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2. Allgemeine Finanzlage, Ruhrkredite, Stellung des Sparkommissars.
Der Herr Reichsminister der Finanzen macht eingehende Ausführungen über die gegenwärtige Finanzlage und über die Ausgaben und Einnahmen des Reichs in den nächsten 4 Wochen4. Besonders bemerkt er, daß die Kredite an[31] die Länder seitens des Reichs möglichst eingeschränkt werden müßten5 und daß man im Zusammenhang damit in gewisser Hinsicht die Steuerhoheit für die Länder wiederherstellen müsse6.
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S. Anm. 9 zu Dok. Nr. 9. In der Dekade vom 21.–31.8.23 betrugen die Nettoeinnahmen der Reichshauptkasse aus Steuern, Zöllen usw. 866,7 Billionen Mark, vom 1.-10. 9.: 1302,8 Billionen Mark, vom 11.–20. 9.: 5445,8 Billionen Mark. Die Ausgaben der Reichshauptkasse ohne Zahlungen an die Reichsbetriebe beliefen sich für Leistungen nach dem VV und Zinsen für die schwebende Schuld usw. in der ersten Dekade auf 688,0 Billionen, in der zweiten auf 919,4 Billionen und in der dritten auf 3861,1 Billionen (Übersichten über die Geldbewegung der Reichshauptkasse; R 43 I/2357, Bl. 251, 268, 286).
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In einem Schreiben an die RReg. vom 20.8.23 berichtete der RFM: „Die Besoldungszuschüsse, die den Ländern und Gemeinden gegeben werden mußten, betrugen im Mai 323 Milliarden, im Juni 4860, im Juli 6046 Milliarden. An Notstandsdarlehen für Länder und Gemeinden wurden gegeben im Mai 33 Milliarden, im Juni 588 Milliarden, im Juli 821 Milliarden“ (R 43 I/876, Bl. 87).
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Die Steuerhoheit der Länder war durch die Erzbergersche Finanzreform im Jahr 1919/20 weitestgehend auf das Reich übergegangen, das seither die Länder alimentierte. Hilferdings Vorschlag mag dadurch ausgelöst worden sein, daß wegen der großen Not an Zahlungsmitteln Baden und Württemberg nachhaltig darauf drängten, das Notenausgaberecht ihrer Notenbanken zu erweitern (RWiM an StSRkei, 16.8.23; R 43 I/632, Bl. 176).
Endlich verweist er auf die Sachlieferungen an Jugoslavien, die eine erhebliche finanzielle Belastung für das Reich darstellten7. Er erörtert sodann die Frage der Devisenbeschaffung und bat am Ende seiner Ausführungen um Unterstützung der Ressorts dadurch, daß diese ihre Ausgaben auf ein größtmöglichstes Mindestmaß beschränkten8.
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Auf Beschluß des Kabinetts Cuno vom 7.8.23 waren die Reparationsleistungen – auch an Jugoslawien – eingestellt worden (Das Kabinett Cuno, Dok. Nr. 240). In Belgrad hatte deswegen zunächst völlige Ratlosigkeit geherrscht und das Außenministerium hatte in der Presse die deutsche Begründung mitgeteilt in der Erwartung, daß eine baldige Klärung dieser Frage herbeigeführt werde (Gesandtschaft Belgrad an AA, 16.8.23; Pol.Arch.: Abt. Wirtschaftsreparationen 8 Nr. 3 B Jugoslawien, Bd. 1). Wegen des Fiume-Konfliktes trat dann ein Stillstand in dieser Angelegenheit ein, zumal eine gemeinsame Aktion mit Griechenland und der kleinen Entente nicht zustande kam. Aus Belgrad wurde gemeldet, „die Ankunft von Gütern, die auf Grund älterer Kontakte zu liefern waren, wirkt erfreulich und wird sorgfältig registriert“. Die jugoslaw. Ministerien ständen in Verhandlungen mit dt. Industriellen über Lieferungen im folgenden Jahr (3.9.23; Pol.Arch.: Wirtschaftsreparationen 8 Nr. 3 B Jugoslawien, Bd. 2). Zum Fortgang s. Dok. Nr. 125, P. 2.
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Die Ausgabenbeschränkung forderte der RFM auch in einem Schreiben vom 20.8.23, wobei er einräumte, daß infolge der inflationären Entwicklung es unmöglich sei, die Ausgabenbewilligung strikt einzuhalten (R 43 I/876, Bl. 87). Zu den Folgerungen aus dieser Situation s. Dok. Nr. 55, P. 10.
