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Franzosen-Besuch.
Der Reichskanzler erklärte, daß er die Ministerbesprechung veranlaßt habe, um Klarheit über die Sprachregelung für den französischen Ministerbesuch herbeizuführen1. Bisher sei nicht bekannt, was der französische Ministerrat in der Sitzung zur Vorbereitung des Berliner Besuchs besprochen habe2. Möglicherweise werde man französischerseits konkrete Vorschläge machen. Er empfehle jedoch, sich auf irgendwelche größeren Programme nicht einzulassen Wenn man mit den Franzosen zu einer Zusammenarbeit kommen wolle, so könne dies zunächst nur auf wirtschaftlichem Gebiete geschehen. Gedacht sei an die Einsetzung eines deutsch-französisch gemischten Komitees3. Im übrigen werde es in den Gesprächen der Franzosen voraussichtlich keinen Punkt geben, der nicht letzten Endes auf einen Versuch herauslaufe, die Wiederaufnahme der Reparationszahlungen nach dem 1. Juli 1932 in Gang zu bringen. Der Reichskanzler ging sodann eine Reihe von Punkten durch die, in einer vom Auswärtigen Amt verfaßten Zusammenstellung4 für die Sprachregelung[1743] niedergelegt sind. Er empfahl bei allen Gesprächen größte Zurückhaltung zu üben. Er werde am Vormittag des 27. September mit dem französischen Ministerpräsidenten allein eine Aussprache haben5. Bei dieser Gelegenheit werde er das Terrain sondieren und je nach dem Ausfall dieser Besprechung für die gemeinsame Unterhaltung mit den Franzosen am Nachmittag des 27. September eine kurze, interne, vorbereitende Besprechung veranlassen. In dem Gespräch mit den Franzosen müsse man schrittweise zu unseren eigenen Sachen kommen. Mit einer französischen Anleihe sei nicht zu rechnen. In der Reparationsfrage insbesondere sei äußerste Zurückhaltung geboten. Vom deutschen Standpunkt aus müsse man in erster Linie danach trachten, den Stillhalteblock zu verlängern. Ferner empfehle er das deutsche Interesse an der Durchführung der Resolutionen des Zehner-Ausschusses des Genfer-Europa-Komitees6 besonders zu betonen. Ferner sei es angezeigt, in den Gesprächen nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, als stehe man in Deutschland vor chaotichen Zuständen. Man müsse im Gegenteil darauf hinweisen, daß Deutschland bisher seinen Zahlungsverpflichtungen nachgekommen sei und somit begründete Hoffnungen habe, der Lage Herr zu bleiben.
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Zur Einladung des frz. MinPräs. und des AM s. Dok. Nr. 442, P. 3.
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Luther notierte am 26.9.31 in sein Tagebuch, er habe gehört, daß MinPräs. Laval mit seiner Absicht, das dt.-frz. Gesamtproblem offiziell in Berlin zu besprechen, bei den Kabinettsberatungen nicht durchgedrungen sei. Die frz. öffentliche Meinung sei noch nicht so weit. Deshalb solle offiziell nur das beschränkte Programm einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit besprochen werden. Inoffiziell wolle Laval trotzdem über die gesamte Lage sprechen, besonders über die Auswirkungen der englischen Pfundkrise und ob es zweckmäßig erscheine, eine wirtschaftliche und politische Konferenz einzuberufen. Ein weiterer Gesprächsgegenstand werde voraussichtlich die Frage einer weltweiten Abwertung sein (Nachl. Luther Nr. 366, Bl. 108–109).
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Vgl. Dok. Nr. 442, Anm. 12.
