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2. Kreditabkommen mit Holland3.
Unterstaatssekretär Moesle führte aus, daß das Kreditabkommen schon ratifiziert worden wäre, wenn nicht die Commission des réparations gegen die deutsche Kohlenausfuhr nach Holland Widerspruch erhoben hätte4. Die holländischen Unterhändler hätten vorgeschlagen, demgegenüber das Abkommen schon für perfekt zu erklären. Der Vortragende empfiehlt folgende Ausführung, die der Reichskohlenkommissar in Paris machen müsse: Es sei dem Reichskanzler gelungen, die Bergarbeiterschaft für eine erhöhte Arbeitszeit zu gewinnen5; Deutschland hoffe infolgedessen an Frankreich erhöhte Kohlenlieferungen[648] machen zu können. Diese seien jedoch nur dann möglich, wenn den Bergarbeitern erhöhte Zuwendungen an Lebensmitteln gemacht würden, die wiederum nur durch das Abkommen mit Holland möglich würden.
Der Vortragende bittet das Kabinett, das Abkommen mit Holland nunmehr zu ratifizieren. Dies würde nur für den Fall Gültigkeit haben, daß auch Holland seinerseits ratifiziere. Durch die holländische Unterzeichnung solle eine vollendete Tatsache geschaffen werden, damit Poincaré6 der Verlegenheit enthoben werde, seine Genehmigung zum Abkommen im voraus zu erteilen.
Reichsminister des Auswärtigen Müller hat keine Bedenken gegen die Ratifizierung, wenn das Abkommen auch von Holland ratifiziert werde.
Reichsminister Dr. Geßler hält die internationale Rechtslage für zweifelhaft. Die Commission des réparations nähme das Genehmigungsrecht für sich in Anspruch. Er schlägt vor, vor der Ratifizierung den deutschen Geschäftsträger in Paris7 oder den Unterstaatssekretär Bergmann in der Frage zu hören.
Reichskanzler Bauer vertritt demgegenüber die Ansicht, wir sollten alles tun, um die Sache perfekt zu machen und das Weitere abwarten. Er schlägt die Erteilung der Genehmigung vor.
Unterstaatssekreätr Moesle betont, daß durch ein Hinziehen das ganze Abkommen gefährdet werde. Das Kabinett beschließt, das Abkommen mit Holland zu genehmigen und dies dem Geschäftsträger in Paris mitzuteilen, im übrigen aber die erfolgte Genehmigung vorläufig geheim zu halten8.
Fußnoten
- 3
Am 18.12.19 hatte der RFM dem RK mitgeteilt, daß die niederld. Reg. sich bereit erklärt habe, „in eine grundsätzliche Verhandlung über die Gewährung einer Anleihe an Deutschland einzutreten. Sie hat den Wunsch, gleichzeitig die Kohlenbelieferung Hollands in grundsätzlicher Hinsicht zur Sprache zu bringen“ (R 43 I/88, Bl. 12). Als Ergebnis der Verhandlungen wurde am 22.1.20 im Haag der Entw. eines Kredit- und Kohlenlieferungsvertrages unterzeichnet. Das Abkommen sieht vor, daß die Niederlande dem Dt. Reich einen Zehnjahreskredit in Höhe von 200 Mio Gulden zu einem Zinssatz von 6% gewähren. Davon sind 60 Mio Gulden für den Bezug von Lebensmitteln niederld. Ursprungs, der Rest als Revolving-Kredit zum Ankauf von Rohstoffen aus beliebigen Ländern bestimmt. Die Verwaltung des Rohstoffkredits erfolgt treuhänderisch durch eine gemeinsame dt.-niederld. Kontrollkommission. Als Gegenleistung soll Dtld. an die Niederlande vier Jahre lang monatlich mindestens 90 000 t Kohlen zum Weltmarktpreis liefern und außerdem gestatten, daß aus den an der dt.-niederld. Grenze gelegenen und in niederld. Besitz befindlichen Erkelenzgruben vom 1.1.24 ab Kohlen zoll- und abgabenfrei in die Niederlande ausgeführt werden. (Einzelheiten s. in den Anlagen zum Entw. in eines Zustimmungsgesetzes zu dem am 11.5.20 unterzeichneten dt.-niederld. Kredit- und Kohlenvertrag, RR-Drucks. 1920, Nr. 231 und RT-Bd. 363, Drucks. Nr. 267). Über das „für unsere gegenwärtige Lage günstige Ergebnis“ berichtete der RFM dem RK am 26. 1. und führte u. a. aus: „Für die weitere Auslandskreditgewährung ist das Zustandekommen dieses Kreditabkommens und der zweckentsprechende Aufbau der hierfür vorgesehenen Treuhand-Organisation von grundlegender Bedeutung.“ Gleichzeitig sprach der RFM die Hoffnung aus, nach seiner Genesung (s. dazu Dok. Nr. 155) „das Kreditabkommen und die auf seinen weiteren Ausbau abzielenden großzügigen Pläne“ selbst im Kabinett erläutern zu können (R 43 I/88, Bl. 15). – Die hier zum Ausdruck gebrachten weitgespannten Erwartungen des RFM stützen sich wahrscheinlich auf ein Mitte Januar 1920 von einer internationalen Wirtschafts- und Finanzkonferenz in Amsterdam verabschiedeten Memorandum. Darin wurde zu einer weltweiten, Dtld. als Verhandlungspartner einbeziehenden Erörterung der Kriegslasten aufgerufen und die gegenseitige Gewährung langfristiger Auslandskredite als Mittel zur Wiederherstellung geordneter wirtschaftlicher Zustände in Europa vorgeschlagen (vgl. Dok. Nr. 177, insbesondere Anm. 12). In einer auf eingehenden Rücksprachen basierenden Stellungnahme vertrat dagegen der dt. Gesandte im Haag, Rosen, allerdings die Auffassung, daß „eine Verwirklichung einer großen internationalen Kreditverständigung in weiter Ferne zu liegen scheint und daß wir daher allen Grund haben, vorläufig die 200-Millionen-Anleihe als näheres und greifbareres Ziel im Auge“ zu behalten (Rosen an das AA, 7.2.20; R 43 I/2432, Bl. 86–88).
- 4
Zum Gesamtzusammenhang s. Dok. Nr. 177, Anm. 15; zur Frage der Zuständigkeit der all. Repko s. auch diese Edition: Das Kabinett Fehrenbach, Dok. Nr. 119, P. 1.
- 5
Vgl. Dok. Nr. 170, P. 4, insbesondere Anm. 9.
- 7
Zum dt. Geschäftsträger in Paris war der frühere RSchM Dr. Mayer (-Kaufbeuren) ernannt worden (Schultheß 1920, I, S. 11).
- 8
Mit Schreiben vom 23. 3. teilt der RAM dem RK mit, daß eine Ratifikation des Vertrages erst nach Beschlußfassung durch die parlamentarischen Körperschaften in Frage kommen könne, da z. B. die zur Sicherheitsleistung für den Kredit vorgesehene Hinterlegung von Reichsschatzscheinen nach der Reichsschuldenordnung genehmigungspflichtig sei (R 43 I/88, Bl. 44 f.). – Zum Fortgang s. diese Edition: Das Kabinett Müller I, Dok. Nr. 55, P. 4.