Der Herr Reichswirtschaftsminister bemerkte, daß man anstreben müsse, das Ablieferungssoll der Exportdevisen zu erhöhen, ferner engste Grenzen bei dem Ankauf von Rohstoffen zu erzielen. Er regte an, einem Einfuhrverbot für Kakao, Liköre und Rohtabak näherzutreten9. Ferner weist er auf die zahlreichen Devisen, die sich noch in Privathänden befänden und auf ihre eventuelle Erfassung hin10.
Endlich erörtert er die mißliebigen Folgen der Tatsache, daß die Kohlenpreise über dem Weltmarktpreis stünden. Er geht im Zusammenhang damit auf die Ausfuhrabgabe ein. Die Ausfuhrkontrolle müsse abgeändert werden11, da sie in Anbetracht der großen Preissteigerungen und der Annäherung an die[32] Weltmarktpreise nur noch eine Mehrung der unproduktiven Löhne darstelle12. Er bitte, das Kabinett möge grundsätzlich seinem Programm zustimmen.
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Ausfuhrabgabe und Ausfuhrkontrolle gingen zurück auf die VO zur Außenhandelskontrolle vom 20.12.19, RGBl. S. 128, mit Ausführungsbestimmungen und -erweiterungen in den Jahren 1920 und 1921. Am 30.8.22 waren die Abgaben um 60% erhöht worden, s. dazu Die Kabinette Wirth I und II, Dok. Nr. 369; dort auch weiteres über Ausfuhrabgaben, soweit sie sich auf das Londoner Ultimatum beziehen.
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Der Reichskohlenverband hatte in einem Schreiben an den RWiM vom 15.8.23 dargelegt, daß die ab 6.8.23 gültige Lohnregelung („100% des Friedenslohnes als Reallohn, über Lebenshaltungsindex berechnet, plus Zuschlag von 140% zum Ausgleich der Geldentwertung zwischen Lohnwoche und Zahltag“) in Verbindung mit der Geldentwertung und den Selbstkosten zu Kohlenpreisen geführt habe, „die bereits bei dem jetzigen Stande der Mark fast auf der ganzen Linie über den Weltmarktpreisen liegen“. Die weiteren Lohnsteigerungen würden zur Folge haben, daß ohne weitere Geldentwertung vom 20. 8. an die Kohlenpreise in Deutschland das doppelte des Weltmarktpreises ausmachen würden. Der Reichskohlenverband hatte gefordert, daß angesichts dieser für Wirtschafts- und Währungspolitik höchst bedenklichen Entwicklung die 30prozentige Kohlensteuer abgebaut werden solle: „Diese durch die Besserung der Mark notwendig werdende Beseitigung einer Steuer, die in der letzten Zeit eine reine Valutasteuer anzusehen war, würde nebenbei für den Abwehrkampf der besetzten Gebiete eine große Bedeutung haben. Sie würde den Franzosen und Belgiern den letzten Schein des Rechts für die weitere Erhebung der Kohlensteuer entziehen, die gerade in der letzten Zeit bekanntlich zu großen Schwierigkeiten und zu bedauerlichen Durchbrechungen der gemeinsamen Abwehrhaltung geführt hat“ (R 43 I/2410, Bl. 288/289). In einer Pressenotiz teilte der Reichskohlenverband mit, daß er die Aufhebung der Kohlensteuer beantragt habe, gleichzeitig gab er die Erhöhung der Kohlenpreise bekannt, die zwischen 55,9% beim Oberschlesischen Steinkohlensyndikat und 63,3% beim Rheinischen-Westfälischen Kohlensyndikat und beim Aachener Steinkohlensyndikat lagen (R 43 I/2410, Bl. 290/291). Nach einem Brieftelegramm des Berliner Magistrats an den RK vom 18.8.23 zur Kohlenversorgung der Stadt lagen der englische und der deutsche Kohlenpreis an diesem Tag noch gleich. Durch Erhöhung der Frachtkosten werde jedoch vom 20. 8. an der Kohlenpreis Deutschlands „zehn Millionen über englischen“ liegen. Die vom Reichskohlenrat beabsichtigte Preiserhöhung über 200% werde zur Folge haben, „Preis der englischen Kohle am Montag 35 Millionen, Preis der deutschen Kohle am Montag 85 Millionen“ (R 43 I/2187, Bl. 35). S. hierzu auch Dok. Nr. 18, P. 1 und Dok. Nr. 25, P. 1.
Der Herr Reichsverkehrsminister bespricht die finanzielle Lage der Eisenbahn13 und im Zusammenhang damit die Notwendigkeit neuer Tariferhöhungen14. Er bittet das Kabinett, den Tariferhöhungen, die bereits in kürzester Frist erfolgen müßten, grundsätzlich zuzustimmen.
