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1. Vermögensrechtliche Auseinandersetzung zwischen den Ländern und den vormals regierenden Fürstenhäusern.
In Abwesenheit des Reichskanzlers, der später erschien, eröffnete und leitete der Reichswehrminister zunächst die Sitzung.
Staatssekretär Zweigert trug den Sachverhalt vor1. Er wies u. a. darauf hin, daß am Freitag, dem 12. Februar, der Rechtsausschuß des Reichstags sich abermals mit der Frage der vermögensrechtlichen Auseinandersetzung zwischen den deutschen Ländern und den vormals regierenden Fürstenhäusern sowie den standesherrlichen Familien beschäftigen werde. Die Reichsregierung werde sich insbesondere darüber schlüssig werden müssen, ob und wie sie zu dem Antrage Dr. Breitscheid und Gen. Nr. 1189 der Drucksachen des Reichstags2 Stellung nehmen wolle.
Es tauche vor allem die Frage auf, ob der Antrag, die Länder zu ermächtigen, die Renten an die Angehörigen der ehemaligen Fürstenhäuser oder der standesherrlichen Familien herabzusetzen, verfassungsändernder Natur sei. Das Reichsministerium des Innern habe diese Frage noch nicht abschließend geprüft, neige aber dazu, den Antrag für verfassungsändernd zu halten3. Der Reichsminister der Justiz[2264] machte ergänzende Ausführungen. Er gab der Auffassung Ausdruck, daß die Reichsregierung zu dem Antrage Dr. Breitscheid und Gen. jetzt noch nicht abschließend Stellung nehmen könne, weil noch nicht sämtliche Länder das erforderliche Material übersandt hätten.
Was die politische Lage anlange, so sei zu beachten, daß die Rechte einer Herabsetzung der Renten durchaus ablehnend gegenüberstehe.
Für Preußen sei der Welfenfonds von besonderer Bedeutung. Auf Betreiben der SPD wolle Preußen diesen Fonds abwerten.
Auch er halte den Antrag Nr. 1189 Dr. Breitscheid und Gen. für verfassungsändernd.
Das Reichskabinett stimmte der Stellungnahme des Reichsministers des Innern und des Reichsministers der Justiz über den verfassungsändernden Charakter des Antrags Dr. Breitscheid und Gen. Nr. 1189 der Drucksachen des Reichstags zu. Es trat ferner der Auffassung des Reichsministers der Justiz bei, daß das Problem, ob laufende Leistungen unter dem Gesichtspunkt der Deflation allgemein zu kürzen seien, wegen seiner außerordentlichen Tragweite im Rahmen der gegenwärtigen Aktion von der Reichsregierung nicht zur Erörterung zu stellen sei.
Die Stellungnahme zu dem sozialdemokratischen Eventualantrag, Nr. 19 der Drucksache des Rechtsausschusses des Reichstags, insbesondere zur Frage seiner Verfassungsmäßigkeit, bleibt vorbehalten. Zunächst soll geklärt werden, ob, inwieweit und mit welcher Begründung die Länder ein Bedürfnis für die in diesem Antrag vorgesehene Regelung bejahen.
Zu dem Antrag Nr. 17 des Rechtsausschusses des Reichstages (Welfenfonds)4 soll zunächst der Verlauf der Ausschußberatungen abgewartet werden.
Der Reichsminister der Finanzen erklärte, der Vorlage zuzustimmen.
Fußnoten
- 1
Zum Problem der Abfindung der bis 1918 regierenden dt. Fürstenhäuser, das seit 1926 die Innenpolitik immer wieder beschäftigte, vgl. diese Edition, Die Kabinette Luther I/II, Einleitung S. LXIII ff.
- 2
Der Antrag der SPD-Fraktion vom 13.10.31, die Landesregg. zu ermächtigen, alle Leistungen aus Verträgen oder Urteilen an ehemalige Fürsten und Mitglieder der standesherrlichen Familien sofort einzustellen und die Auseinandersetzungen mit den ehemaligen Fürstenhäusern neu zu regeln, befindet sich als Drucks. Nr. 1189 im RT-Bd. 451.
- 3
Eine vorläufige Meinungsäußerung hatten RIM und RJM in einem gemeinsamen Schreiben vom 2.12.31 abgegeben; dem Schreiben beigefügt war der Entw. eines Rundschreibens an die Landesregg. mit der Bitte um Stellungnahme zu dem SPD-Antrag. RIM und RJM waren der Auffassung, daß der Antrag in Länderrechte eingreife und deshalb verfassungswidrig sei und die Forderung nach Aufhebung bestehender Verträge den Art. 153 RV (Enteignung) berühre (R 43 I/2209, Bl. 148–150).
Am 2.1.32 hatte der RIM berichtet, daß der Antrag in der vorgelegten Fassung im RT-Plenum keine Aussicht auf Annahme habe. Beigefügt war eine Übersicht über die vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen zwischen den Ländern und den ehemals regierenden Fürsten und ein Gutachten des RIM, das die Verfassungsmäßigkeit des Antrags bestritt (R 43 I/2209, Bl. 152–159).