Text
1. Wirtschaftliche Auswirkung der Besoldungsreform1.
Lohnpolitik.
Der Reichsminister der Finanzen erläuterte die anliegenden vom Statistischen Reichsamt aufgestellten Tabellen2. Er vertrat die Auffassung, daß gegenüber den Bestrebungen der Arbeiterschaft auf Erhöhung ihrer Löhne aus Anlaß der Beamtenbesoldungsreform entscheidendes Gewicht auf die graphische Darstellung der Entwicklung der Beamtengehälter und Arbeiterlöhne von 1913 bis September 1927 gelegt werden müsse. Die Lohnkurve brächte klar zum Ausdruck, daß die jetzige Aufbesserung der Beamtengehälter keinen Anlaß zu allgemeinen Lohnerhöhungen geben könne. Jedenfalls werde er sich bei den bevorstehenden Beratungen über die Besoldungsreform im Reichstage3 in erster Linie auf dieses Schema stützen.
Der Reichsarbeitsminister äußerte Bedenken, ob mit dieser Beweisführung durchzukommen sei. Er meinte, es werde ausschlaggebend darauf ankommen, die absoluten Einkommenszahlen zu vergleichen. Dieser Vergleich falle zuungunsten der Beamten aus. Er hielt es für unmöglich, allgemein ohne Lohnerhöhung durchzukommen. Im übrigen führte er aus, daß die Entwicklung des Lohnniveaus letzten Endes von der Entwicklung des Lebenshaltungsindexes abhängen werde.
Der Reichswirtschaftsminister betonte die unbedingte Notwendigkeit, daß das Kabinett wenigstens nach außen hin geschlossen hinter den Reichsminister[997] der Finanzen treten und dessen Beweisführung unterstützen müsse4. Ferner müsse das Kabinett mit absoluter Festigkeit hinter dem Reichsminister der Finanzen stehen bei seinem Bestreben, die Besoldungsreform ohne jede Steuererhöhung durchzuführen. Gegen etwa abweichende Tendenzen bei den Ländern und Gemeinden seien nötigenfalls gesetzliche Steuererhöhungsverbote in Aussicht zu nehmen.
Der Reichsminister der Finanzen wünschte demgegenüber eine Ausnahme nur bezüglich der kommunalen Getränkesteuer zugelassen zu wissen.
Verwaltungsreform.
Der Reichswirtschaftsminister führte weiter aus, daß die Verabschiedung der Besoldungsreform im Reichstage und deren Rechtfertigung vor der Öffentlichkeit des In- und Auslandes sehr wesentlich erleichtert werde, wenn das Kabinett auf dem Gebiet der oft versprochenen Verwaltungsreform einen positiven Schritt vorwärts mache5.
Der Reichssparkommissar teilte zum Thema der Verwaltungsreform mit, daß er bereits systematische Vorarbeiten in die Wege geleitet habe. Nach längerer Aussprache gab der Reichsminister der Finanzen die Erklärung ab, daß er sich mit dem Reichssparkommissar ins Benehmen setzen werde und danach dem Kabinett binnen kürzester Frist einen Vorschlag darüber unterbreiten wolle, wie dem Reichstage gegenüber eine aktive Förderung der Verwaltungsreform angekündigt werden solle. Das Kabinett nahm von dieser Erklärung Kenntnis.
Preispolitik.
Der Reichswirtschaftsminister machte sehr eingehende Darlegungen. Er meinte, man müsse sich vergegenwärtigen, daß Deutschland in den letzten Jahren auf dem Gebiet der Wirtschaft doch mancherlei erreicht habe. Die Währung sei stabilisiert, die Wirtschaft sei durch weitgehende Rationalisierungsmaßnahmen im großen und ganzen auf gesunde Füße gestellt worden,[998] man habe die Erwerbslosigkeit wirksam bekämpft, und die Arbeiterlöhne seien im wesentlichen wieder auf die Höhe der Vorkriegszeit gebracht worden. Die Kurve der Kohlen-, Eisen- und sonstigen Metallpreise zeige eine fallende Tendenz. Der Großhandelsindex sei trotz der gegenwärtigen Hochkonjunktur nur sehr mäßig gestiegen. Zudem sei die Steigerung nur durch zwei Positionen, nämlich Textilien und Baustoffe, bedingt. Die Höhe der Textilienpreise hänge von der Höhe der ausländischen Rohprodukte ab, sei also von Deutschland unabhängig. Bei den Baustoffen liege der Hauptgrund für die Preiserhöhung im Zementpreis. Hier seien gewisse Einwirkungen zur Preissenkung noch möglich. Der Lebenshaltungsindex sei im großen und ganzen stabil geblieben. Nach seiner Meinung sei die Hauptfrage für die zukünftige Entwicklung die Haltung des Einzelhandels. Nach dieser Richtung bestehe indes kaum Anlaß zu ernsten Befürchtungen. Die soeben geschlossene Haupttagung des deutschen Einzelhandels habe im Gegenteil die Tendenz erkennen lassen, daß der Einzelhandel mehr auf eine Senkung der Preise herauswolle und höhere Verdienstmöglichkeiten in erster Linie durch eine Erhöhung der Umsätze erstrebe. Gesetzliche Einwirkungsmöglichkeiten auf das Preisgebaren des Einzelhandels gebe es nicht. Gegen etwaige Auswüchse müsse man mit anderen Mitteln vorgehen. Als solche kämen z. B. Veröffentlichungen der Ergebnisse des Enquete-Ausschusses über die Höhe der Aufschläge des Einzelhandels in Frage.
