2.248.1 (cun1p): [Regierungswechsel]

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Das Kabinett Cuno Wilhelm Cuno Bild 183-1982-0092-007Französischer Posten Bild 183-R43432Posten an der Grenze des besetzten Gebietes Bild 102-09903Käuferschlange vor Lebensmittelgeschäft Bild 146-1971-109-42

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Text

RTF

[Regierungswechsel]

Marx: Die Verhandlungen mit den Sozialdemokraten haben ergeben, daß die hier Anwesenden unübersteigliche Hindernisse zur Bildung einer Regierung auf der Grundlage der großen Koalition nicht für gegeben erachten2.

2

Die Führer der bürgerlichen Mittelparteien hatten im Anschluß an die Besprechung beim RK mit der SPD-Führung verhandelt.

[744] Reichskanzler Wir müssen selbstverständlich die Prärogative des Herrn Reichspräsidenten wahren, daher wird es richtig sein, die bisherigen Besprechungen mehr als private Vorbesprechungen zu betrachten. Ich werde mich nun mit ihm ins Benehmen setzen, und er wird dann wohl seine Berufungen ergehen lassen. Meinen Brief gebe ich dem Herrn Reichspräsidenten zu treuen Händen mit der Anheimgabe der Veröffentlichung zu dem von ihm zu bestimmenden Zeitpunkt.

Marx: Eine Rücksprache mit Brauns hat ergeben, daß Brauns in der Kabinettssitzung3 von grundsätzlichen Irrtümern ausging. Ich habe gestern abend dem Vorstand über unsere Unterredung berichtet. Es wurde dann noch schärfer als ich es getan hatte festgestellt, daß das Kabinett am Ruder bleiben solle, bis ein anderes gebildet sei. Dabei war Brauns anwesend.

3

Gemeint ist offenbar die Ministerbesprechung vom 12. 8. (Dok. Nr. 246).

Reichskanzler Brauns entwickelte den Gedankengang so, daß der kommunistische Antrag die Sozialdemokraten unter Druck gesetzt habe, daß Hermann Müller anfangs gesagt habe, seine Fraktion werde ablehnen und den Antrag überhaupt nicht zur Beratung kommen lassen, daß dann aber die Fraktionssitzung ein eigenes Mißtrauensvotum faßte4. Das löste den Gedanken aus, daß die Lage nunmehr für das Kabinett untragbar sei, und daß man nun die große Koalition bilden müsse.

4

Der Beschluß der SPD-Fraktion erfolgte am 11. 8. (s. Anm. 2 zu Dok. Nr. 246). Am Schluß der RT-Sitzung vom 10. 8. aber hatte die SPD bereits dafür plädiert, die nächste Sitzung am 11. 8. nachmittags abzuhalten, um über die Anleihevorlage und den kommunistischen Mißtrauensantrag zu verhandeln. Doch sprach sich die Mehrheit des RT für den 13. 8. als nächsten Sitzungstermin aus (RT-Bd. 361, S. 11835 ). Wegen der Regierungsneubildung wird der Zusammentritt des RT dann auf den 14. 8. verschoben, so daß der Mißtrauensantrag der KPD im RT überhaupt nicht zur Verhandlung kommt, weil er inzwischen gegenstandslos wird.

Marx bittet um entsprechende Fassung des Schreibens, damit es nicht aussehe, als sei das Kabinett von den Parteien der Arbeitsgemeinschaft gestürzt.

