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Auslandseinsätze der Bundeswehr (Teil 2) - Die Erdbebenhilfe der Bundeswehr in der Türkei im November / Dezember 1976

Seit ihrer Aufstellung im Jahre 1955 hat die Bundeswehr nicht nur ihre primäre Aufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung wahrgenommen. In großer Zahl wurden deutsche Soldatinnen und Soldaten weltweit zu humanitärer Hilfe und, nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, auch in militärische Einsätze im Rahmen der internationalen Krisen- und Konfliktbewältigung entsandt.

  • BRD (ab 1949)

Hintergrundinformationen

Weitgehend unbekannt ist die Tatsache, dass die Bundeswehr bereits während des Kalten Krieges regelmäßig und bisweilen mit erheblichem Aufwand humanitäre und Katastrophenhilfe im Ausland leistete. Einsätze in der Türkei infolge von Erdbeben haben dabei eine traurige Tradition. Die Region ist durch Naturkatastrophen dieser Art besonders gefährdet, denn im Norden des Landes verläuft die sog. Nordanatolische Verwerfung. Sie ist ca. 900 km lang und erstreckt sich parallel zur Schwarzmeerküste über das Marmara-Meer hinweg bis nach Griechenland. Entlang dieser Linie kommt es immer wieder zu größeren Erdbebenereignissen, allein im 20. Jahrhundert ereigneten sich in der Türkei über einhundert Erdbeben mit Magnituden von 5,0 oder höher.

Bis vor Kurzem halfen Sanitätskräfte der Bundeswehr dabei, die Folgen des verheerenden Erdbebens, das im Februar 2023 den Südosten der Türkei und benachbarte Regionen in Nordsyrien erschütterte, zu lindern. Frühere Einsätze in der Türkei finden sich im Archivgut des Bundesarchivs, unter anderem auch zum Erdbeben-Einsatz im November/Dezember 1976.

Das Zentrum dieses Bebens lag in der Provinz Van, nahe der Grenzen zu Persien (heute Iran) und Armenien, damals noch Teil der Sowjetunion. Am schlimmsten betroffen waren die Städte Muradiye und Çaldıran, über 3.500 Menschen starben. Zigtausende waren obdachlos geworden und damit schutzlos dem Winter ausgeliefert.

Schon am 10. Dezember 1976 informierte eine Pressemitteilung des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) die Öffentlichkeit darüber, dass der gerade einmal zwei Wochen zuvor angelaufene Hilfseinsatz der Bundeswehr in der Türkei wieder beendet werde (Dokument 16). Umfangreich habe die Bundeswehr mit Verkehrsmaschinen der Flugbereitschaft und den Transall-Flugzeugen der Lufttransportgeschwader dringend benötigte Hilfsgüter, Fahrzeuge und Maschinen in das Katastrophengebiet geflogen. Stolz bilanzierte der Informations- und Pressestab des Ministeriums: „Dies war die umfangreichste Hilfsaktion in der Geschichte der Luftwaffe.“ Auf den zeitgleichen Einsatz einer deutschen Sanitätskompanie ging die Pressemitteilung dagegen nur am Rande ein: Deren Unterstützung sei wegen der Anstrengungen des Türkischen Roten Halbmondes nicht weiter erforderlich. Ankara habe der Bundesregierung ihren „Dank für die wertvolle Hilfe, die die 175 Soldaten der Sanitätskompanie geleistet haben, ausgesprochen“.

Bundeswehr entsendet Sanitätseinheit in die Ost-Türkei

Von einer Erfolgsgeschichte konnte allerdings nur bedingt gesprochen werden. Tatsächlich war der Bundeswehreinsatz schon 1976 Gegenstand kritischer Berichterstattung in den deutschen Medien. Hilfsgüter und Ausrüstung stapelten sich zunächst ungenutzt auf dem Flugfeld Van, das knapp 100 Kilometer vom eigentlichen Katastrophengebiet entfernt lag. Das nach einigen Tagen in Van errichtete deutsche Feldlazarett versorgte nur wenige Patienten. Mobile Einsätze der Sanitäter, um den Menschen vor Ort zu helfen, blieben die Ausnahme. All dies und der Umstand, dass die Bundeswehrkräfte trotz des Ausmaßes der Katastrophe schon nach kurzer Zeit in die Heimat zurückkehrten, sind erklärungsbedürftig. Der Blick in das Archivgut ermöglicht die Rekonstruktion des Geschehens.

