1.86.1 (ma12p): Wirtschaftliche Erleichterungsmaßnahmen.

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RTF

Wirtschaftliche Erleichterungsmaßnahmen1.

1

Die in dieser Kabinettssitzung behandelten wirtschaftlichen Erleichterungsmaßnahmen waren teilweise bereits im Schreiben des RWiM an den RFM vom 30. 7. angeregt worden (Dok. Nr. 267).

Den Vorsitz führte Reichsminister Dr. Geßler.

Der Reichsminister der Finanzen berichtete über die in Aussicht genommenen[1032] Maßnahmen. Er sei bereit, die Umsatzsteuer auf 2% herabzusetzen und die Kapitalverkehrssteuern zu ermäßigen. Gegen die Herabsetzung der Umsatzsteuer erhebe allerdings das Ernährungsministerium Einspruch. Er sei jedoch der Meinung, daß durch diese Herabsetzung der Behandlung der Zollvorlage nicht vorgegriffen werde2.

2

Die Ermäßigung der Umsatzsteuer von 2½% auf 2% war bereits in der Zollvorlage der RReg., d. h. im Entwurf eines „Gesetzes über Zölle und Umsatzsteuer“ vorgesehen (RT-Drucks. Nr. 457, Bd. 383 ). Da dieser Entwurf aber auch eine Ermächtigung zur Wiedereinführung von Agrarzöllen enthielt, die zumindest von den sozialistischen Parteien abgelehnt wurde, war mit einer baldigen Verabschiedung der Zollvorlage durch den RT nicht zu rechnen (vgl. Dok. Nr. 288, Anm. 3). Deshalb hatte sich der RFM entschlossen, die von der Wirtschaft geforderte Umsatzsteuerermäßigung vorweg im Verordnungswege durchzuführen.

Der Reichsverkehrsminister teilte mit, daß in seinem Ministerium alles vorbereitet sei, um eine allgemeine 10%ige Ermäßigung der Gütertarife in Kürze vornehmen zu können. Der Zuschlag für die gedeckten Güterwagen solle von 10 auf 5% ermäßigt werden. Die Frage der Ermäßigung der bestehenden Ausnahmetarife müsse noch geprüft werden, ebenso die Frage der Detarifierung. Letztere Prüfung werde längere Zeit in Anspruch nehmen. Die Herabsetzung der Gütertarife könne in eigener Zuständigkeit des Reichsverkehrsministeriums gemacht werden3.

3

Vgl. hierzu Dok. Nr. 293, P. 1, bes. Anm. 6.

Staatssekretär Trendelenburg teilte mit, daß in Oberschlesien und Niederschlesien die Zechen bereit seien, die Kohlenpreise um 10% herabzusetzen. In Sachsen beständen Schwierigkeiten. Die Sachlage werde dort zur Zeit geprüft. Die Zechen des Ruhrreviers hätten sich zu einer Senkung der Kohlenpreise um 10% verpflichtet, sobald die Entscheidung über die Umbildung des Kohlensyndikats gefällt sei. Voraussetzung sei dafür natürlich, daß auch auf anderen Gebieten, insbesondere auf dem Gebiete der Gütertarife, etwas geschehe.

Der Reichsbankpräsident teilte mit, daß die Reichsbank beschlossen habe: 1. die Wiederzulassung des Bankakzepts, 2. die Verlängerung der zulässigen Laufzeit von Wechseln bei der Reichsbank auf 3 Monate, 3. die Erweiterung des bestehenden Diskontierungsgesamtkontingents um 10%4. Die Reichsbank sei weiter bereit, auf die Bankvereinigungen dahin einzuwirken, daß sie normale Kreditprovisionen einhielten, und ebenso auf die staatlichen und kommunalen Geldorganisationen hinsichtlich ihrer Zinsgebarung für hereingenommene Gelder und Spareinlagen.

4

Damit wird die restriktive Kreditpolitik, die die Rbk seit dem 7.4.24 verfolgte, gelockert. Vgl. Dok. Nr. 267, Anm. 3.

Ministerialdirektor Beyerlein erklärte sich für das Reichsernährungsministerium nicht einverstanden mit der vorgesehenen Art der Herabsetzung der Umsatzsteuer. Er stellte den Antrag, die Entscheidung über diese Frage auf Montag [15. 9.] zu vertagen.

Der Reichsminister der Finanzen wandte sich gegen die Auffassung des Reichsernährungsministeriums, daß durch die Vorwegnahme der Herabsetzung der Umsatzsteuer die Zollvorlage gefährdet sei. Es müsse auch bedacht werden,[1033] daß es noch ganz ungewiß sei, wann die Zollvorlage erledigt sei, und man infolgedessen jetzt nicht die Erledigung der Herabsetzung der Umsatzsteuer auf ungewisse Zeit vertagen könne5. An sich habe er keine Bedenken, die Entscheidung auf Montag zu vertagen; entscheidend müsse jedoch die Auffassung des Reichsverkehrsministeriums sein bezüglich des Termins der Herabsetzung der Gütertarife.

5

Vgl. Anm. 2.

