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2. Hilfsmaßnahmen für die Landwirtschaft.
Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft machte eingehende Ausführungen über die Lage der Landwirtschaft. Die Ernte werde gut ausfallen4 und einen außerordentlich starken Druck auf die Preise ausüben. Im Osten spitzten sich die Verhältnisse zu. Die Gläubiger drängten auf Zahlung, während die Abnehmer bei der Geld- und Kreditknappheit nur die notwendigsten Anschaffungen machten5.
Er schlug folgende Maßnahmen vor6.
Zur Finanzierung der Abnahme von Getreide stellt die Reichsbank einen Rediskontkredit von 150 Millionen zur Verfügung. Der Diskontsatz solle verbilligt werden, sonst könnten die Kredite nicht verwendet werden7.
[1523] Zur Finanzierung der Getreidelombardierung seien 50 Millionen zur Verfügung gestellt. Nur 3 Millionen seien in Anspruch genommen worden wegen der hohen Zinsen.
Notwendig sei eine Magazinierung von Roggen8. Die Ernte werde 7,2 Millionen t betragen. Sie werde im Inlande restlos verbraucht werden. Für das Reich entstände also durch die Einlagerung keine Gefahr, trotz eines Lagerverlustes und Schwundes von 1¾% und der Lagerkosten. Der Preis betrage jetzt 141 M. Durch die Magazinierung werde auch ein gleichmäßiger Brotpreis sichergestellt werden können.
Erforderlich seien zur Magazinierung von 300 000 t rund 50 Millionen M.
Die Reichsbank wolle der Rentenbank-Kreditanstalt 30 Millionen zur Verfügung stellen. Sie fordere aber eine Garantie des Reichs.
Beim Weizen käme nicht Magazinierung, sondern ein Austausch-Export9 und der Vermahlungszwang in Frage. Die Ernte werde 4,7 Millionen t betragen bei einem Bedarf von etwa 4,8. Demnach könnten 100 000–200 000 t noch eingeführt werden. Im ersten Drittel des Erntejahres sei mit einem Überschuß von 800 000 t zu rechnen. Die Ausfuhr müsse nach England, Holland und Skandinavien geleitet werden. Die Einfuhr der Ersatzmenge müsse aus Amerika kommen10. Um das Lieferungsgeschäft mit Amerika nicht zu stören, sei es notwendig, den Vermahlungszwang so hoch wie möglich festzusetzen. Er schlage 97% vor.
Erforderlich sei die Regelung der Lagerscheinfrage im Interesse der Erntebewegung. Das allgemeine Lagerscheingesetz sei durch das Reichsjustizministerium ausgearbeitet worden11. Er schlage vor, es dem Reichswirtschaftsrat zur Begutachtung zuzuleiten12. Dagegen erhob sich kein Widerspruch.
Der vorläufigen Regelung soll der Entwurf einer Verordnung über die Einlagerung von Getreide durch die deutsche Getreide-Handelsgesellschaft dienen.
Der Reichsminister der Finanzen hatte Bedenken dagegen, daß die Herausnahme von 300 000 t Roggen zur Regulierung des Marktes ausreichen würde.[1524] Er erklärte sich nicht bereit, eine weitere Garantie zu leisten und wies den Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft für die Erntebewegung auf den hierfür vorgesehenen Fonds von 7,5 Millionen im Etat13 . Daraus könnten die hohen Diskontzinsen ermäßigt werden.
Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg sprach sich im wesentlichen für die Vorschläge des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft aus. Er hatte aber Bedenken gegen eine Differenzierung der Diskontsätze. Der vorgesehenen Lagerscheinregelung stimmte er zu. Er hielt aber einen Ausmahlungssatz von 97% aus handelspolitischen Gründen für übermäßig hoch und schlug 90% vor.
Ministerialdirektor Dr. RitterRitter legte dar, daß eine hohe Vermahlungsquote das beabsichtigte amerikanische Geschäft sicherstellen würde. Die in Frage kommenden Mühlen müßten auf etwa 70% der Vermahlungsquote heruntergehen. Gegenüber den Ausführungen des Reichsministers der Finanzen wies der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft darauf hin, daß im vorigen Jahre die Verhältnisse wesentlich ungünstiger gelegen hätten wegen der Rückstände aus der alten Ernte. Sachverständige hätten die Regulierung des Marktes mit 200 000 t für möglich gehalten. Die 7,5 Millionen des Etats seien z. T. für Roggenkäufe gegen Ende des alten Erntejahres verwendet worden.
