1.41 (vpa2p): Nr. 170 Besprechung vom 15. Oktober 1932, 11.30 Uhr

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Nr. 170
Besprechung vom 15. Oktober 1932, 11.30 Uhr

R 43 I /2283 , Bl. 374–375

Anwesend: v. Papen, v. Gayl; RKomPrIMin. Bracht; StS Planck, Zweigert; MinDir Gottheiner; MinR Hoche, Kritzinger; Protokoll: MinR Wienstein.

[Stand des Prozesses vor dem Staatsgerichtshof in der Streitsache Preußen gegen das Reich]

Ministerialdirektor Dr. Gottheiner berichtete, daß die Fortsetzung des Prozesses am Freitag, dem 14., bis zum Montag, dem 17. Oktober 1932, vertagt worden sei1. Es solle noch die Frage der Prozeßvoraussetzungen geprüft werden. Außerdem sollten die Vertreter Preußens sich überlegen, in welcher Weise und in welcher Richtung sie ihre Anträge2 vielleicht abändern könnten3.

1

Die mündliche Hauptverhandlung vor dem Staatsgerichtshof hatte am 10. 10. begonnen und war bis zum 14. 10. ohne Unterbrechung fortgeführt worden. Danach trat eine Pause bis zum 17. 10. ein, an dem die Verhandlung beendet wurde (Stenogrammbericht der Verhandlungen: Preußen contra Reich vor dem Staatsgerichtshof). Zur Entscheidung des Staatsgerichtshofs (25. 10.) s. Dok. Nr. 177, dort bes. Anm 2.

2

Gemeint ist die beim Staatsgerichtshof eingebrachte „Erklärung des Preußischen Staatsministeriums vom 10. August 1932 auf die Gegenerklärung der Reichsregierung vom 5. August 1932“; beide Erklärungen abschrl. in R 43 I /2283 , Bl. 72–112 und 146–182.

3

In der Sitzung am 14. 10. hatte Reichsgerichtspräsident Bumke u. a. ausgeführt: Die von ihm gewünschte Verhandlungspause könne „im sachlichen Interesse“ durchaus nützlich sein, „denn sie wird uns die Möglichkeit geben, auf allen Seiten […] noch einmal der Frage nachzugehen, inwieweit an der Fassung der einzelnen Anträge etwas gebessert werden kann, eine Frage, die mir außerordentlich wesentlich erscheint. Es wird dadurch auch die Möglichkeit geschaffen, daß innerhalb des Staatsgerichtshofs noch einmal die Frage erwogen wird, ob wir unsererseits gewisse Anregungen und Fassungsänderungen geben sollen. Ich lege bei Verhandlungen des Staatsgerichtshofs stets den größten Wert auf zweierlei. Einmal darauf, daß nicht etwa die Herren nachher bei der Entscheidung sich überrascht sehen durch Erwägungen des Staatsgerichtshofs, die in den Verhandlungen gar nicht hervorgetreten sind, und ich bitte daher, auch meine Fragen hier im großen Umfange entschuldigen zu wollen; zweitens aber auch darauf, daß nicht etwa – und das wäre in einer solchen Sache geradezu katastrophal – der Staatsgerichtshof sich genötigt sähe, sachlich berechtigte Anträge, deren Kern er selbst anerkennen muß, nun etwa aus formalen Gründen a limine abzuweisen. Das darf nicht vorkommen.“ (Preußen contra Reich vor dem Staatsgerichtshof, S. 389).

Es habe den Anschein, als wenn der Reichsgerichtspräsident am liebsten einen Vergleich zwischen den streitenden Parteien sehe.

Ministerialrat Kritzinger berichtete, daß der ihm persönlich bekannte Reichsgerichtspräsident ihm gegenüber nach der Sitzung ungefähr folgendes geäußert[784] habe: Es werde nach seiner Ansicht angenehm sein, wenn die Parteien zu einem Vergleich kämen. Preußen komme doch jetzt dem Reich sehr entgegen. Der Reichsgerichtspräsident habe ferner die Frage an ihn gerichtet, ob ein Vergleich an der Haltung der Vertreter Bayerns oder Badens scheitern werde. Diese Frage habe er (Ministerialrat Kritzinger) verneint.

Endlich habe der Reichsgerichtspräsident an ihn die Frage gestellt, ob es nach seiner Ansicht Zweck habe, wenn er, der Vorsitzende, Vergleichsvorschläge mache. Auf diese Frage habe er (Ministerialrat Kritzinger) keine Antwort gegeben.

Ministerialdirektor Dr. Gottheiner berichtete weiter, daß wahrscheinlich die Reichsregierung Recht bekommen werde, insofern als sie ihre Maßnahmen auf Absatz 2 des Artikels 484 stütze. Hinsichtlich des Absatzes 15 sei die Lage sehr zweifelhaft. Er habe den Eindruck, daß die Reichsregierung hier nicht Recht bekommen werde. Sehr schwer sei zur Zeit zu sagen, ob das Urteil diesen Punkt offen lassen oder ausdrücklich feststellen werde, daß die Voraussetzungen des Absatzes 1 des Artikels 48 nicht vorgelegen hätten. Politisch würde letzteres natürlich sehr unangenehm sein.

4

Art. 48 Abs. 2 RV: „Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen.“

5

Art. 48 Abs. 1 RV: „Wenn ein Land die ihm nach der Reichsverfassung oder den Reichsgesetzen obliegenden Pflichten nicht erfüllt, kann der Reichspräsident es dazu mit Hilfe der bewaffneten Macht anhalten.“

Der Reichsminister des Innern vertrat die Auffassung, daß von seiten der Reichsregierung ein Vergleichsangebot nicht in Frage kommen könne. Nach seiner Ansicht solle Ministerialrat Kritzinger dies dem Reichsgerichtspräsidenten telephonisch mitteilen.

Der Reichskanzler stimmte dieser Auffassung zu.

Zum Schluß bezeichnete es Reichskommissar Dr. Bracht als erwünscht, daß der Reichskanzler bei seinen Reden in Paderborn und in Dortmund am 16. Oktober ungefähr folgendes betone: Die Reichsreform sei auf dem Marsche. Die Öffentlichkeit habe sich mit dem in Preußen herrschenden Übergangszustande abgefunden. Die Vorteile einer engen Zusammenarbeit zwischen dem Reich und Preußen hätten sich schon jetzt gezeigt. Selbstverständlich beabsichtige die Reichsregierung nicht, bei der Reichsreform die preußische Willensbildung auszuschalten, auf welche auch die anderen Länder mit Recht Wert legten.

Der Reichskanzler sagte zu, einige dahin gehende Worte zu sprechen6.

6

Zu den Reden des RK in Paderborn und Dortmund s. Dok. Nr. 171, dort auch Anm 8.

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