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1. Rentenbankkreditanstalt.
Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft berichtete über die Vorlage1.
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Zur Vorgeschichte: § 9 des „Gesetzes über die Liquidierung des Umlaufs an Rentenmarkscheinen“ vom 30.8.24 (RGBl. II, S. 252) sah die Errichtung einer landwirtschaftlichen Kreditanstalt vor, der die derzeit verfügbaren Mittel der in Liquidation gehenden Rentenbank sowie gewisse Überschüsse des zur Einziehung der Rentenbankscheine bestimmten Tilgungsfonds als Kapital überwiesen werden sollten. Zweck der Anstalt sollte die Beschaffung langfristiger Kredite für die Landwirtschaft sein (vgl. Dok. Nr. 249, Anm. 15; Schacht, Die Stabilisierung der Mark, S. 138 f.; Verwaltungs- und Geschäftsbericht der Dt. Rentenbank, 15.11.23 bis 31.12.24, Berlin 1925, S. 9 ff.). Am 14. 10. übersandte der REM den Landesregierungen den Entwurf eines „Gesetzes über die Errichtung der Dt. Rentenbank-Kreditanstalt“, der von Preußen jedoch abgelehnt wurde. Die Pr. Reg. beanstandete u. a. den übermäßigen Einfluß landwirtschaftlicher Interessenorganisationen (Reichslandbund) auf die Anstalt und verlangte, daß wenigstens die Hälfte der Verwaltungsratsmitglieder von den Ländern ernannt werden müsse. Auch sollte die Geschäftstätigkeit der Anstalt so begrenzt werden, daß den bestehenden landwirtschaftlichen Kreditinstituten, etwa der Preußenkasse, keine Konkurrenz entstünde. Anfang Nov. 1924 arbeitete das REMin. einen neuen GesEntw. aus, über den eine Einigung mit den Ländern wiederum nicht erzielt werden konnte. Da die baldige parlamentarische Erledigung des Entwurfs auch wegen der inzwischen erfolgten Auflösung des RT (20. 10.) nicht zu erwarten war, schlug der REM unter Hinweis auf die große Kreditnot der Landwirtschaft vor, die Gründung der Rentenbank-Kreditanstalt mit Hilfe des Art. 48 der RV vorzunehmen, oder aber bis zu einer gesetzlichen Regelung die Rentenbank-Kreditanstalt provisorisch als private Aktiengesellschaft zu errichten. Sowohl die Inanspruchnahme des Art. 48 wie auch der Plan der Aktiengesellschaft wurde von der Mehrheit der Länder unter Führung Preußens verworfen. Preußen trat nun seinerseits mit dem Vorschlag hervor, die Rentenbank solle bis zu einer gesetzlichen Regelung ihre verfügbaren Mittel direkt den bestehenden Kreditinstituten zuführen, die diese Mittel der Landwirtschaft in Form langfristiger Kredite weitergeben würden. Ein solches Verfahren würde dem Rentenmarkliquidierungsgesetz vom 30.8.24 nicht widersprechen und eine überstürzte Errichtung der Rentenbank-Kreditanstalt unter Ausschaltung der verfassungsmäßigen Mitwirkung von RT und RR überflüssig machen. Während die meisten Länder und der RWiM diese Lösung unterstützten, erklärte der REM in seiner letzten Kabinettsvorlage vom 2. 12., die von Preußen vorgeschlagene direkte Übertragung der Mittel der Rentenbank auf die landwirtschaftlichen Kreditinstitute sei mit den Vorschriften des Rentenmarkliquidierungsgesetzes unvereinbar. Die Rentenbank sähe sich daher nicht in der Lage, ihre Gelder anderen Stellen als der Rentenbank-Kreditanstalt zur Verfügung zu stellen. Der RFM und die Rbk hätten diese Stellungnahme der Rentenbank als begründet erachtet. Der GesEntw. über die Rentenbank-Kreditanstalt habe im übrigen die Forderungen der Länder berücksichtigt. Es bestünden aber auch keine rechtlichen Bedenken dagegen, die Kreditanstalt zunächst als Aktiengesellschaft zu begründen (sämtliche Vorgänge in R 43 I/669).
[1200] Staatssekretär Meissner teilte mit, daß der Herr Reichspräsident die Anwendung des Artikel 48 der Reichsverfassung für die Gründung der landwirtschaftlichen Kreditanstalt abgelehnt habe, da seiner Meinung nach andere Wege beständen, um das bis zur gesetzlichen Regelung entstehende Provisorium auszufüllen.
Der Vizepräsident der Reichsbank, Kauffmann, teilte mit, daß der Herr Reichsbankpräsident eine andere Stellungnahme, als das Reichsbankdirektorium bisher vertreten, eingenommen habe. Der Herr Reichsbankpräsident glaube, daß der von Preußen vorgeschlagene Weg gangbar sei.
Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft hielt das für ein vollkommenes Novum und empfahl daher, daß das Kabinett zunächst keine Stellung einnehme, sondern zuvor den Preußischen Herrn Ministerpräsidenten anhöre.
Anwesend während der folgenden Verhandlung außerdem: Ministerpräsident Braun, Preußischer Finanzminister v. Richter, preußische Staatssekretäre Dönhoff, Weber, Ramm, Fritze, Meister.
Der Preußische Ministerpräsident führte aus, aus welchen Gründen er es für notwendig erachtet habe, um eine gemeinsame Sitzung des Reichs- und des preußischen Kabinetts zu bitten.
Der Preußische Finanzminister teilte mit, daß er soeben eine einstündige Unterredung mit dem Reichsbankpräsidenten Dr. Schacht gehabt habe, in der dieser sich in allen Punkten der Auffassung des Preußischen Ministeriums angeschlossen[1201] habe. Unter diesen Umständen müsse die Preußische Regierung an ihrem Standpunkt festhalten und die Reichsregierung bitten, auf die von der Preußischen Regierung vorgeschlagene Lösung einzugehen.
Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft erklärte, daß er durchaus nicht auf seinem Standpunkt beharren wolle, wenn anstelle des von ihm vorgeschlagenen Weges ein anderer neuer Weg für gangbar gehalten werde. Bis zur Stunde könne er sich jedoch noch nicht der von Preußen vorgetragenen Auslegung des Gesetzes über die Liquidierung der Rentenmarkscheine anschließen. Wenn der Reichsbankpräsident jetzt den bisher vom Reichsbankdirektorium eingenommenen Standpunkt verlasse, dann müßten die Ressorts erneut zusammentreten, um auf Grund dieser neuen Tatsache die Angelegenheit erneut durchzuberaten. Er müsse jedoch bitten, daß die soeben über die Stellungnahme des Reichsbankpräsidenten abgegebenen Erklärungen dem Reichskabinett schriftlich vorgelegt würden, damit auf dieser Grundlage eine neue Lösung aufgebaut werden könne.
Der Preußische Ministerpräsident wies darauf hin, daß das Organisationskomitee, insbesondere Kindersley, seinerzeit ihre Zustimmung zu der Abzweigung gewisser Mittel der Rentenbank für landwirtschaftliche Kreditzwecke gegeben hätten. Auf welchem Wege diese Abzweigung durchgeführt werde, sei den Engländern sicherlich gleichgültig. Er müsse jedoch hervorheben, daß, wenn schon die Rentenbank ihre Mittel einer Aktiengesellschaft zur Verfügung stellen könne, sie mit gleichem Recht diese Mittel auch anderen Gesellschaften überweisen könne. Wenn das letztere unzulässig sein solle, dann ginge die Rentenbank auch bei Befolgung des ersten Weges über die Bestimmungen des Gesetzes hinaus. Die endgültige Erledigung der Gründung der Kreditanstalt müsse der ordentlichen Gesetzgebung vorbehalten bleiben. Den gegenwärtigen Kreditwünschen der Landwirtschaft werde durch den von der Preußischen Regierung vorgeschlagenen Weg abgeholfen.
Der Reichskanzler glaubte, daß unter den vorgetragenen Verhältnissen es zur Zeit nicht zweckmäßig sei, die Verhandlungen weiter zu vertiefen. Die neue Stellungnahme der Reichsbank müsse festgelegt werden und danach sollten zunächst die Ressorts eine neue Vorlage ausarbeiten.
Der Vizepräsident der Reichsbank erklärte sich bereit, erneut eine Stellungnahme des Reichsbankdirektoriums herbeizuführen und der Reichsregierung zugehen zu lassen.
Das Kabinett beschloß Vertagung, bis eine neue Vorlage auf Grund der Stellungnahme des Reichsbankdirektoriums von den Ressorts vorgelegt sei2.
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In seiner Stellungnahme vom 4. 12. erklärt das Rbk-Direktorium u. a., daß es auch gegen den preußischen Vorschlag nichts einzuwenden habe, der bis zur gesetzlichen Errichtung der Rentenbank-Kreditanstalt die unmittelbare Überweisung der freien Gelder der Rentenbank an die landwirtschaftlichen Kreditorganisationen vorsieht. – Über diese Frage findet am 9. 12. eine Ressortbesprechung statt. Dabei vertreten – nach einem Vermerk Grävells – alle Ressorts mit Ausnahme des RWiMin. den Standpunkt, daß der Vorschlag Preußens rechtlich unmöglich sei. Die Rentenbank unterbreitet den neuen Vorschlag, eine Treuhandstelle zu errichten und mit der Verwaltung der Gelder der Rentenbank zu betrauen. Dieser Vorschlag soll geprüft und dem Kabinett zur Entscheidung vorgelegt werden (R 43 I/669, Bl. 103-105, 122 ). S. den Kabinettsantrag des REM vom 13. 12.: Dok. Nr. 372, Anm. 2.