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Diese Aufstellung befindet sich in R 43 I/70. Folgende bilaterale Probleme sollten nach der Auffassung des AA während des Besuchs erörtert werden: 1. Freiheit und Sicherheit des Reiseverkehrs a) Aufhebung des Visazwangs; b) Beseitigung der sich aus der Kriegsbeschuldigtenliste und den Kontumazialurteilen ergebenden Beschränkungen. 2. Anbahnung einer „Kameraderie“ der beiden Armeen. Die Initiative hierzu müsse von Frankreich ausgehen. 3. Dt. Staatsangehörige seien noch immer von einem Niederlassungsrecht in Marokko und in der internationalen Tangerzone ausgeschlossen. 4. Saarfrage. 5. Reparationsfrage (R 43 I/70, Bl. 2). Außerdem enthält der Aktenband Materialien über das Abrüstungsproblem (R 43 I/70, Bl. 80–119). In einer undatierten, nicht gekennzeichneten Aufzeichnung über die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zu Frankreich hatte das AA „merkliche Rückschritte“ in der Entwicklung des dt.-frz. Verhältnisses seit der Räumung des Rheinlands im Juni 1930 konstatiert, Frankreich sei über das Ausbleiben jeder Anerkennung auf dt. Seite enttäuscht gewesen. Der Ausgang der RT-Wahl vom 14.9.30 habe diese Empfindungen gesteigert und in Frankreich geradezu Bestürzung hervorgerufen. Die schwere Wirtschaftskrisis habe Frankreich bisher verschont und die frz. Position sehr gestärkt. Die wirtschaftliche und finanzielle Macht habe Frankreich als außenpolitisches Instrument gegen die geplante dt.- österreichische Zollunion sowie bei den Verhandlungen über den Hooverplan eingesetzt. Zwar habe sich die Stimmung seit dem Besuch des RK in Paris im Juli 1931 gebessert, dennoch bestehe zur Zeit nur die Möglichkeit, die dt.-frz. Beziehungen durch die Erörterung gemeinsamer wirtschaftlicher Probleme zu verbessern und durch den amtlich geförderten Versuch größerer wirtschaftlicher Zusammenarbeit auch in dritten Ländern zwischen den beiden Staaten den Weg für eine politische Entspannung zu bahnen. Der kulturelle Austausch mit Frankreich habe sich in den letzten Jahren erfreulich entwickelt (Durchschrift in R 43 I/70, Bl. 76–79).
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S. Dok. Nr. 489.
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Vgl. Dok. Nr. 504.
Der Herr Reichsminister des Auswärtigen ergänzte diese Darlegungen durch besondere Ausführungen über den Plan der Einsetzung einer deutsch-französisch gemischten Wirtschaftskommission. Er führte aus, daß eine Kommission aus je 10 Regierungsvertretern gebildet werden solle und daß man französischerseits beabsichtige, die Kommission beiderseits durch 10 Wirtschaftssachverständige zu verstärken. Während die Franzosen die Wirtschaftssachverständigen zu ständigen Mitgliedern zu machen beabsichtigen, empfehle er, die Persönlichkeiten der Wirtschaftssachverständigen von Fall zu Fall zu ändern. Der Vorsitz der Kommission werde formell den beiderseitigen Außenministern zugedacht. Die Leitung der praktischen Arbeit müsse aber in anderen Händen liegen. Auf der französischen Seite sei dafür vorgesehen der Nachfolger des Botschafters Poncet, Herr Gignoux. Deutscherseits habe man noch keine bestimmten personellen Vorschläge. Die Kommission soll noch während des französischen Besuchs konstituiert werden. Die während des Besuchs zu leistende sachliche Arbeit hoffe man bereits am 27. September abschließen zu können. Am 28. September werde man dann ein gemeinsames Kommuniqué vereinbaren7.
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S. das Kommuniqué vom 28.9.31 im WTB Nr. 2048 vom 28.9.31 (R 43 I/69, Bl. 188; Schultheß 1931, S. 209 f.; Ursachen und Folgen, Bd. VIII, S. 217 f.).
