Text
[321]3. Beziehungen zum Vatikan5.
Der Reichsminister des Auswärtigen teilte mit, daß Bayern seine Gesandtschaft beim Vatikan nicht aufgeben wolle; auch der Papst wolle seinen Nuntius in München belassen. Nach der Verfassung stehe die Frage der Beziehungen zu fremden Staaten dem Reiche zu6. Ob der Vatikan als Staat anzusehen sei, sei zweifelhaft. Er habe mit dem bayerischen Ministerpräsidenten die Angelegenheit besprochen; er glaube die Zustimmung Bayerns dazu erreichen zu können, daß unter Zurückziehung des bayerischen Gesandten eine Botschaft beim Vatikan eingerichtet werde, vorausgesetzt, daß Bayern ein Vorschlagsrecht für die Besetzung des Postens eingeräumt werde; im Falle der Ablehnung des vorgeschlagenen Kandidaten durch das Reich sollte von Bayern ein anderer Kandidat vorgeschlagen werden7 . Das Kabinett stimmte dem vom Reichsminister des Auswärtigen vorgeschlagenen Wege zu; es sollte jedoch dahin gewirkt werden, daß der offizielle Vertreter des Vatikans auch seinen Sitz in Berlin habe8. Mit Preußen solle gleichfalls verhandelt und versucht werden, die Zustimmung unter Verzicht auf einen eigenen Vertreter beim Vatikan zu erlangen9 . Der Reichsminister des Auswärtigen wird das Weitere veranlassen.
Fußnoten
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Vgl. Art. 78 Abs. 1 RV. – Bisher hatten Preußen und Bayern Vatikangesandtschaften unterhalten. Ein Apostolischer Nuntius residierte lediglich in München.
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Die Unterredung fand anläßlich der Anwesenheit des bayer. MinPräs. Hoffmann bei der Reichsschulkonferenz in Berlin am 22. 10. statt. In einem Privatdienstschreiben an Hoffmann legt der RAM am 1. 11. den vorstehenden Kompromißvorschlag noch einmal schriftlich nieder und bittet den MinPräs. in dieser Angelegenheit zunächst nichts zu unternehmen, da die Frage einer erneuten Erörterung bedürfe: „Es wird hier nämlich befürchtet, daß sich gegen einen solchen Kompromiß in den Reihen der preußischen Katholiken großer Widerstand geltend machen wird. Ich halte mich für verpflichtet, Ihnen dies mitzuteilen“ (Abschrift; PA, Päpstlicher Stuhl Nr. 15, Bd. 9). Eine Besprechung der RReg. mit den MinPräs. der Länder über das Gesandtschaftsrecht findet am 21. 11. statt; es können nicht alle Meinungsverschiedenheiten beseitigt werden (vgl. Dok. Nr. 130, Anm. 1). Der bisherige bayer. Gesandte beim Hl. Stuhl, Baron Ritter, überreicht daraufhin am 22. 11. in Rom ein neues Beglaubigungsschreiben.
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Diese nicht zuletzt der Durchbrechung der außenpolitischen Isolation dienenden Bemühungen gibt RAM Müller am 23. 10. vor der NatVers. bekannt (NatVers.-Bd. 330, S. 3386). Am 29. und 30. 12. nimmt der Apostolische Nuntius in München, Pacelli, einleitende Gespräche mit der RReg. und der PrReg. in Berlin auf (Materialien in: R 43 I/159), nachdem er am 30. 10. durch den bayer. MinPräs. über die kirchenpolitische Haltung der RReg. nach Inkrafttreten der RV informiert worden war und daraufhin vom Hl. Stuhl den Auftrag erhalten hatte, sich „so bald als möglich“ nach Berlin zu begeben, „um Verhandlungen zum Zwecke der neuen Regelung der Beziehungen zwischen Kirche und Staat in Deutschland anzubahnen“ (Pacelli an Zech, 19.12.19; Abschrift; R 43 I/159, Bl. 23). – Zum Fortgang der Verhandlungen vgl. R. Morsey: Zur Geschichte des Preußischen Konkordats und der Errichtung des Bistums Berlin. In: Wichmann-Jahrbuch, Jg. 19/20 (1965/66), S. 64–89.
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Obwohl die Länder im Interesse einer einheitlichen Außenvertretung des Reichs im Prinzip auf diplomatische Auslandsgesandtschaften verzichten wollen (vgl. Dok. Nr. 130), bleibt die Frage der Ernennung des dt. Vatikanbotschafters zunächst strittig. Preußen, das sich auch in den gleichzeitigen Verreichlichungsverhandlungen über die Eisenbahnen und Wasserstraßen angesichts bayer. Reservatforderungen übervorteilt glaubt, protestiert gegen die Absicht, Bayern ein Vorschlagsrecht einzuräumen. Notfalls werde Preußen bei den weiteren Verreichlichungsverhandlungen „als größtes Land Anspruch auf Behandlung nach dem Rechte der Meistbegünstigung“ erheben (Der PrMinPräs. an die RReg., 11.11.19; R 43 I/159, Bl. 13 f.). Da die Kurie weiterhin großen Wert auf eine bayer. Gesandtschaft in Rom – auch als Korrelat zur Münchner Nuntiatur – legt, macht der UStS im AA folgenden Vorschlag: „Auch nur vorläufiges Belassen bayerischer Gesandtschaft würde [o. a.] Abkommen durchbrechen, Preußen würde von neuem auf Sondervertretung bestehen. Da dreifache Vertretung völlig ausgeschlossen, käme Reichsbotschaft in diesem Falle nicht mehr in Frage, daher Ernennung Reichsbotschafters, der zugleich preußischer und bayerischer Vertreter wäre, einzig mögliche Lösung. […]“ (Erlaß Haniels an von Bergen, 1.2.20; PA, Päpstlicher Stuhl Nr. 15, Bd. 9). In teilweiser Ausführung dieses Vorschlags wird der bisherige pr. Gesandte am 30.4.20 zum ersten Botschafter des Dt. Reichs beim Vatikan ernannt. Die bayer. und die (von Preußen 1925 erneut durchgesetzte) pr. Vatikangesandtschaft werden erst 1934 aufgehoben.