2.198.1 (ma31p): Finanzausgleich.

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Finanzausgleich1.

Der Reichskanzler eröffnete die Besprechung und bat, zunächst die Frage des § 35 des Finanzausgleichs zu erörtern. Preußen verlange grundsätzlich die Aufhebung des § 35 und protestiere jedenfalls gegen die Erweiterung dieser Vorschrift2, wie Ministerpräsident Braun ihm noch soeben mitgeteilt habe.

Der Abg. Leicht führte aus, daß seine Partei mit der jetzigen Fassung des § 35 sich abfinden wolle, wenn ein angemessener Ausgleich in irgendeiner Weise dafür geboten werde.

Der Abg. Dr. Becker erklärte, nur dann mit der Beibehaltung des § 35 einverstanden zu sein, wenn die Gemeindegetränkesteuer, wie ursprünglich vorgesehen, am 1. April 1927 aufgehoben werde3.

Der Reichsminister der Finanzen wies darauf hin, daß der Ausgleich, welcher der Bayerischen Volkspartei vielleicht gewährt werden könne, notfalls in einer Erhöhung der in den Gesetzen über den Eintritt der drei süddeutschen Länder in die Biersteuergemeinschaft vorgesehenen Beträge liegen müsse4. Vielleicht würde aber von irgendeiner Seite auch für die Aufhebung der Gemeindegetränkesteuer, die er grundsätzlich wünschen müsse, eine Kompensation verlangt werden.

Der Abg. Dr. Becker vertrat die Auffassung, daß für die Aufhebung der Gemeindegetränkesteuer vielleicht ein Härtefonds gebildet werden könne.

Nach längerer Aussprache wurde folgende Übereinstimmung unter den Regierungsparteien erzielt:

a) Der in dem Gesetz über den Eintritt Württembergs in die Biersteuergemeinschaft im § 3 Satz 1 vorgesehene Betrag von 3 300 000 RM soll durch den Betrag von 8 633 000 RM ersetzt werden. Die in dem Gesetz über den Eintritt Bayerns und Badens in die Biersteuergemeinschaft im § 3 Abs. 1 Satz 1 vorgesehenen Beträge von 17 200 000 RM und von 2 200 000 RM sollen durch[619] die Beträge von 45 000 000 RM und 5 755 000 RM ersetzt werden. Außerdem sollen die drei genannten süddeutschen Länder noch eine gewisse besondere Entschädigung erhalten, die für Bayern ungefähr den Betrag von 6 Millionen RM ausmachen würde5.

b) Die Gemeindegetränkesteuer soll, wie ursprünglich vorgesehen, am 1. April d. Js. aufgehoben werden. Für die Aufhebung der Gemeindegetränkesteuer soll jedoch ein Härtefonds gebildet werden, und zwar für das erste Jahr des neuen provisorischen Finanzausgleichs in Höhe von 20 Millionen, für das zweite Jahr in Höhe von 10 Millionen RM. Der Reichsminister der Finanzen soll ermächtigt werden, mit Zustimmung des Reichsrats Verteilungsnormen aufzustellen.

c) Es soll ferner ein neuer § 4 a eingefügt werden, wonach die Länder in ihren Bestimmungen über die eigene Realbesteuerung usw. dafür Vorsorge treffen sollen, daß die Mehrerträge der Überweisungen aus den Reichssteuern, die über den Betrag von 2,4 Milliarden RM hinausgehen, in erster Linie zur Senkung der Realsteuern verwendet werden. Bis zum 1. Oktober 1927 soll ferner die Reichsregierung gemäß dem § 4 a den Entwurf eines Rahmengesetzes zur Regelung der Realsteuern und des Geldentwertungsausgleichs bei bebauten Grundstücken vorlegen. Hierzu bestand Übereinstimmung unter den Regierungsparteien, daß sie zu gegebener Zeit auch nach Kräften an der Verabschiedung des erwähnten Rahmengesetzes mitarbeiten würden. Genau formulierte Anträge sollten nach übereinstimmender Auffassung der Regierungsparteien in der morgigen (11. 3.) Sitzung des Steuerausschusses vorgelegt werden6. Die Sitzung wurde sodann geschlossen.

Fußnoten

1

Dem RT lag der „Entwurf eines Gesetzes zur Übergangsregelung des Finanzausgleichs zwischen Reich, Ländern und Gemeinden“ vor (RT-Bd. 413 , Drucks. Nr. 2883 ). Am 11.3.27 sollten die Beratungen des Steuerausschusses des RT über den GesEntw. beginnen.

2

Vgl. dazu Dok. Nr. 194, dort auch Anm. 3.

3

Der GesEntw. zur Übergangsregelung des Finanzausgleichs (Anm. 1) sah die Beibehaltung der Gemeindegetränkesteuern vor.

4

Vgl. dazu Dok. Nr. 194 unter I.

