2.218.3 (ma31p): 4. Rede des Reichsministers Dr. Stresemann in Berlin über Konkordatsfragen.

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4. Rede des Reichsministers Dr. Stresemann in Berlin über Konkordatsfragen.

Der Kanzler teilte mit, daß in Zentrumskreisen sich eine große Erregung geltend mache über die gestrigen Ausführungen des Herrn Reichsaußenministers betreffend Konkordat2. Es seien in der Rede Sätze vorhanden, die, wenigstens[674] auf den ersten Blick, in Widerspruch ständen zu der bisherigen Stellungnahme des Kabinetts3. Der Zentrumsvorstand habe den Wunsch, von dem Herrn Reichsminister des Auswärtigen empfangen zu werden, um authentische Erklärungen über den Inhalt der Rede und über die Möglichkeiten, beruhigend auf die Massen einzuwirken, zu erhalten. Es bestehe die Gefahr, daß morgen bei der 3. Lesung des Etats sich eine Konkordatsdebatte erhebe, die zur Jetztzeit sehr inopportun sei.

2

Gemeint ist eine Rede Stresemanns am 3.4.27 auf der 5. Kulturtagung der DVP in Berlin. Nach einem Bericht der „Täglichen Rundschau“ Nr. 158 vom 4. 4., der unter der Überschrift „Stresemann gegen das Konkordat“ erschien, führte Stresemann in seiner Rede u. a. aus: „Ich sehe eine Anfrage vor mir, die dahin geht, der Außenminister hielte ein Konkordat aus außenpolitischen Gründen für erwünscht. Ich vertrete gern alles, was ich sage, aber ich kann nicht alles vertreten, was andere schreiben. Ich habe einen derartigen Satz niemals ausgesprochen. Ich glaube, daß die große Bedeutung dieser Frage auf dem inneren Gebiet deutschen Geisteslebens liegt. Die Frage steckt in ihren Anfängen noch völlig in den Ressorts. Nach dem Vorgang in Bayern heißt sie nicht mehr: ‚Reichskonkordat oder nicht?‘, sondern ‚Reichskonkordat oder Landeskonkordat?‘ und muß leidenschaftslos behandelt werden. Jetzt geht der ganze Sturm gegen ein etwaiges Reichskonkordat. Es ist seltsam, wenn die Demokratische Partei im Reiche sich an diesem Sturm beteiligt, während ihre Aufgabe doch in Preußen liegt, um hier durch den ihrer Partei angehörigen Kultusminister [Becker] reaktionäre Entschließungen zu verhindern. Wenn Bayern und Preußen ein Konkordat haben, dann ist für die großen Länder so viel geschehen, daß nur noch wenig zurückgenommen werden kann. Deshalb bitte ich Sie, nachdem das bayerische Konkordat Wahrheit geworden ist, diese zweite Frage einmal rein praktisch zu prüfen. Ich darf dabei eine Reminiszenz anknüpfen: Ich bedaure, daß an der Spitze des preußischen Kultusministeriums nicht mehr unser Freund Dr. Boelitz steht. Wenn unsere Partei in der Lage gewesen wäre, im Verlauf der letzten Jahre auf die Entwicklung stärkeren Einfluß zu nehmen, so wäre die Lage in bezug auf das preußische Konkordat eine andere als jetzt. Denn wegen dieser Frage die Volkspartei auszuschalten, hätte eine ganz andere Bedeutung in der Öffentlichkeit gehabt als jetzt, wo die preußischen Koalitionsparteien unter sich sind. Es fragt sich noch das eine, was von unserer Seite geschehen kann, um diese Entwicklung zu hemmen, die vielleicht für eine ganze geschichtliche Periode unseres Geisteslebens bestimmend ist. Ich möchte das eine sagen: Da diese Fragen aufgetaucht sind, bedaure ich nicht, wenn sie auch ausgefochten werden. Es ist auch für die deutsche politische Erziehung ein Plus, wenn einmal der deutsche Bürger erfährt, daß es noch andere Dinge als Handelsverträge, Hauszinssteuer usw. gibt. Ich glaube, hier bietet sich uns ein sehr großes Feld der Betätigung. Ich weiß nicht, ob wir parlamentarisch stark genug sind, diese Dinge zu hindern. Aber ich entsinne mich aus der Geschichte der Nationalliberalen Partei, daß einmal ein Schulgesetz gefallen ist, trotzdem die Mehrheit dafür war. Das war, als Bennigsen dazu aufrief, die liberalen Parteien zu einigen und alles zurückzustellen gegenüber dieser Frage. […] So sollten wir auch jetzt andere Fragen geringer schätzen und die Parteiarbeit einmal ganz bewußt auf diese Frage hinlenken. Ich bin der Überzeugung, daß unser Einfluß in diesen Fragen weit hinaus geht über die Grenzen der Partei. Wir werden durch unsere Stellung bestimmen können, was andere große Parteien in diesen Fragen tun. Es gibt große bürgerliche Parteien, die es nicht wagen können, in dieser Frage reaktionäre Wege zu gehen, wenn wir dagegen protestieren, weil dann Millionen ihrer Wähler zu uns kommen, was im übrigen auch kein Fehler wäre.“ (R 43 I /2203 , Bl. 54; hier weitere Zeitungsberichte). Gekürzter Abdruck der Rede Stresemanns vom 3. 4. in: Stresemann, Vermächtnis, Bd. III, S. 267 f.

