, ihrer natürlichen Ausstrahlung und dem keuschen, asexuellen Auftreten ganz dem NS-Ideal der arischen Frau. Ihre Natürlichkeit war jedoch eher ein aus der Not heraus geborenes Kalkül, da sie weder auf Schauspielunterricht noch auf ein ausgeprägtes schauspielerisches Talent zurückgreifen konnte. Die besondere Leistung Riefenstahls bestand darin, sich als Frau im männlich dominierten Filmgeschäft, dazu noch in der männerbündischen Welt des Bergfilms, selbstbewusst durchgesetzt und sich Freiräume für die eigenen ästhetischen Vorstellungen geschaffen zu haben. Eine Ästhetik, die wie geschaffen war, die propagandistischen Forderungen des NS-Staates an das noch junge, allzu eigenwillige aber machtvolle Massenmedium Film zu erfüllen. Siegfried Kracauer wollte bereits in den Bergfilmen präfaschistische Tendenzen erkennen und wies auf Ähnlichkeiten zwischen Berg- und Hitlerkult hin.