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8. Beamtenwirtschaftsverein.
Ministerialrat Dr. Ronde erläuterte die in den Kabinettsvorlagen des Reichswirtschaftsministers vom 10. und 14. März d. Js. […] erörterten Fragen einer Reichshilfe zur Sanierung der Konsumgenossenschaften und des Beamtenwirtschaftsvereins Berlin. Er trug die Sachlage entsprechend den Darlegungen der Kabinettsvorlagen vor26.
[2388] Der Reichswirtschaftsminister ergänzte den Vortrag durch die Mitteilung, daß der Abgeordnete Koch-Weser in den letzten Tagen wegen einer Hilfe für den Beamtenwirtschaftsverein gedrängt habe27. Diese Organisation habe 120 000 Mitglieder. Auch die Vertreter der Konsumvereine und zwar sowohl der Kölner wie der Hamburger Organisation hätten bei ihm wiederholt gedrängt und sich namentlich auf die Hilfe des Reichs für die gewerblichen Genossenschaften und die Banken berufen.
Andererseits habe der gewerbliche Mittelstand Vorstellungen erhoben und gebeten, diese Unternehmen nicht zu unterstützen. Dabei sei auf die ungleiche Konkurrenz hingewiesen worden. Es werde daher höchstens eine Garantie oder Teilgarantie für die Spareinlagen der Unternehmen in Frage kommen dürfen.
Der Reichsarbeitsminister teilte mit, daß die erwähnten Organisationen auch bei ihm vorstellig geworden seien und meinte, man könne eine Hilfe des Reichs wegen der Berufungsfälle schwerlich ablehnen.
Der Reichsminister der Finanzen wies darauf hin, daß die Angelegenheit außerordentlich umstritten sei. Infolgedessen sei es sehr bedenklich, diesen Zankapfel vor der Wahl noch anzufassen.
Ministerialrat Dr. Ronde teilte mit, daß ein Aufschub einer Hilfe den Beamtenwirtschaftsverein zwingen würde, in Konkurs zu gehen28.
Es wurde sodann erörtert, ob für diesen Verein noch einmal eine vorübergehende Hilfe geleistet werden könne oder ob die Liquidation des Unternehmens erfolgen müsse, ferner, ob das Reich eine Garantie für die Spareinlagen evtl. für einen Teil der Beträge übernehmen solle.
Der Reichskommissar für das Bankgewerbe erklärte, im Falle einer Hilfe für die fraglichen Organisationen werde man auch bei den Bauspargenossenschaften helfen müssen. Dafür sei ein Betrag von 10 Millionen nötig.
Es wurde ferner erörtert, daß gegebenenfalls auch die Werksparkassen mit Ansprüchen auf Hilfe sich melden würden.
Der Reichswirtschaftsminister äußerte die Befürchtung, daß es als ein Affront gegen die Mittelstandspolitik aufgefaßt werden würde, wenn die fraglichen Unternehmungen vollständig fallen gelassen würden.
Der Reichsminister der Finanzen erklärte, man müsse wohl prüfen, ob man, wie bei der Grundbesitzbank, vielleicht einen Teil der Spareinlagen von Reichs wegen garantieren und die nötigen Mittel gegebenenfalls in ein paar Jahren zur Verfügung stellen könne.
Die Berechnung des Umfangs der von den Konsumorganisationen, den Bauspargenossenschaften und den Werksparkassen zusammen notfalls benötigten Mittel ergäbe nach den zur Sprache gebrachten Zahlen nach seiner Ansicht ein Risiko von etwa 60 Millionen. Das Reich werde gegebenenfalls nicht auf dem ganzen Betrag hängenbleiben. Man müsse vielmehr mit einem Risiko von 20 Millionen rechnen. Voraussetzung für jede Hilfe müsse aber sein, daß diese Einrichtungen alle verschwänden, weil[2389] sie volkswirtschaftlich keinen Wert hätten und durchweg schlecht geleitet würden. Nur unter einer solchen Bedingung würde eine Garantie vielleicht von Fall zu Fall zu geben sein. Dabei könne man daran denken, die kleinen Spareinlagen bis zu 100 RM vielleicht ganz zu garantieren, ähnlich wie bei der Grundbesitzbank.
Der Reichsbankpräsident erklärte sich mit solchen Erwägungen grundsätzlich einverstanden.
Der Reichsminister der Finanzen und der Reichsarbeitsminister meinten sodann, am günstigsten wäre, wenn die Regelung bis nach der Wahl aufgeschoben werden könne.
Ministerialrat Dr. Ronde teilte auf eine Frage nach der genaueren Lage des Beamtenwirtschaftsvereins mit, daß nach Prüfung der Preußenkasse das Unternehmen mit 1,9 Millionen passiv sei. Um die Katastrophe kurze Zeit, etwa bis Ende des Monats hinauszuschieben, wären 100 000 RM nötig. Um über die Zeit bis nach der Wahl hinwegzukommen, würden vielleicht 300 000 RM erforderlich sein. Es handele sich um 120 000 Mitglieder und 20 000 Sparkonten mit einem Gesamtbetrage von 9 Millionen.