Der Reichsverkehrsminister hielt es für außenpolitisch untragbar, die Gütertarife in derselben Sitzung herabzusetzen, in der über die Zusammensetzung des Verwaltungsrats der Eisenbahn Beschluß gefaßt werden solle6. Er teilte außerdem mit, daß der Eisenbahnkommissar sich mit einer Herabsetzung der Gütertarife abfinden werde, wenn sie sich einreihe in ein Gesamtprogramm der Reichsregierung zur Erleichterung der wirtschaftlichen Verhältnisse.

6

S. Dok. Nr. 300, P. 6.

Staatssekretär Trendelenburg bat, die erforderlichen Erleichterungsmaßnahmen noch heute zu beschließen; alles warte darauf, und durch ein Hinauszögern würde der Wirtschaft nur Schaden beigefügt.

Der Reichswehrminister versprach sich von einer Vertagung auf Montag keinen Vorteil.

Staatssekretär Sautter teilte mit, daß der Reichspostminister noch in diesem Monat beabsichtige, dem Verwaltungsrat der Reichspost eine Vorlage betreffend Herabsetzung der Postanweisungs- und Postscheckgebühren zu unterbreiten.

Ministerialdirektor Beyerlein fragte, ob beabsichtigt sei, auch die Ausnahmetarife für landwirtschaftliche Bedarfsartikel und landwirtschaftliche Produkte zu ermäßigen.

Der Reichsverkehrsminister teilte mit, daß zunächst an eine Einbeziehung dieser Tarife in die allgemeine 10%ige Ermäßigung nicht gedacht sei.

Der Reichsminister der Finanzen und der Reichswehrminister hielten die Auslassung dieser Tarife für politisch außerordentlich bedenklich, besonders die Auslassung der Tarife für künstliche Düngemittel. Sie baten den Reichsverkehrsminister, doch nochmals diese Frage zu prüfen.

Der Reichsverkehrsminister sagte zu, im Benehmen mit dem Reichsernährungsministerium die Frage sofort nochmals zu prüfen.

Das Kabinett stimmte daraufhin den vorgeschlagenen Maßnahmen unter Ablehnung des Vertagungsantrags von Ministerialdirektor Beyerlein zu.

Der Reichsminister der Finanzen teilte den Text einer Pressenotiz mit. Die endgültige Fassung solle die Reichskanzlei im Benehmen mit den zuständigen Ressorts herstellen. Dabei solle die Notiz ergänzt werden durch einen Hinweis darauf, daß nunmehr auch die übrige öffentliche Wirtschaft, insbesondere die Gemeinden, der Reichsregierung bei ihrem Vorgehen zur Senkung der Preise folgten.

[1034] Für die Pressenotiz wurde im Benehmen mit den zuständigen Ministerien nachmittags in der Reichskanzlei die in der Anlage beigefügte Fassung festgelegt7.

7

In der Presseerklärung der RReg. heißt es: „Nach Annahme der Gesetzentwürfe im Anschluß an das Londoner Abkommen [zur Durchführung des Dawes-Plans] ist die Sorge der RReg. darauf gerichtet, die Lasten, auf deren Aufbringung das dt. Volk sich einrichten muß, möglichst tragbar zu machen. Daher kommt es in erster Linie darauf an, alle Voraussetzungen für den Wiederaufbau der Wirtschaft zu schaffen. […] Die Wirtschaft kann nur dann wieder aufleben, wenn es gelingt, die aus der Inflationszeit stammenden Belastungen des Wirtschaftslebens soweit als möglich zu beseitigen, insbesondere das noch immer teilweise über dem Friedensstand liegende Preisniveau zu senken. Die RReg. trifft zu diesem Zweck eine Reihe von wirtschaftlichen Maßnahmen, die gemeinschaftlich dazu bestimmt sind, die Hemmungen einer gesunden Entwicklung zu beseitigen und daher keinen Aufschub vertragen.“ U. a. werden folgende Maßnahmen angekündigt: Ermäßigung der normalen Gütertarife und einiger Sondertarife um 10% ab 18. 9.; Ermäßigung der Kohlenpreise, und zwar zunächst für schlesische Steinkohle um 10%; Erhöhung des Kreditkontingents der Rbk um 10% und sonstige Krediterleichterungen; Herabsetzung der Umsatzsteuer von 2½% auf 2% sowie Ermäßigung der Gesellschafts- und Wertpapiersteuer mit Wirkung vom 1. 10. Die RReg. spricht die Erwartung aus, daß ihr die gesamte private und öffentliche Wirtschaft „auf dem Wege zur Senkung des Preisniveaus folgt“. (Text der Erklärung in der Anlage zum obigen Protokoll; veröffentlicht in der Tagespresse, z. B. in DAZ Nr. 432 vom 13. 9.).

Die angekündigte Ermäßigung der Umsatzsteuer, der Gesellschafts- und Wertpapiersteuer wird durchgeführt auf Grund einer „VO des RPräs. über wirtschaftlich notwendige Steuermilderungen“ vom 14.9.24 (RGBl. I, S. 707 ).

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