5

Am 14.3.27 brachten die Regierungsparteien im RT den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Gesetze über den Eintritt der Freistaaten Württemberg, Bayern und Baden in die Biersteuergemeinschaft“ ein. Danach sollte der jährliche Anteil Württembergs an den Biersteuereinnahmen von 3,3 auf 8,633 Mio RM, der Anteil Bayerns von 17,2 auf 45 Mio RM, der Anteil Badens von 2,2 auf 5,755 Mio RM erhöht werden (RT-Bd. 414 , Drucks. Nr. 3094 ). Dieser GesEntw. wurde am 2. 4. vom RT in namentlicher Abstimmung mit einfacher Mehrheit angenommen (RT-Bd. 393, S. 10351  ff., 10400 ff.). Das „Gesetz zur Änderung der Gesetze über den Eintritt der Freistaaten Württemberg, Bayern und Baden in die Biersteuergemeinschaft“ wurde am 9.4.27 ausgefertigt (RGBl. I, S. 94 ). – Preußen hatte noch vor der Verabschiedung des Gesetzes sowohl im RT wie auch im RR die Erklärung abgegeben, daß das Gesetz verfassungsändernd sei und daher mit Zweidrittelmehrheit angenommen werden müsse (RT-Bd. 393, S. 10265 ; Niederschriften des RR 1927, § 214; R 43 I /2388 , S. 405). Da Preußen mit dieser Auffassung nicht durchdrang, wandte es sich am 12.5.27 an den Staatsgerichtshof mit dem Antrag, die Rechtsungültigkeit des Gesetzes vom 9.4.27 festzustellen. Die RReg. reichte am 23.3.28 beim Staatsgerichtshof eine Gegenerklärung ein, der sich die Länder Bayern, Württemberg und Baden im wesentlichen anschlossen. Der Staatsgerichtshof entschied durch Urteil vom 17.11.28, daß das Gesetz vom 9.4.27 ungültig sei; bis zu einer endgültigen Entscheidung des Staatsgerichtshofs oder bis zum Zustandekommen einer mit verfassungsändernder Mehrheit beschlossenen Gesetzesänderung sei das Reich jedoch berechtigt, den Ländern Württemberg, Bayern und Baden die im Gesetz vom 9.4.27 festgelegten Biersteueranteile weiterzuzahlen (Vorgänge in R 43  I /2388 , 2389 ). Vgl. Menges, Reichsreform und Finanzpolitik, S. 170 ff.

6

Im Steuerausschuß des RT legten die Regierungsparteien mehrere Änderungsanträge zum GesEntw. betr. Übergangsregelung des Finanzausgleichs (Anm. 1) vor. Der Inhalt der Anträge war im wesentlichen folgender: Der vom Reich garantierte Gesamtbetrag der Steuerüberweisungen an die Länder aus der Einkommen-, Körperschafts- und Umsatzsteuer wird für die Rechnungsjahre 1927 und 1928 auf jeweils 2,6 Mrd. RM erhöht (Regierungsentwurf: 2,4 Mrd. RM); ein Betrag von 450 Mio RM wird nach dem Verteilungsschlüssel für die Umsatzsteuer verteilt; die Länder verpflichten sich, die Steuerüberweisungen aus der Einkommen-, Körperschafts- und Umsatzsteuer, die über den Betrag von 2,4 Mrd. RM hinausgehen, zur Senkung der Realsteuern zu verwenden, insbesondere zur Senkung der Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuern; die RReg. wird bis zum 1.10.27 den Entwurf eines Rahmengesetzes zur Regelung der Realsteuern vorlegen. Die Sonderzuweisungen an steuerschwache Länder nach § 35 des Finanzausgleichsgesetzes werden beibehalten, doch wird der Höchstbetrag der Zuweisungen begrenzt. Die bisherigen Vorschriften über die Erhebung von Gemeindegetränkesteuern entfallen; jedoch dürfen die Gemeinden unter bestimmten Bedingungen Steuern auf den örtlichen Verbrauch von Bier erheben. Bis zum Inkrafttreten des Arbeitslosenversicherungsgesetzes erstattet das Reich den Ländern und Gemeinden die Kosten der unterstützenden Erwerbslosenfürsorge. – Diese Änderungsanträge der Regierungsparteien wurden vom Steuerausschuß angenommen (Anträge, Ausschußberatungen und -beschlüsse in RT-Bd. 414 , Drucks. Nr. 3207 ). Am 2. 4. wurde der GesEntw. über den Finanzausgleich in der vom Steuerausschuß beschlossenen Fassung vom RT verabschiedet (RT-Bd. 393, S. 10364 ). Die Ausfertigung des „Gesetzes zur Übergangsregelung des Finanzausgleichs zwischen Reich, Ländern und Gemeinden“ erfolgte am 9.4.27 (RGBl. I, S. 91 ). Vgl. dazu Politisches Jahrbuch 1927/28, S. 732 ff.; Schulze, Otto Braun, S. 518 ff.; Menges, Reichsreform und Finanzpolitik, S. 350 ff.

In einem Brief an RK Marx vom 8. 4. bedankte sich der Bayer. FM Krausneck für die „großen Bemühungen“ des RK um das Zustandekommen des Finanzausgleichs. „Ich weiß“, so schrieb Krausneck, „welche Schwierigkeiten nicht nur innerhalb der Koalition, sondern schließlich auch noch im Reichsrat überwunden werden mußten, bis ein einigermaßen gerechter und für die Länder erträglicher Finanzausgleich zustande kam. Ohne die Verbesserungen, die den süddeutschen Ländern aus dem Biersteueraufkommen gewährt wurden [vgl. Anm. 5], wäre es Bayern gänzlich unmöglich gewesen, einen geordneten Haushalt für die nächsten Jahre aufzustellen und die sozialen und kulturellen Lasten zu bestreiten, die ihm zum größten Teil schon durch Reichsrecht selbst auferlegt sind.“ (R 43 I /2388 , S. 433–434).

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