3

Zur Frage des Reichskonkordats hatte die RReg. zuletzt in einer amtlichen Presseerklärung vom 7.2.27 Stellung genommen, in der es heißt: Anläßlich der Bildung der neuen RReg. hätten keine Verhandlungen mit dem Hl. Stuhl über den Abschluß eines Reichskonkordats geschwebt; auch sei diese Frage bei den Besprechungen über die Regierungsbildung überhaupt nicht berührt worden. Über „die in der Vergangenheit liegenden Konkordatsverhandlungen“ könne folgendes mitgeteilt werden: „Das Problem einer Verständigung mit den kirchlichen Stellen über die vielfachen Wechselbeziehungen zwischen Staat und Kirche, soweit eine Reichszuständigkeit auf diesem Gebiete in Frage kommt, ist seit Erlaß der neuen Reichsverfassung fast von allen Reichskabinetten ernstlich erwogen worden.“ Ein früheres von RK Marx geführtes RKab. habe im Oktober 1924 beschlossen, die nötigen Vorarbeiten für ein Reichskonkordat wieder aufzunehmen. Auch RK Luther habe immer auf den Abschluß eines derartigen Konkordats Wert gelegt. Es sei auch an die Erklärungen erinnert, die am 30.6.20 zwischen RPräs. Ebert und dem päpstlichen Nuntius gewechselt worden seien. RPräs. Ebert habe damals dem Nuntius erwidert, „daß er mit dem Herrn Nuntius die Aufgabe, das Verhältnis zwischen Kirche und Staat in Deutschland neu zu regeln, zu lösen gedenke. Das solle geschehen auf Grund der Verfassung der Republik, die vollste Gewissensfreiheit verbürge. Auf dieser Grundlage sind die zuständigen Ressorts sei längerer Zeit in einer Prüfung der einschlägigen staatsrechtlichen und kirchenpolitischen Fragen begriffen, ohne daß es aber […] zu irgendwelchen Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhl bisher gekommen ist.“ (WTB Nr. 216 vom 7.2.27, R 43 I /2203 , Bl. 19). Eine ähnliche Erklärung hatte RIM v. Keudell in der RT-Sitzung vom 18.3.27 abgegeben (RT-Bd. 392, S. 9677 ). Vgl. dazu auch Dok. Nr. 129.

Der Reichsminister des Auswärtigen erwiderte, daß ohne sein Eingreifen am gestrigen Abend in der Versammlung ein Beschluß gegen das Konkordat als solches zu erwarten gewesen wäre. Er selbst sei für ein Reichskonkordat neben den Länderkonkordaten eingetreten. Er wisse nicht, was Preußen in der[675] Konkordatsfrage beabsichtige; und diese Tatsache hätte in der Partei gewisse Befürchtungen geweckt.