Der Reichswehrminister führte aus, daß ihm der französische Besuch in verschiedenen Beziehungen große Sorge mache. Er ersuche eindringlichst, die[1744] getroffenen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz der französischen Gäste und die Vorkehrung zur Vermeidung von Demonstrationen so wirksam wie möglich zu gestalten, da die Folgen von Zwischenfällen politisch unabsehbar sein würden8. Ferner glaubte er davor warnen zu müssen, sich mit den Franzosen auf sachlichem Gebiete allzuweit einzulassen. Er habe die Beobachtung gemacht, daß man in Deutschland in weiten Kreisen in der Frage unserer Beziehungen zu Frankreich völlig falsch eingestellt sei. Gewiß müsse man auf lange Sicht gesehen mit Frankreich zu einer Verständigung kommen. Man müsse sich aber davor hüten, sich den Franzosen gewissermaßen an den Hals zu werfen. Von den Leuten, die mit größter Hartnäckigkeit den Versuch machen, den Regierungsstellen Ratschläge zur Verbesserung der Beziehungen zu Frankreich zu erteilen, verfolge der größte Teil eine Privatpolitik. Darum unterstütze er die Worte des Herrn Reichskanzlers nach größter Zurückhaltung in den Gesprächen mit den französischen Gästen. Anderenfalls sei das politische Spiel für uns verloren. Es genüge auch nicht, mit der französischen Regierung in gutes Einvernehmen zu kommen. Hinter der Regierung stehe der General Weygand mit seinem ungeheueren Einfluß9. Weygand aber sei der Vertreter der Politik, die es auf die Vernichtung Deutschlands abgesehen habe10.
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Vgl. zu der Gefahr von Ausschreitungen das Schreiben des Vorsitzenden der Vereinigten vaterländischen Verbände Dtlds, Graf von der Goltz, an den RK vom 7.9.31: „Auf Grund persönlicher Beobachtung halten wir uns verpflichtet, Ihnen mitzuteilen, daß die vaterländische Bewegung durch den bevorstehenden Besuch französischer Minister sich in wachsender Erregung befindet. Man sieht in diesem Besuch nicht einen Höflichkeits-Erwiderungsbesuch, sondern den Versuch, durch weitere Verhandlungen neue Zugeständnisse von Deutschland zu erpressen. Diese Erwägung und diese Erregung beruht [!] auf dem Gesamtverhalten Frankreichs seit dem Weltkriege und insbesondere in den letzten Monaten. Man hat kein Verständnis dafür, daß die französischen Minister, nach allem was vorgefallen ist, überhaupt noch den Mut haben, als ‚Gäste‘ nach Deutschland zu kommen. Alles das hat mit angeblichem deutschen Chauvinismus nicht das geringste zu tun, im Gegenteil, es wäre eines großen Volkes unwürdig, wenn es anders dächte. Wir halten es daher geradezu für die Aufgabe der deutschen Diplomatie, diesen Besuch zu verhindern“ (R 43 I/69, Bl. 75).
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Vgl. auch Mussolinis Äußerung gegenüber dem RK: Dok. Nr. 440, P. 3.
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In seiner Tagebuchaufzeichnung über diese Ministerbesprechung schrieb StS Schäffer: „Ich habe das Gefühl, daß die Groenersche Rede vorher zwischen ihm und dem Kanzler vereinbart war, einmal, um eine Annäherung einzelner Leute an die Franzosen zu verhindern (z. B. Wirth), ein andermal, um die Verantwortung für die persönliche Sicherheit auf die Preußen abzuschieben“ (Nachl. Schäffer, IfZ ED 93, Bd. 14, Bl. 845–850, hier Bl. 850).
Der Reichskanzler schloß die Aussprache mit dem Bemerken, daß aus der Aussprache mit den Franzosen nur dann etwas Ersprießliches herauskommen könne, wenn man das sehr schmale Terrain der Verständigungsmöglichkeiten nicht verlasse und Diskussionen auf breiterer Basis möglichst aus dem Wege gehe.