2.93 (bau1p): Nr. 92 Die Fuldaer Bischofskonferenz an den Reichspräsidenten und die Reichsregierung. Köln, im Oktober 1919

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[339] Nr. 92
Die Fuldaer Bischofskonferenz an den Reichspräsidenten und die Reichsregierung. Köln, im Oktober 19191

R 43 I /2197 , Bl. 21–24

[Betrifft: Stellungnahme zur Reichsverfassung.]

Hohe Reichsregierung!

Die ergebenst unterzeichneten Erzbischöfe und Bischöfe Deutschlands halten sich im Gewissen verpflichtet, zur Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August d[ieses] J[ahres] mit folgender Erklärung Stellung zu nehmen.

Die katholische Kirche ist eine Institution, die durch Jesus Christus auf göttlicher Einsetzung beruht und deren Rechten, wie solche ihr von ihrem göttlichen Stifter verliehen sind und aus ihrer göttlichen Stiftung sich ergeben, keine weltliche Gesetzgebung Grenzen und Schranken zu setzen befugt ist. Wir erkennen gerne an, daß die neue Reichsverfassung auf einzelnen Gebieten für das Wirken der katholischen Kirche zum Wohle unseres hartgeprüften Volkes größere Freiheit mit sich bringt. Andererseits finden sich jedoch zu unserem schmerzlichen Bedauern auch solche Bestimmungen, die einen Eingriff in die unveräußerlichen Rechte der Kirche bedeuten. Zu solchen Bestimmungen gehören:

Art. 10 Nr. 1, wo das Reich sich dem Wortlaute nach2 die Befugnis beimißt, im Wege der Gesetzgebung Grundsätze aufzustellen für die Rechte und Pflichten der Kirche;

Art. 137, wo mit dem Satze: „Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ dem Staate das Recht zugesprochen wird, eventuell mit einem für alle geltenden Gesetze in die Angelegenheiten der Kirche, und seien es die innersten und wesentlichsten, einzugreifen;

Art. 1383, wo einseitig das Reich ohne Mitwirkung der Kirche für zuständig erklärt wird, bei etwaiger Ablösung der auf Gesetz, Vertrag und besonderen[340] Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Kirche die maßgebenden Grundsätze aufzustellen;

Art. 143–149, die über Unterricht und Erziehung der Jugend verschiedene Bestimmungen enthalten4, die einerseits nicht mit den Rechten der Kirche (vergl. die einschlägigen Canones des Codex Juris Canonici) und der Erziehungsberechtigten, besonders der Eltern vereinbar sind5 und die andererseits dem Staate viel zu weitgehende Befugnisse zusprechen, u. a. sogar ohne Einschränkung ein Aufsichtsrecht über den kirchlichen Religionsunterricht in der Schule, nicht nur über dessen äußere Einordnung in den Schul- und Lehrplan6.

Gegen diese und alle den Rechten der Kirche abträglichen Bestimmungen der neuen Reichsverfassung legen wir kraft unseres Amtes feierliche Verwahrung ein7. Dabei erkennen wir dankbar an, was von Mitgliedern der Nationalversammlung in Verteidigung der kirchlichen Grundsätze zur Verbesserung und Ergänzung des ursprünglichen Entwurfes der Verfassung geschehen ist.

Was den auf die Verfassung zu leistenden Eid8 angeht, so werden Katholiken durch ihn selbstverständlich zu nichts verpflichtet werden können, was einem göttlichen oder kirchlichen Gesetze und damit ihrem Gewissen widerstreitet. Das entspricht auch der Gewissensfreiheit, die in Art. 135 allen Bewohnern des Deutschen Reiches feierlich gewährleistet ist.

Von dem christlichen Grundsatz ausgehend, daß Staat und Kirche zwei verschiedene von Gott gewollte, jede auf ihrem Gebiete selbständige und darum gleichberechtigte Gewalten sind, dürfen wir der Überzeugung Ausdruck geben, daß sich hinsichtlich verschiedener Artikel der neuen Verfassung des[341] Deutschen Reiches, die wir beanstanden mußten, eine friedliche9 Verständigung zwischen den verantwortlichen leitenden Stellen in Staat und Kirche ohne Schwierigkeiten wird erzielen lassen10.

Für den Erzbischof von Köln, Felix Card. von Hartmann, im besonderen Auftrage

Dr. Vogl, Generalvikar.

Gez. Thomas Nörber, Erzbischof von Freiburg,

Adolf Bertram, Fürstbischof von Breslau,

M. Felix Korum, Bischof von Trier,

Paul Wilhelm von Keppler, Bischof von Rottenburg,

Augustinus Rosentreter, Bischof von Culm,

Georg Heinrich Kirstein, Bischof von Mainz,

Josef Damian Schmitt, Bischof von Fulda,

Augustinus Bludau, Bischof von Ermland,

Karl Josef Schulte, Bischof von Paderborn,

Johannes Poggenburg, Bischof von Münster,

Augustinus Kilian, Bischof von Limburg,

Wilhelm Berning, Bischof von Osnabrück,

Franziskus Löbmann, Titularbischof von Priene,

Apostolischer Vikar in Sachsen,

Josef Ernst, Bischof von Hildesheim,

Heinrich Joeppen, Titularbischof von Cisamo,

Feldprobst der preußischen Armee.

