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5. Bericht über Genua.
Reichsmin. Hermes8 führte zunächst aus, daß die Aufnahme der Delegation in Genua eine äußerst liebenswürdige gewesen sei. Er habe es als hauptsächlichste[748] Aufgabe betrachtet, eine für die Lösung des Reparationsproblems günstige Atmosphäre zu schaffen. Zu diesem Zwecke habe er außerhalb der offiziellen Sitzungen mit den Vertretern zahlreicher Länder, darunter auch der neutralen, verhandelt und versucht, die Vertreter über die wahre Lage Deutschlands aufzuklären9.
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Hermes hatte die Konferenz von Genua verlassen und am 28.4.1922 in Würzburg die Eröffnungsrede auf der Konferenz der Finanzminister der deutschen Länder gehalten; im Anschluß an diese Konferenz war er nach Berlin weitergereist (siehe DAZ Nr. 194 vom 26.4.22, Nr. 198 vom 28.4.22 und Nr. 201 vom 30.4.22). Bei seiner Verabschiedung in Genua hatte er einem Vermerk Rathenaus vom 25.4.1922 zufolge diesem folgende Mitteilung gemacht: „Er habe in letzter Zeit wiederholt mit Delacroix gesprochen und dieser habe ihm nahegelegt, doch gelegentlich einmal nach Paris zu kommen, um dort die Reparationsfrage mit ihm und den übrigen Mitgliedern der Reparationskommission zu besprechen. Er fragte mich, ob ich gegen eine solche Reise Einwendungen hätte. Ich antwortete, daß an sich Bedenken hinsichtlich dieser Arbeitsteilung beständen, daß diese aber im Einzelfall im Hinblick auf das persönliche Verhältnis und Zusammenarbeiten zurückgestellt werden könnten. Grundsätzlich müsse das Auswärtige Amt sich alle Fragen in Reparationsangelegenheiten vorbehalten, und wenn somit im Einzelfall in freundschaftlichem Zusammenarbeiten eine Ausnahme konzediert werden könne, so müsse das Amt jederzeit das Recht haben, die Geschäfte in jedem Augenblick wieder zurückzuverlangen, um sie auf sich zu konzentrieren. – Ein zweites Bedenken bestehe hinsichtlich der Reise und ihres Zeitpunktes. Ich selbst sei vor einigen Wochen von Poincaré aufgefordert worden, nach Paris zu kommen und hätte dies aus bestimmten Gründen abgelehnt. Unter keinen Umständen dürfe ein deutscher Minister ohne ausgesprochenen Wunsch der Französischen Regierung nach Paris gehen, und auch hinsichtlich der Erfüllung dieses Wunsches und der Beurteilung des Zeitpunktes sei ausschließlich die außenpolitische Leitung zuständig.“ (AA, Büro Reichsminister, Genua 5 h adh. 2).
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Nach Bergmann hat sich Hermes für sein Auftreten in der Konferenz von Genua überall Sympathien erworben (Bergmann, Reparationen, S. 165).
Gleich nach Eröffnung der Konferenz sei eine sogenannte Finanzkommission gebildet worden unter Vorsitz des Sir Robert Horne. Unter der sehr bestimmten Leitung des Engländers sei es gelungen, innerhalb 14 Tagen die Finanzfragen einer Lösung nahe zu bringen. Die Finanzkommission habe 3 Unterkommissionen gebildet und zwar 1. für Währung, 2. für Wechselkurse, 3. für Kredite. Der Vorschlag, daß die 5 einladenden Mächte je 1 Vertreter, Deutschland und Rußland ebenfalls einen Vertreter zu der Finanzkommission stellen sollten, wie es in der politischen Kommission bereits erfolgt sei, stieß auf den Widerspruch des Franzosen Picard, der den Gegenvorschlag machte, daß die einladenden Mächte je 1 Vertreter und sämtliche übrigen Mächte 6 Vertreter stellen sollen. Falls der französische Vorschlag durchgedrungen wäre, hätte sich der Fall ereignen können, daß Deutschland und Rußland überhaupt nicht in der Finanzkommission vertreten gewesen seien. Dem Vorschlage Picards widersprach Horne, worauf Picard den Antrag zurückzog. Die Grundlage der Verhandlungen bildete das sogenannte Londoner Memorandum10.