Die weitere Aussprache zu diesem Punkte wurde der vorgerückten Zeit wegen vertagt6.
Fußnoten
- 2
In der Anlage zu diesem Protokoll befinden sich folgende Tabellen: 1) Durchschnittliche Monatsgehälter von verheirateten Reichsbeamten mit 1 Kind in den unteren Besoldungsgruppen, von 1913 bis zur neuen Besoldungsordnung; 2) Tarifmäßige Wochenlöhne gelernter und ungelernter Arbeiter (Durchschnitt aus 12 Gewerbegruppen), von 1913 bis Sept. 1927; 3) Durchschnittliche Schichtverdienste im Steinkohlenbergbau von verheirateten Arbeitern mit 1 Kind, von 1913 bis Sept. 1927; 4) Durchschnittliche Wochenverdienste aller Reichsbahnarbeiter, von April 1924 bis Jan. 1927. Beigefügt ist außerdem eine Zusammenstellung der Rkei aus den Tabellen 1) und 2) sowie eine graphische Darstellung der Entwicklung der Beamtengehälter, der Arbeiterlöhne und des Lebenshaltungsindex von 1913 bis Sept. 1927 (R 43 I/1424, Bl. 254–259).
- 3
Der Entwurf des neuen Besoldungsgesetzes wurde dem RT am 14.10.27 zugeleitet; siehe Dok. Nr. 318, Anm. 3.
- 4
Bei den Beratungen der Zentrumsfraktion über die Besoldungsvorlage, die an den folgenden Tagen stattfanden, wurden die vorgesehenen Besoldungserhöhungen scharf kritisiert. RFM Köhler bot deswegen seinen Rücktritt an, der jedoch von RK Marx nicht angenommen wurde. Vgl. dazu: Köhler, Lebenserinnerungen, S. 259 ff.; Morsey, Zentrumsprotokolle, Dok. Nr. 186–188.
- 5
In einer Entschließung zur Beamtenbesoldungsreform, die vom Präsidium und Vorstand des Reichsverbandes der Dt. Industrie am 21.10.27 gefaßt wurde, heißt es: Der Reichsverband verkenne nicht die staatspolitische Notwendigkeit einer angemessenen Besoldung der Beamtenschaft. „Das erst jüngst bekannt gewordene Gesamtausmaß der durch die Regierungsvorlage bedingten Aufwendungen gibt jedoch vom Standpunkt der gesamten Volkswirtschaft zu den größten Bedenken Anlaß, weil die etatsmäßige Deckung ohne schwere Erschütterungen nicht möglich erscheint. Deshalb sollte eine Erhöhung nur insoweit erfolgen, als die tatsächlichen Gesamtbezüge der einzelnen Beamtenkategorien hinter der allgemeinen Entwicklung zurückgeblieben sind. […] Der Wunsch der Reichsregierung, Preiserhöhungen vermieden zu sehen, kann nur erfüllt werden, falls die durch eine Besoldungsreform entstehenden Ausgaben ohne Erhöhung der Steuern, Abgaben und Tarife in Reich, Ländern und Gemeinden gedeckt werden können. In Übereinstimmung mit der gesamten öffentlichen Meinung ist der Reichsverband der Ansicht, daß sich dies nur im Wege einer durchgreifenden Verwaltungsreform erreichen läßt, die endlich mit Nachdruck in Angriff zu nehmen wäre.“ (RdI an RK, 26.10.27, R 43 I/2570, Bl. 70–71).