Text
Nr. 54
Aufzeichnung des Staatssekretärs v. Schubert über eine Ministerbesprechung betreffend Sicherheits- und Völkerbundsfragen. 21. März 1925
Pol. Arch. des AA: Büro StS, FS Garantiepakt, Bd. 101 Abschrift
Heute fand eine Ministerbesprechung unter dem Vorsitz des Herrn Reichskanzlers statt, der sämtliche Reichsminister beiwohnten.
Der Reichsaußenminister erläuterte in sehr ausführlicher Weise die Richtlinien unserer Politik in der Räumungs-, der Sicherheits- und der Völkerbundsfrage.
Eingehend auf die Note des Völkerbundsrats2 betonte er, daß sie uns nicht genüge. Was unsere Vorbedingungen wegen des Artikels 16 anlange3, so wolle er nicht verlangen, daß wir von den drei Bestimmungen dieses Artikels ausdrücklich entbunden würden. Es komme ihm lediglich darauf an, eine geeignete Formel zu finden, die unsere Bedenken ausräume, eine Formel, wie sie die Note des Völkerbundsrates nicht enthalte.
Der Reichskanzler faßte die Linien unserer zukünftigen Politik folgendermaßen zusammen:
1. | Was die Frage unseres Eintritts in den Völkerbund anlangt, so kommt zur Zeit für uns eine Beitrittserklärung nicht in Frage. |
2. | Was den Sicherheitspakt angeht, so sind wir empfangsbereit und warten ab, bis die Entente wieder an uns herantreten wird4. |
3. | Was die Räumungsfrage und die éléments stables5 anbetrifft, so müssen diese beiden Fragen in unserem Sinne geregelt sein, ehe wir der Frage unseres Eintritts in den Völkerbund nähertreten können. |
4. | Es muß eine Sicherung dafür geschaffen werden, daß unser Eintritt in den Völkerbund nicht herbeiführen darf einen Abbruch unserer Beziehungen zu Rußland. |
[203] Der Reichskanzler stellte zur Diskussion, ob über die heutige Ministerratssitzung eine Notiz in die Presse kommen sollte. Die Opportunität einer solchen Notiz wurde allgemein verneint.
gez. Schubert
Fußnoten
- 1
Eine Niederschrift über diese Ministerbesprechung, in der das Gesamtkabinett erstmals ausführlich über die dt. Sicherheitsinitiative unterrichtet wurde, war in den Akten der Rkei nicht zu ermitteln.
- 2
Die Antwortnote des Völkerbundsrats auf die dt. Note vom 12.12.24 (s. Anm. 1 zu Dok. Nr. 43) war am 14. 3. eingegangen. S. dazu Anm. 1 zu Dok. Nr. 50.
- 3
Über die Vorbehalte gegenüber Art. 16 der Völkerbundssatzung, die von der RReg. mit Note an den Generalsekretär des Völkerbundes vom 12.12.24 und mit Memorandum an D’Abernon vom 25.2.25 geltend gemacht worden waren, s. Anm. 1 und 2 zu Dok. Nr. 43.
- 4
Zum Sicherheitspaktangebot, das die RReg. in fast gleichlautenden Memoranden vom 20. 1. und 9.2.25 in London und Paris unterbreitet hatte, s. Anm. 6 zu Dok. Nr. 43.
- 5
In Art. V des Genfer Investigationsprotokolls vom 27.9.24 (s. Anm. 2 zu Dok. Nr. 50) vorkommende Bezeichnung für ein in den entmilitarisierten Zonen einzurichtendes ständiges Überwachungsorgan des Völkerbundes.