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Bericht über die Arbeiten der Zweiten Kommission für Finanzfragen siehe Weißbuch „Material über die Konferenz von Genua“ S. 69 ff.; Londoner Memorandum siehe dort, S. 26 ff. (RT-Drucks. Nr. 4378, Bd. 373).
Der Reichsfinanzminister berichtete dann weiter eingehend über die Verhandlungen in den einzelnen Unterkommissionen anhand der Auszüge des Londoner Memorandums. Der ersten Unterkommission für Währung sei ein Gutachten der sogenannten Experten-Kommission unterbreitet worden, das als für Deutschland günstig zu betrachten sei. Dieses Gutachten habe die Unterkommission angenommen, und auch die Hauptfinanzkommission habe sich auf den gleichen Standpunkt gestellt. Die bevorstehende Zusammenkunft der Zentral-Notenbanken werde auch hier weitere Klärung bringen11. Der deutsche Ergänzungsantrag[749] betr. Kapitalflucht, sei dem Völkerbund überwiesen worden. Auch in den anderen Unterkommissionen hätten die Verhandlungen eine für die deutsche Delegation günstige Wendung genommen. Die Hauptfinanzkommission hätte schließlich einer Resolution zugestimmt, die dahin ging, daß 1. grundsätzlich Privatanleihen anzustreben seien, während Anleihen von Regierung zu Regierung auf Ausnahmefälle zu beschränken seien, 2. die Balancierung des Budgets anzustreben sei, 3. eine Herabsetzung der Staatsausgaben erfolgen müsse, 4. daß über die finanzielle Lage jedes einzelnen Landes genaue Aufstellungen erwünscht wären12. Im großen und ganzen sei das Ziel, eine Klärung über die allgemeine Lage Deutschlands herbeizuführen, in Genua erreicht worden. Die Londoner Auffassung, daß es jedem einzelnen Staate möglich sei, durch Einschränkung der Inflation und durch Herabsetzung seiner Ausgaben seinen Etat in Ordnung zu bringen, sei wohl als endgültig verlassen anzusehen. Genua sei nach seiner Auffassung eine Etappe auf dem Wege zur Gesundung der Weltwirtschaft. Er werde wohl in der Lage sein, in den nächsten Tagen dem Kabinett über die weiter einzuschlagenden Wege zu berichten.
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Entschließung 12 der Kommission für Finanzfragen lautete: „Mit Rücksicht auf die weitere Entwicklung der dauernden Zusammenarbeit zwischen den Zentralbanken und den Banken, die das Kreditwesen in den verschiedenen Ländern regulieren, wie in Entschließung 3 anempfohlen worden ist, legt die Konferenz nahe, die Bank von England aufzufordern, daß sie sobald als möglich eine Zusammenkunft der genannten Banken veranlaßt, um die von der Konferenz angenommenen Vorschläge zu beraten und um ihren Regierungen anzuempfehlen, ein internationales Übereinkommen über das Geldwesen abzuschließen.“ (RT-Drucks. Nr. 4378, S. 77, Bd. 373).
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Siehe Entschließung 16–19 der Kommission für Finanzfragen (RT-Drucks. Nr. 4378, S. 79 f, Bd. 373).
VizekanzlerBauer dankt dem Herrn Reichsfinanzminister für den eingehenden Vortrag.
Reichsmin. Geßler warf noch die Frage der Sanktionen, die eventuell am 31. Mai zu erwarten seien, auf13.
Reichsmin. Hermes erwidert, daß nach wie vor die Lage sehr ernst sei, daß er aber immer noch hoffe, daß das Schlimmste von Deutschland abgewendet werden könne.
Damit wurde die Debatte über diesen Punkt geschlossen.