Reichskanzler Vielleicht ist es eine Erleichterung, wenn ich in einem Nebensatz beifüge „zumal mir meine Gesundheitsverhältnisse schon mehrfach zu gewissenhafter Prüfung die Frage vorlegten, ob ich in der Lage sei, in den kommenden schweren Zeiten die Geschäfte weiterzuführen.“ In der Tat war für mich, wie Sie erkannten, der Beschluß der Sozialdemokraten ein schwerer Schlag. Ich mußte mich fragen, ob ich die Regierung weiterführen könne. Aber das hätte noch gehen können, wenn ich nicht die Überzeugung bekommen hätte, daß auch in manchen Parteien die Idee Raum gewonnen hätte: Ist das Kabinett das richtige? Ist es nicht besser, ein anderes an seine Stelle zu setzen? Herr Marx hat vor zwei Tagen, als es sich darum handelte, ob am Sonnabend [11. 8.] oder Montag die Reichstagssitzung über das Anleihegesetz stattfinden solle, Herrn Albert gesagt, sie am Sonnabend zu halten, gehe nicht trotz der sachlichen Gründe, die Albert anführte, weil man sonst am Sonnabend den Antrag der Sozialdemokraten habe; bis zum Montag wird sich vielleicht die große Koalition bilden lassen. Ich habe wahrheitsgemäß die Überzeugung mitgenommen, wenn den Herren die große Koalition gelingt, glauben sie, damit den Interessen des Landes am besten zu dienen.

[745] Marx: Im Schreiben könnte vielleicht gesagt werden, daß aus Presseorganen der Reichskanzler den Eindruck gewonnen habe, daß man die große Koalition für wünschenswert halte.

Reichskanzler Es ist wichtig festzustellen, daß aus Verhandlungen dieser Eindruck gewonnen wurde.

Marx: Es kann wohl gesagt werden, daß sich aus Presseorganen ergab, daß in den Parteien die Auffassung bestand.

Koch empfiehlt Hinweis, daß Wunsch, große Koalition zu bilden, nicht erst bei dieser Gelegenheit, sondern schon seit langer Zeit die Öffentlichkeit und die Parteien beherrscht.

Reichskanzler Wenn ich so sagen würde, sähe es aus, als ob ich seit acht Monaten nur darauf warte, bis sich die Koalition bildet. Es wird mindestens gesagt werden müssen, daß ich die Überzeugung gewann, daß in den Parteien der Arbeitsgemeinschaft eine Regierung der großen Koalition als parlamentarisch stärkerer Ausdruck des Widerstandswillens erwünscht sei.

Leicht: Als wir weggingen, war die Auffassung die, daß, wenn die Möglichkeit bestände, die Sozialdemokraten zu entsprechender Interpretation oder zu Verzicht auf ihren Beschluß und dazu zu bringen, daß sie eine gewisse sachliche Unterstützung in Aussicht stellten, dann die Regierung bleiben solle.

Am Schlusse erklärte der Reichskanzler daß er im Schreiben der gegenwärtigen Lage gern möglichst Rechnung tragen und nun alsbald dem Herrn Reichspräsidenten mündlich und schriftlich die Demission mitteilen werde5.