Seinen Anfang nahm der Einsatz am 25. November 1976, als Verteidigungsminister Georg Leber und Bundeskanzler Helmut Schmidt während eines gemeinsamen Telefonats vereinbarten, Sanitätskräfte in die Türkei zu entsenden. Die Entscheidung, über die Lieferung von Hilfsgütern hinaus auch Soldaten zu entsenden, war wohl beflügelt von einem Hilfseinsatz im oberitalienischen Friaul ein halbes Jahr zuvor. Dort hatte im Mai 1976 ein bis zu 600 Mann starker Pionierverband der Bundeswehr bei Aufräum- und Instandsetzungsarbeiten in der ebenfalls von einem Erdbeben verwüsteten Region unterstützt.

Soweit aus den Kabinettsprotokollen der Bundesregierung ersichtlich, fanden zumindest auf Ebene der Bundesminister keine ressortübergreifenden Beratungen zum geplanten Erdbebeneinsatz in der Türkei statt. So ist möglicherweise auch zu erklären, dass die deutsche Botschaft in Ankara schon frühzeitig über eine gewisse Zurückhaltung der türkischen Seite zur Entsendung von Bundeswehrsoldaten berichtete (Dokument 3), dies im BMVg aber zu keinen erkennbaren Änderungen an der bereits angelaufenen Operation führte. Ein Grund hierfür mag das große Interesse gewesen sein, das Leber und Schmidt am Zustandekommen des Einsatzes hatten (Dokument 2).

Das Archivgut der Abteilung Militärarchiv gibt keine Auskunft darüber, woher dieses Interesse rührte, aber es ist davon auszugehen, dass es zumindest teilweise bündnispolitischen Erwägungen entsprang: Als starke Militärmacht an der Südostflanke der NATO band die Türkei während des Kalten Krieges sowohl im Kaukasus als auch im Schwarzen Meer signifikante Kräfte der sowjetischen Streitkräfte, die ansonsten in Mitteleuropa hätten stationiert werden können. Bundeskanzler Schmidt musste also an einer stabilen Türkei, mit der man gute Beziehungen unterhielt, gelegen sein.

Hürden bei humanitärer Hilfsaktion

Der nach außen mit dem Ziel der humanitären Hilfe und als Geste der Solidarität gegenüber dem Bündnispartner begonnene Einsatz drohte allerdings schnell ein Schlag ins Wasser zu werden. Wie oben dargestellt, mussten die deutschen Soldaten erst mehrere Tage ausharren, bevor sie fernab des eigentlichen Katastrophengebiets ihr Feldlazarett errichten konnten. Ihr selbstständiges Bemühen, den notleidenden Menschen vor Ort medizinische Hilfe angedeihen zu lassen, stieß auf kulturelle Hürden und erntete zudem Kritik türkischer Stellen (Dokumente 8 und 12). Zu allem Überfluss berichtete die Presse in Deutschland ausführlich über die Entwicklungen und Verwicklungen. Schließlich einigten sich die deutsche und die türkische Seite, den Einsatz der Sanitätskompanie nach nicht einmal zwei Wochen gesichtswahrend zu beenden und die Soldaten nach Deutschland zurückzuverlegen (Dokumente 9, 10 und 11).

Der Erdbebeneinsatz von 1976 zeigt, dass auch humanitäre Hilfsaktionen nicht nur von der Bundeswehr selbst als "echte Einsätze" verstanden wurden. Selbst unter dem Eindruck von Verwüstung und menschlichem Leid blieb es nicht aus, dass das von der Katastrophe heimgesuchte Land die „nur“ zur Hilfe entsandte Truppe auch als militärischen Akteur wahrnahm. Aus der Perspektive eines souveränen Staates wie der Türkei kann der Einsatz von fremdem Militär im eigenen Land auch Vorbehalte auslösen. Wie zur Bestätigung zog im vorliegenden Fall ein Vermerk des Auswärtige Amtes denn auch folgendes Fazit: „Die Entsendung der Sanitätskompanie wäre im deutschen wie im türkischen Interesse besser unterblieben. […] Der - zumindest teilweise - Misserfolg der Aktion kann nicht einseitig den Türken angelastet werden.“ [Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1976, S. 365, Anm. 10.]