Reichsminister TreviranusTreviranus wies auf die verzweifelte Stimmung im Lande hin. Die Erntefinanzierung wirke sich nicht aus. Die Möglichkeit geordneten Verkaufs müsse umgehend und schon vor dem 9. August geschaffen werden. Die Industrieobligationenbank habe sich bereit erklärt, 40 Millionen für die östliche Ernte zur Verfügung zu stellen. Sie fordere aber die volle Freiheit für alle ihre Geschäfte, die ihr bisher abgeschlagen worden sei.
Jetzt bereits müßten Preußische Landschaften aus Mitteln der Osthilfe gestützt werden. Wenn nicht bald eine Besserung der Lage möglich wäre, müsse zugestanden werden, daß die Osthilfe nicht durchführbar sei, weil sie unter anderen Voraussetzungen begonnen wurde.
Der Reichsbankpräsident befürchtete Berufungen, wenn der Diskontsatz differenziert würde. Würde das Reich einen Teil der Zinsen übernehmen, so wäre eine andere Lage geschaffen. Die Reichsbank könne sich darauf berufen. Er könne keine Zusagen machen, werde aber die Frage nochmals prüfen. Im übrigen müsse die Reichsgarantie verlangt werden.
Hierzu erklärte der Reichsminister der Finanzen die Getreide-Handelsgesellschaft, die Rentenbankkreditanstalt und die Preußenkasse müßten ausreichend Garantien leisten können. Das Reich dürfe nicht immer in Anspruch genommen werden.
Der Reichskanzler hielt es für notwendig zu erwägen, ob bei der Regelung des Bankenproblems die öffentlichen und halböffentlichen Banken nicht dem Reichsminister der Finanzen unterstellt werden sollten. Unter dieser Voraussetzung sei es möglich, die Reichsgarantie zu übernehmen. Die endgültige Entscheidung werde noch getroffen werden müssen.
[1525] Er stellte fest, daß das Kabinett mit der Verordnung über die Einlagerung von Getreide durch die Deutsche Getreide-Handelsgesellschaft einverstanden sei14 und auch der Umtauschmöglichkeit für Weizen nach den Vorschlägen des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft grundsätzlich zustimme15.
Zum Schluß wies er noch auf die Bedeutung der Devisenbewirtschaftung für die Außenpolitik hin. Eine Störung des Außenhandels durch Devisenverweigerung sei äußerst bedenklich. Es müsse verhindert werden, daß die Länder, auf deren freundliche Einstellung Deutschland angewiesen sei, in Opposition gegen Deutschland gedrängt würden, wenn ihre Einfuhr unterbunden würde. Er bat dringend, dafür einzustehen, daß in dieser Richtung keine Schwierigkeiten entständen, insbesondere dürften keine Ultimaten der Länder vorliegen, wenn er von der Romreise zurückkehre.
Der Reichskanzler schloß die Sitzung mit dem Danke für die Mitarbeit16.
Fußnoten
- 4
Bereits die von WTB Nr. 1449 am 10.7.31 gemeldete erste Vorschätzung der Ernte 1931 hatte gegenüber 1930 höhere Erträge erwarten lassen (R 43 I/2548, Bl. 10).