Der Reichsminister der Finanzen meinte, es lasse sich vielleicht eine besondere Form der Hilfe für den Beamtenwirtschaftsverein finden, die in den nächsten Tagen gesucht werden müßte in Erörterungen über die näheren Einzelheiten. Das Unternehmen müsse aber dann auf alle Fälle verschwinden.
Der Reichsminister der Justiz machte darauf aufmerksam, daß durch eine Garantie des Reichs nicht berührt werde die Frage, ob der Verein Konkurs anmelden müsse.
Der Reichsarbeitsminister wies darauf hin, daß die Sonderumsatzsteuer eine sehr drückende Sonderbelastung für die genossenschaftlichen Unternehmen wäre.
Der Reichskanzler erklärte, auch er vertrete den Standpunkt, daß der Beamtenwirtschaftsverein verschwinden müsse, weil er seit 1925 bereits außerstande sei, wirtschaftlich zu arbeiten.
Es müsse auch allgemein künftighin der Standpunkt durchgehalten werden, daß Konsumvereine und Unternehmen, die nicht rentabel und nur eine Konkurrenz für die Betriebe der freien Wirtschaft seien, aufgegeben werden müßten29. Die mit den Kabinettsvorlagen aufgeworfenen Fragen einer Reichshilfe müßten daher sehr sorgfältig geprüft werden. Die Beratung müsse in einer weiteren Sitzung, vielleicht am nächsten Montag nachmittags, fortgesetzt werden.
Es wurde zur Sprache gebracht, daß auch Berufungen von anderen Beamtenunternehmungen gegebenenfalls zu erwarten wären.
Ministerialdirektor Dr. Reichardt teilte mit, daß wegen der Beamtenunternehmen und Kassen bereits eine Prüfung erfolgt sei. Danach seien 7 Millionen notwendig, um diese in Ordnung zu bringen. Bei dieser Angelegenheit sei die Gefahr der Beunruhigung für alle Beamtenkassen zu berücksichtigen.
Auf eine Zwischenbemerkung, daß der Beamtenwirtschaftsverein rückständige Anteile und Haftungsbeträge einziehen könne, stellte er fest, daß der Kapitalbedarf für den Beamtenwirtschaftsverein 2,5 Millionen betrage, wenn die rückständigen[2390] Anteile und Haftungssummen eingehen würden. Die Mitglieder hafteten im Durchschnitt zusammen mit je 60 RM. Daß diese Beträge eingehen würden, müsse aber zu annähernd 100% für ausgeschlossen gehalten werden.
Das Kabinett beschloß:
Die Weiterberatung der Angelegenheit wird auf den 21. März vertagt. Die beteiligten Ressorts sollen bis dahin in gemeinsamer Beratung einen Weg suchen, auf dem dem Beamtenwirtschaftsverein über die nächsten Wochen hinweggeholfen werden kann30.
Fußnoten
- 26
Der RWiM hatte in seiner Kabinettsvorlage vom 10.3.32 über Anträge des Zentralverbands dt. Konsumvereine, Hamburg, und des Reichsverbands dt. Konsumvereine, Köln, berichtet. Der Hamburger Zentralverband hatte um einen Reichszuschuß von 11 Mio. RM gebeten, der Kölner Reichsverband um eine Hilfe von 1,275 Mio. RM. Beide Beträge entsprachen der Sonderumsatzsteuer von ½%, die die Konsumvereine seit dem 1.7.30 zahlen mußten (vgl. Dok. Nr. 14, P. 2 und Dok. Nr. 15). Die Konsumvereine hatten sich bei Anträgen auf die Reichshilfe für die Genossenschaften (siehe Dok. Nr. 589, Anm. 6) berufen. Der RWiM hatte an sich aus wirtschaftlichen Erwägungen und mit Rücksicht auf den um seine Existenz ringenden Einzelhandel diese Anträge abgelehnt (R 43 I/674, Bl. 34–40). Er war aber zur Reichshilfe bereit, wenn das Rkab. einer Stützung des Beamtenwirtschaftsvereins in Höhe von 2,5 Mio. RM zustimmte (Vorlage des RWiM vom 14.3.32 auf Antrag der Preußenkasse vom 14.3.32, R 43 I/674, Bl. 42–43). RT-Abg. Schlack (Zentrum) hatte für den Kölner Reichsverband am 14.3.32 wegen der Reichshilfe an den RK telegraphiert (R 43 I/674, Bl. 44–45).
- 27
RT-Abg. Koch-Weser (DStP) war am 15.3.32 wegen des Beamtenwirtschaftsvereins auch in der Rkei vorstellig geworden (Vermerk MinR Feßlers vom 17.3.32, R 43 I/674, Bl. 46).
- 28
Koch-Weser hatte erklärt, daß der Beamtenwirtschaftsverein Konkurs anmelden müsse, wenn er vor Ostern nicht gestützt würde (R 43 I/674, Bl. 46).