5

Das Demissionsschreiben Cunos wird lt. Vermerk Hamms am 12. 8., 21.45 h durch Boten dem RPräs. zugestellt (R 43 I /2915 , Bl. 85). Es lautet wie folgt: „Herr Präsident! Als ich, Ihrem Ruf folgend, die Leitung der Regierung übernahm, gab ich der Überzeugung Ausdruck, daß angesichts des Ernstes der uns bevorstehenden Zeiten nur eine völlig einheitliche Zusammenfassung aller Kräfte Deutschland vor schwerem Unheil bewahren werde. Während der seitdem verstrichenen fast neun Monate ließ ich mich bei der Führung der Politik stets von dem Bestreben leiten, der Verwirklichung jener Zusammenfassung aller Kräfte den Weg zu ebnen. In der Tat haben die Grundlinien der auswärtigen Politik der RReg., hat ihre Stellung im Abwehrkampf im Ruhrgebiet und am Rhein, haben wichtigste wirtschaftliche und steuerliche Maßnahmen, wie unlängst das Gesetz zur Sicherung der Brotversorgung, die eben verabschiedeten Steuergesetze und die Aktion der großen wertbeständigen Anleihe die Zustimmung aller den Staatsgedanken bejahenden Kräfte gefunden. Der Wille der Nation, sich im Kampfe um Leben und Freiheit zu behaupten, kam darin zum klaren einmütigen Ausdruck. Aus der Entwicklung der letzten Tage habe ich die Überzeugung gewonnen, daß nach einer in weiten Kreisen der berufenen Vertretung des Volkes vorherrschenden Ansicht der entschlossene Wille zur Selbstbehauptung noch stärker und noch nachdrücklicher durch eine Regierung verkörpert würde, die von einer Koalition großer Parteien gebildet und damit von einer starken festen Mehrheit des RT getragen ist. [Vgl. dazu die Fassungen in Anm. 11 und 14 zu Dok. Nr. 246]. Ich bitte daher, Herr RPräs., mein Amt und die Ämter der Herren RM hiermit in Ihre Hände zurücklegen zu dürfen.“ (Letzter Entwurf mit kleinen handschriftlichen Verbesserungen Hamms in R 43 I /2915 , Bl. 86). Das Demissionsschreiben wird am 13. 8. über WTB verbreitet zugleich mit der Erklärung, daß Stresemann vom RPräs. mit der Bildung eines neuen Kabinetts beauftragt worden sei (R 43 I /1305 , Bl. 95). Am 13. 8. wird Cuno die Entlassungsurkunde ausgestellt, am selben Tag erhält Stresemann seine Ernennung zum RK (Abschriften in R 43 I /1305 , Bl. 98; 99).

Marx sprach alsdann dem Reichskanzler den aufrichtigen persönlichen Dank der Parteiführer wie der Fraktionen für Amtsführung und jederzeit bezeugtes Vertrauen wie die persönlichen Sympathien und Wünsche aus.

[746] Die anderen Herren stimmten zu6.

6

Der neue RK Stresemann erklärt am 14. 8. vor dem RT u. a.: „Der Herr RK Dr. Cuno hat Gegner seiner Politik, aber er hat keinen persönlichen Feind gehabt. Er war eine der wenigen Persönlichkeiten des praktischen Wirtschaftslebens, die dem jungen republikanischen Deutschland ihre Dienste zur Verfügung gestellt haben. Die Kritik der Gegenwart an den Leistungen seines Kabinetts darf nicht vorübergehen an der Tatsache, daß bisher jede Politik zur Konsolidierung der deutschen Verhältnisse von außen unmöglich gemacht wurde.“ (RT-Bd. 361, S. 11839 ). In seiner Antwort auf das Demissionsschreiben Cunos schreibt RPräs. Ebert am 13. 8. u. a.: „Nach der Entwicklung der politischen und wirtschaftlichen Lage und der in den letzten Tagen hervorgetretenen Möglichkeit einer Regierungsbildung auf breiter parlamentarischer Grundlage verstehe und würdige ich die Beweggründe, die Sie und das Kabinett zu Ihrem Rücktrittsgesuch veranlaßt haben; ich habe mich daher entschlossen, Ihre und der Herren RM Demission anzunehmen. Sie haben vor fast neun Monaten, meinem Rufe folgend unter Zurückstellung eigener Interessen und unter persönlichen Opfern, in ernster Lage die Leitung der RReg. übernommen und sich seither mit allen Kräften bemüht, die durch die widerrechtliche Ruhrbesetzung herbeigeführten, sich ständig häufenden Schwierigkeiten und Nöte zu meistern. Namens des Reiches danke ich Ihnen aufrichtig und herzlichst für Ihre mit ernstem Willen und bester Kraft dem Vaterland geleisteten Dienste. Wenn trotz allem die Bedrängnis unseres Volkes in den letzten Wochen immer größer wurde, so sind daran in erster Linie der immer verstärkte außenpolitische Druck und die dadurch erzeugten wirtschaftlichen Nöte schuld und Ursache.“ (Presseausschnitte in R 43 I /1305 , Bl. 121; 123).

Der Reichskanzler erwiderte mit Worten der Genugtuung über das Vertrauen, das er gefunden.

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