- 5
In einem Schreiben an den RK und an den REM vom 28.7.31 hatte der Verband pommerscher Müllerinnungen darauf hingewiesen, daß die Mühlen wegen der NotVOen über den Zahlungsverkehr von den Banken und Sparkassen nicht genügend Geld zum Ankauf von Getreide erhielten. Der Verband hatte gefordert, daß den Mühlen aus ihren Guthabenkonten sofort Geld zum Einkauf von Getreide zur Verfügung gestellt werden sollte. Außerdem hatte sich der Verband gegen das Einfuhrscheinsystem und für den Ausbau der Lagerscheine ausgesprochen (R 43 I/2548, Bl. 55–57). Der Mecklenburg-Schwerinsche MinPräs. Eschenburg hatte in einem Schreiben an den RK vom 3.8.31 folgende Maßnahmen zur Stützung der Landwirtschaft vorgeschlagen: Wiedereinführung der Getreideimportscheine, Zinserleichterungen für die Landwirtschaft, Moratorien für Zwangsverkäufe, Abgeltung von Steuer- und Abgabenverpflichtungen durch Getreidelieferungen und Verteilung von Naturalien an Arbeitslose und Wohlfahrtsempfänger anstelle der Barzahlungen (R 43 I/2548, Bl. 122–123).
- 6
Der REM hatte sein Programm in großen Zügen bereits am 30.7.31 dem RK in einem Schreiben vorgelegt (R 43 I/2548, Bl. 203–205).
- 7
Der Dt. Landwirtschaftsrat, der RLB, der Raiffeisenverband und die Vereinigung Dt. Bauernvereine hatten den RbkPräs. in einem gemeinsamen Telegramm ebenfalls zur Diskontsatzsenkung zugunsten der Erntefinanzierung aufgefordert (Telegramm des Dt. Landwirtschaftsrats an den RK vom 4.8.31, R 43 I/2548, Bl. 125).
- 8
Der REM hatte der Rkei am 3.8.31 den NotVOEntw. über die Einlagerung von Getreide zusammen mit dem vorläufigen Entw. einer Lagerordnung übersandt (R 43 I/2548, Bl. 85–111). Auf Wunsch der Rkei hatte MinR Düring vom REMin. am 4.8.31 eine Aufzeichnung über Zweck und Inhalt des NotVOEntw. an MinR Feßler geschickt (R 43 I/2548, Bl. 112 bis 116).
- 9
Mit Schreiben vom 4.8.31 an den REM hatte der Dt. Landwirtschaftsrat die Absicht der RReg. begrüßt, dt. Weichweizen zu exportieren und gegen die Ausstellung von Einfuhrscheinen Auslandsweizen zu einem ermäßigten Zollsatz zu importieren. Der Landwirtschaftsrat hatte die Festsetzung einer Vermahlungsquote von 97% gefordert und erklärt, die Versorgungslage Dtlds gestatte nur dann die Einfuhr von US-Weizen, wenn eine entsprechende Menge dt. Weizens in die USA exportiert werden würde (vom Landwirtschaftsrat an den RK übersandte Abschrift in R 43 I/2548, Bl. 143–146).
- 10
Zu den dt.-amerik. Verhandlungen s. Dok. Nr. 403.
- 11
Der GesEntw. konnte in den Akten nicht ermittelt werden. Vgl. aber Dok. Nr. 486, P. 2.
- 12
Der RJM übersandte am 6.8.31 dem Vorl. RWiR den ReferentenEntw. eines Gesetzes über Orderlagerscheine. Der Arbeitsausschuß für Handelsklassenfragen stimmte dem GesEntw. im September 1931 zu (Mitteilungen des Vorl. RWiR, 11. Jahrgang, Nr. 3, S. 18 f. in: R 43 I/2548, Bl. 69–70).
- 13
S. den Reichshaushaltsplan 1931, Einzelplan X, REMin., Ord. Haushalt, Einmalige Ausgaben, Kapitel E 4 Titel 5: Zur Förderung der Bewegung der Getreideernte. Laut Reichshaushaltsrechnung 1931, S. 332 wurden unter diesem Titel tatsächlich 7,02 Mio RM ausgegeben.
- 14
S. die NotVO zur Erleichterung der Erntebewegung vom 6.8.31 (RGBl. I, S. 433).
- 15
S. die 7. VO über die Änderung der Sätze für die Vermahlung von Inlandsweizen vom 13.8.31 (RGBl. I, S. 447).
- 16
Es handelt sich bei diesem Satz anscheinend um einen Irrtum des Protokollanten, da die Ministerbesprechung noch nicht beendet war. MinR Feßler zeichnete am 12.8.31 das Protokoll über diesen Punkt der TO ab (R 43 I/1451, S. 69).