Fußnoten

1

Orts- und Zeitangabe so im Original. Ob die vorliegende Rechtsverwahrung bereits auf den 20.8.19 zu datieren ist, wie Bachem es unter Bezugnahme auf die in Fulda stattfindende Jahresversammlung der Erzbischöfe und Bischöfe Deutschlands (ausgenommen der bayer. Episkopat) tut, konnte nicht ermittelt werden (vgl. Bachem: Vorgeschichte, Geschichte und Politik der deutschen Zentrumspartei. S. 304). Den Bischöfen der Freisinger Bischofskonferenz wird die Stellungnahme erst durch die Veröffentlichung im Bayerischen Kurier Nr. 323 vom 18.11.19 bekannt (Volk: Der bayerische Episkopat und der Nationalsozialismus. S. 1). Das abgedruckte Schreiben trägt auf der ersten Seite das Präsentat des Büros des RPräs. vom 10.11.19 und den eigenhändigen Vermerk Eberts vom 12.11.19: „1. Herrn RK zur Erledigung. 2. Entsprechende Antwort, die ich bitte, mir vorher vorzulegen.“

2

Es heißt dort: „Das Reich kann im Wege der Gesetzgebung Grundsätze aufstellen für: 1. die Rechte und Pflichten der Religionsgesellschaften; […].“

3

Es heißt dort: „Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf. […]“

4

Geregelt sind u. a. durch Art. 143 RV die Verantwortung des Staates für die Bildung und Lehrerbildung, Art. 144 RV die staatliche Schulaufsicht, Art. 145 RV die allgemeine Schulpflicht, Art. 146 RV der organische Aufbau des öffentlichen Schulwesens (sog. Weimarer Schulkompromiß; vgl. Anm. 6), Art. 147 RV das Privatschulwesen, Art. 148 RV gewisse Bildungsziele, Art. 149 der Religionsunterricht (vgl. Anm. 7).

5

Umstritten war vor allem Art. 146 Abs. 2 RV: „Innerhalb der Gemeinden sind indes auf Antrag von Erziehungsberechtigten Volksschulen ihres Bekenntnisses oder ihrer Weltanschauung einzurichten, soweit hierdurch ein geordneter Schulbetrieb […] nicht beeinträchtigt wird. Der Wille der Erziehungsberechtigten ist möglichst zu berücksichtigen. Das Nähere bestimmt die Landesgesetzgebung nach den Grundsätzen eines Reichsgesetzes.“ Vgl. in diesem Zusammenhang auch Dok. Nr. 133, P. 4.

6

Siehe dazu Art. 149 Abs. 1 RV: „Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach der Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien (weltlichen) Schulen. Seine Erteilung wird im Rahmen der Schulgesetzgebung geregelt. Der Religionsunterricht wird in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgesellschaft unbeschadet des Aufsichtsrechts des Staates erteilt.“

7

Vgl. dazu die offizielle Stellungnahme des Apostolischen Nuntius in München, der sich ausdrücklich auf die Rechtsverwahrung der Fuldaer Bischofskonferenz beruft: „Die neue Verfassung des ‚Reichs‘ hat die Beziehungen zwischen Staat und Kirche in ihrer Gesamtheit einseitig verschoben und die rechtliche Stellung in Deutschland geändert. Der Heilige Stuhl ist ungeachtet seines ausdrücklichen Vorbehalts hinsichtlich der dadurch erfolgten Verletzungen der Rechte der Kirche […] bereit, sich mit der Reichsregierung oder mit den einzelnen Regierungen, mit denen Abmachungen bestanden, in Verbindung zu setzen, um ex novo die Angelegenheit der Beziehungen zwischen Kirche und Staat zu regeln, und er hat mich ermächtigt, zwecks Erzielung neuer Abmachungen Verhandlungen einzuleiten. –“ (Pacelli an Zech, 24.12.19; PA, Päpstlicher Stuhl Nr. 15, Bd. 9). – Zum Fortgang s. Dok. Nr. 85, Anm. 9.

8

Siehe – auch zum Wortlaut – Dok. Nr. 41, P. 5.

9

Auf der für den RK bestimmten Abschrift – mit Paraphe Bauers vom 9. 12. – kommentierte der RK an dieser Stelle eigenhändig: „Aber nur auf der Grundlage, daß die Kirche die Reichs-Gesetze anerkennt. Sie darf nicht ein Staat im Staate sein“ (R 43 I /2197 , Bl. 26).

10

Zur weiteren Behandlung durch die RReg. s. Dok. Nr. 133, P. 5. – Als der Apostolische Nuntius in München, Pacelli, Ende Dezember zu Konkordatssondierungen in Berlin weilt (vgl. Dok. Nr. 85, P. 3), geben die RReg. und die PrReg. in einem Aide-Memoire vom 29. 12. ihrer Überzeugung Ausdruck, „daß auch nach Erlaß der neuen Reichsverfassung die zwischen dem Hl. Stuhl und Preußen abgeschlossenen Verträge vorläufig weiter zu Recht bestehen. Um die Landesgesetzgebung mit der Reichsverfassung, soweit erforderlich in Einklang zu bringen, wird es als notwendig erachtet, daß alsbald mit dem Hl. Stuhl entsprechende Verhandlungen eingeleitet werden“ (R 43 I /159 , Bl. 31).

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