Text
Nr. 128
Der Reichsminister des Auswärtigen an den Reichskanzler. 17. Juli 1925
[Stellung des Kabinetts zum Memorandum vom 9. Februar 1925]
Sehr verehrter Herr Reichskanzler!
Ich möchte mir gestatten, noch einmal kurz auf die gestrige Ministerbesprechung1 über die Sicherheitsnote zurückzukommen. Bei der Besprechung stand im Mittelpunkt die Frage, ob und inwieweit die deutsche Antwortnote zum Ausdruck bringt, daß das Kabinett auf dem Boden des Memorandums vom 9. Februar steht. Ich habe Verständnis dafür und habe mich damit gestern ja auch einverstanden erklärt, daß seitens des Kabinetts in der parlamentarischen Diskussion bei der Beantwortung jener Frage eine gewisse Vorsicht beobachtet wird. Die Frage hat aber neben der parlamentarischen noch eine zweite Seite, die gestern nicht besonders erörtert worden ist. Das ist die diplomatische Behandlung der Angelegenheit gegenüber den fremden Regierungen.
Es wäre völlig unmöglich, bei den bevorstehenden diplomatischen Unterhaltungen hier in Berlin und in den alliierten Hauptstädten irgendwelche Zweifel darüber aufkommen zu lassen, daß die Reichsregierung zu den Anregungen des Memorandums steht. Ich bin auch überzeugt davon, daß die Alliierten unsere Antwortnote nur in dem Sinne verstehen können und verstehen werden, daß dadurch die Anregungen des Memorandums, wenn auch durch die Note erweitert, so doch an sich in keiner Weise eingeschränkt werden sollen2. Das zu bestreiten oder in der Unterhaltung auch nur vorsichtig zu umgehen, wäre selbstverständlich vollkommen ausgeschlossen, da eine Fortführung der[445] Erörterungen schlechterdings undenkbar wäre, wenn wir die ursprünglichen deutschen Anregungen nicht aufrechterhielten.
Ich nehme an, daß weder bei Ihnen noch bei den anderen Mitgliedern des Kabinetts hierüber eine Meinungsverschiedenheit besteht, möchte das hiermit aber noch einmal ausdrücklich feststellen, um für die künftigen diplomatischen Aktionen völlige Klarheit zu haben3.
Mit dem Ausdruck ausgezeichneter Hochachtung
bin ich
Ihr sehr ergebener
Stresemann