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Besoldung
Ministerialdirektor von Schlieben berichtet über die Verhandlungen mit den Spitzenorganisationen, betreffend Erhöhung der Gehälter und Löhne. Nach langwierigen Debatten sei man soeben dahin übereingekommen, bei den Arbeitern 12 M pro Stunde Mehrlohn zu gewähren, was bei den Beamten einer[1020] Erhöhung des allgemeinen Teuerungszuschlages um 120% entspräche. Die Organisationen hätten sich mit dieser Regelung einverstanden erklärt, allerdings folgende Erklärung verlesen:
„Die Organisationen erklären, daß das Angebot der Regierung den Teuerungsverhältnissen nicht entspricht. Sie sind einmütig der Auffassung, daß der von ihnen zuletzt gemachte Vorschlag das Mindestmaß dessen darstellt, was sie für erforderlich halten.
Die Organisationen sind gezwungen, unter dem Druck der Verhältnisse und in Anbetracht der großen Notlage ihrer Mitglieder alles zu tun, damit diese umgehend in den Besitz von Barmitteln gelangen. Sie betrachten daher das Angebot nur als eine vorläufige Regelung und behalten sich vor, in nächster Zeit weitere Forderungen zu stellen.
Die Verantwortung für die unzureichende Regelung der Lohn- und Besoldungsverhältnisse muß der Regierung überlassen bleiben.“1
Diese erforderlich werdenden Mehrleistungen des Reichs verursachten einen Gesamtmehraufwand von 127 Milliarden. Der Wunsch der Organisationen, die Erhöhung nicht nur bei dem allgemeinen Teuerungszuschlag, sondern auch bei dem Kopfsatz eintreten zu lassen, und zwar derart, daß ⅔ der Erhöhung auf den Kopfsatz und nur ⅓ auf den allgemeinen Teuerungszuschlag kommen solle, habe nicht die Billigung der Ressorts gefunden und auch nicht die Zustimmung der Länderregierungen, die vor den Verhandlungen mit den Organisationen zu den Fragen gehört worden seien. Entsprechend einer Bitte der Gewerkschaften trage er diese Fragen dem Kabinett zur Entscheidung vor. Er beantrage, es bei der Erhöhung des allgemeinen Teuerungszuschlages wie geschildert zu belassen. Die Erhöhung solle Wirkung vom 1. August haben.
Staatssekretär Stieler macht davon Mitteilung, daß es der Reichsverkehrsverwaltung in den letzten Monaten gelungen sei, einen kleinen Überschuß zu erreichen. Die neuen Erhöhungen der Gehälter und Löhne bedingten zwangsläufig eine weitere Erhöhung der Tarife, und die Reichsverkehrsverwaltung habe sich bereits entschlossen, am 1. September eine 50%ige Erhöhung der Gütertarife eintreten zu lassen. Man hoffe dadurch eine Balancierung des Etats aufrechterhalten zu können.
Der Reichskanzler bat das Reichsfinanzministerium, ihm bis spätestens Montag [21.8.22] eine kurze Zusammenstellung der Beamtengehälter und Löhne zuzusenden, und zwar die Beträge auch in Dollars und Pfund anzugeben, damit er den Herren der Reparationskommission bzw. des Garantiekomitees an Hand dieser Aufzeichnungen die Notlage des deutschen Beamten- und Arbeiterstandes darlegen könne. Ferner erklärte sich auf seinen Wunsch das Reichsfinanzministerium bereit, die Erhöhung der Dienstaufwandsentschädigung der Minister gleichzeitig mit den Gehaltserhöhungen der Beamten dem Reichstagsausschuß zur Beschlußfassung vorzulegen.
Staatssekretär Teucke erklärte, die Reichspostverwaltung habe die letzten[1021] Erhöhungen bei ihrem Etat noch nicht in Betracht ziehen können, werde aber in nächster Zeit über die Erhöhung der Postgebühren beraten. Am 1. Oktober werde wohl eine namhafte Erhöhung der Tarife eintreten.
Das Kabinett erhob gegen die vom Reichsfinanzministerium geplanten Maßnahmen keinen Widerspruch.