Text
4. Streitpunkt mit Preußen wegen Ernennung eines Mitgliedes des Verwaltungsrats der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft7.
Der Reichskanzler stellte zur Erwägung, ob bei Reichskanzler a. D. Dr. Luther oder Staatssekretär z. D. Fischer angefragt werden solle, ob sie bereit seien, aus dem Verwaltungsrat der Reichsbahn auszuscheiden8. Die Reichsregierung habe den Ländern immer das Recht bestritten, eigene Vertreter zu benennen und habe Ländervertreter aus einzelnen Ländern auch nur wegen ihrer persönlichen Eignung bestimmt. Das Urteil des Staatsgerichtshofes sage nichts über die Durchführung oder darüber, daß eine Wahl ungültig sei. Als Reichskanzler a. D. Luther gewählt worden sei, habe Preußen bereits die Klage beim Staatsgerichtshof eingereicht gehabt. Staatssekretär z. D. Fischer sei vorher gewählt worden. Der Zustand, daß sämtliche Eisenbahnländer das Recht hätten, einen Vertreter im Aufsichtsrat9 zu haben, sei unhaltbar; die Vertretung des Reichs sei dann unzulänglich. Den Auftrag an einen der beiden Herren zurückzuziehen, sei rechtlich nicht möglich.
Der Reichsminister der Finanzen führte aus, für Preußen sei die Frage der wesentliche Streitpunkt mit dem Reich. Es behaupte, Reichskanzler a. D. Luther sei zu Unrecht im Verwaltungsrat. – Staatssekretär z. D. Fischer sei Vertreter der Aktionärsinteressen des Reichs. Es sei möglich, daß er bei der Ernennung eine Erklärung unterschrieben habe, auf Grund deren er zum Rücktritt veranlaßt werden könnte. Dies sowie die Frage, ob ihm eine weitere Zusicherung beim Ausscheiden aus dem Reichsdienst gemacht worden sei, müsse festgestellt werden. Auch sei zu prüfen, ob Reichskanzler a. D. Luther bereit sei, freiwillig auszuscheiden.
[1001] Wie Staatssekretär Gutbrod angab, werde voraussichtlich keiner der beiden Herren freiwillig zurücktreten. Fraglich sei auch, wie sich der Verwaltungsrat selbst zu einer derartigen Forderung des Reichs stellen würde. Möglicherweise könnte sie zu einer Einmischung fremder Stellen Anlaß geben.
Der Reichsminister des Auswärtigen sprach sich dagegen aus, daß an einen der Herren wegen freiwilligen Ausscheidens herangetreten würde. Reichskanzler a. D. Dr. Luther sei inzwischen ausgelost und vom Verwaltungsrat wiedergewählt worden10.
Der Stellvertreter des Reichskanzlers sprach sich dafür aus, daß das Urteil des Staatsgerichtshofes loyal durchgeführt werde, aber unter Berücksichtigung der gegebenen Verhältnisse. Nach der Rechtslage müsse die Reichsregierung an die beiden Herren wegen freiwilligen Ausscheidens herantreten11. Lehnten sie ab, so müsse der Staatsgerichtshof wegen der Form der Durchführung seines Urteils nochmals angerufen werden.
Die Verhandlungen wurden vertagt. Sie sollen im Laufe der kommenden Woche abgeschlossen werden12. Inzwischen wird der Reichsminister der Finanzen die zur Entscheidung erforderlichen Unterlagen mitteilen.
Fußnoten
- 8
In seinem Schreiben an den RK vom 23.7.27 hatte der PrMinPräs. Braun darauf hingewiesen, daß die RReg. gegenwärtig zwei Vertreter ihrer Interessen im Verwaltungsrat der RB-Gesellschaft habe, nämlich Luther und Fischer. Das Reich sei daher in der Lage, den vom Staatsgerichtshof anerkannten Rechtsanspruch Preußens auf eine eigene Vertretung im Verwaltungsrat zu erfüllen (R 43 I/1058, Bl. 88–92).
- 9
Richtig: Verwaltungsrat.
- 11
In einem Vermerk für den RK vom 15.10.27 berichtete Pünder: Luther habe ihm (Pünder) gegenüber vor etwa zwei Monaten erklärt, daß er sein Amt als Verwaltungsratsmitglied unter keinen Umständen freiwillig aufgeben werde. Angesichts dieser Erklärung sei eine ererneute Fühlungnahme mit Luther wenig aussichtsreich. StS Fischer habe bei seinem Eintritt in den Verwaltungsrat einen Revers unterzeichnet, wonach er jederzeit von der RReg. zurückgerufen werden könne; beim Ausscheiden Fischers aus dem aktiven Reichsdienst sei ihm jedoch vom damaligen RFM Reinhold die Beibehaltung seines Verwaltungsratssitzes zugesichert worden (R 43 I/1058, Bl. 119–120).