Nachdem auch die Reichsminister Brauns, v. Keudell und Hergt sich an der Diskussion beteiligt hatten, erklärte sich der Reichsminister des Auswärtigen bereit, die Herren vom Zentrum zu empfangen, um Wege zu finden, eine morgige Diskussion im Plenum zu vermeiden4.

4

Siehe dazu die Aufzeichnung Stresemanns vom 5.4.27 über die obige Kabinettsberatung sowie über seine Besprechung mit den Zentrumsabgeordneten v. Guérard und Kaas, in: Stresemann, Vermächtnis, Bd. III, S. 268 f. – In der Plenardebatte des RT am 5.4.27 befaßten sich mehrere Abgeordnete der Oppositionsparteien mit den Ausführungen Stresemanns zur Konkordatsfrage auf der DVP-Tagung vom 3. 4. (siehe Anm. 2). Auf eine diesbezügliche Frage Breitscheids erklärte Stresemann: „Der Herr Abgeordnete Dr. Breitscheid ist auf Ausführungen von mir zu sprechen gekommen, von denen er sagte, daß ich sie als Privatmann gemacht hätte, und hat die Frage an mich gerichtet, ob ich als Außenminister die Zurückweisung des Reichskonkordats aus grundsätzlichen Erwägungen für wünschenswert hielte. In meiner Stellung zu dieser Frage besteht in keiner Weise eine Divergenz zwischen dem Außenminister und dem Parteiführer. Ich habe gegenüber der Forderung einer grundsätzlichen Ablehnung des Reichskonkordats darauf hingewiesen, daß es sich meines Erachtens um eine ganz andere Situation handle, nachdem Länderkonkordate teils abgeschlossen, teils in Vorbereitung sind, und habe gebeten, diese Frage doch leidenschaftslos zu prüfen und die weitere Entwicklung in Preußen abzuwarten. Ich befinde mich in dieser meiner Auffassung in vollkommener Übereinstimmung mit der Erklärung, die die Reichsregierung seinerzeit über den Stand der Konkordatsfrage abgegeben hat [siehe Anm. 3]“. Auf eine Frage des Abg. Dietrich erklärte Stresemann in derselben RT-Sitzung vom 5. 4.: „Wenn Sie meine persönliche Auffassung wissen wollen, so mache ich kein Hehl daraus, daß ich, nachdem mit Bayern ein Konkordat abgeschlossen worden ist, nachdem wir eventuell vor dem Abschluß eines Konkordats zwischen Preußen und dem Vatikan stehen, der Meinung bin, daß es wünschenswert ist, ein Reichskonkordat abzuschließen. […] Es ist jedenfalls durchaus wünschenswert, daß über gewisse Rahmenbestimmungen auch das Reich Entscheidung trifft, und diese Dinge können durchaus nebeneinander- und miteinandergehen. Die Stellung im einzelnen wird davon abhängen, welchen Inhalt diese Verhandlungen seinerzeit beim Endergebnis haben werden.“ (RT-Bd. 393, S. 10506  und 10508).

Stresemann erläuterte seine Haltung zur Konkordatsfrage außerdem in einem Referat vor Parteibeamten der DVP am 4. 4. (WTB-Bericht Nr. 566 vom 5. 4., R 43 I /2203 , Bl. 58; Schultheß 1927, S. 82), in einem Erlaß an die dt. Vatikanbotschaft vom 4. 4. (ADAP, Serie B, Bd. V, Dok. Nr. 57) und in einer ausführlichen Zuschrift an das „Berliner Tageblatt“ vom 3.5.27 (abgedr. in: Stresemann, Vermächtnis, Bd. III, S. 269 ff.). – Zur Konkordatsdebatte im Jahre 1927 vgl. Politisches Jahrbuch 1927/28, S. 100 ff.; Schreiber, Zwischen Demokratie und Diktatur, S. 119 ff., 124 ff.; Deuerlein, Das Reichskonkordat, S. 59 ff.

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