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Die Fehlbeträge der Eisenbahn, die durch Reichszuschüsse ausgeglichen werden mußten, hatten im Mai 1228 Milliarden, im Juni 4058 Milliarden, im Juli 10 581 Milliarden betragen (RFM an RReg. 20.8.23; R 43 I/876, Bl. 87).
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Nach Meldungen der Kölnischen Zeitung vom 9.8.23, Nr. 548, und der Frankfurter Zeitung vom 11.8.23, Nr. 590, war der Reichseisenbahnrat einberufen worden, um über wertbeständige Tarife zu beraten, die vom 20. 8. an gültig sein sollten.
Das Kabinett erhebt gegen die für Montag geplanten Tariferhöhungen keinen Widerspruch15.
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Am 16.8.23 hatte die Frankfurter Zeitung, Nr. 601, berichtet: „Am 20. 8. tritt eine neue Tariferhöhung bei der Reichseisenbahn ein. Das Ministerium erhöht die Personen- und Gepäcktarife um 900%, die Güter- und Tiertarife um rund 2000%. Für den Güterverkehr werden die neuen Sätze als Indextarife eingeführt. Die Schlüsselzahl im Güterverkehr beträgt 1.200.000. Bei den Personentarifen soll die Indexregelung erst vom 1. 9. an durchgeführt werden.“ S. weiter Dok. Nr. 25, P. 3.
Der Herr Reichsarbeitsminister bittet das Kabinett, 1) der Gewährung eines Kredits von 38 Milliarden Mark für die Buchdruckereibetriebe Kölns und von 69 Milliarden Mark für die sonstigen Buchdruckereien des Kreises II der besetzten Gebiete zuzustimmen16, ferner, wie folgt zu beschließen, 2) die Entschädigung,[33] die den Gewerkschaften als Vergütung für Erfüllung von Reichsausgaben [!]17 im Ruhrgebiet gewährt wird, ist der Geldentwertung entsprechend zu erhöhen. Als Ausgleich für bisher zu wenig erhaltene Entschädigung sollen die Gewerkschaften eine einmalige Abfindung von 330 Milliarden Mark erhalten.
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Bei dem Kölner Kredit handelt es sich um Zuschüsse zu den Löhnen der Kölner Buchdrucker, nachdem der dortige RegPräs. Graf Adelmann einen Zuschuß gegen „ausdrückliche Meinungsäußerung“ der zuständigen Reichsbehörde bewilligt hatte, „um einen Streik und vor allem die Stillegung der Notenpresse zu verhindern“. Ein erneuter Vorstoß des RegPräs., die Lohnforderungen der Kölner Drucker bei den zentralen Lohnverhandlungen in Berlin gebührend zu berücksichtigen, traf erst Mitte September bei dem RArbM ein, nachdem ein Schiedsspruch bereits gefällt worden war. Brauns erklärte in einem Schreiben an den PrHandM und an den PrWohlfM: „Ich bemerke aber ausdrücklich, daß eine erneute Übernahme etwaiger Sonderzulagen, die der Regierungspräsident in Köln bewilligt, auf Reichsmittel unter allen Umständen ausgeschlossen ist. Meiner Auffassung nach ist es nicht angängig, den Forderungen der Buchdrucker immer wieder, zu Lasten des Reiches, nachzugeben, selbst wenn andernfalls unerwünschte politische Folgewirkungen entstehen sollten“ (15.9.23; R 43 I/215, Bl. 80/81).
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Gemeint ist wahrscheinlich: „Reichsaufgaben“.
Außerdem soll den Gewerkschaften wegen der ihnen durch die Ruhrbesetzung erwachsenden allgemeinen Schwierigkeiten durch das Reichsarbeitsministerium ein Markkredit bis zur Höhe von 670 Milliarden zur Verfügung gestellt werden. Diese Kreditgewährung ist vertraulich zu behandeln18.
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Zur Tätigkeit der Gewerkschaften im passiven Widerstand s. Das Kabinett Cuno, Dok. Nr. 71 mit Anm. 3 und Dok. Nr. 221 mit Anm. 5. Zu dem Verbot der Besatzungsbehörden an Stadtverwaltungen, sich bei Hilfszahlungen aus der Rhein-Ruhr-Hilfe für Personen zu beteiligen, „die infolge der Besatzung erwerbslos geworden seien“, war in einer Ressortbesprechung des Reichskommissars für die Ruhrabwehr am 10.7.23 ausgeführt worden: „Es ist schon seit längerer Zeit geplant, das Verbot in der Weise zu umgehen, daß die Gewerkschaften die Gelder an die Erwerbslosen auszahlen“ (R 43 I/214, Bl. 120). S. dazu auch P. Wentzcke, Ruhrkampf, S. 394, 410.
Das Kabinett stimmt den Anträgen zu.
Der Herr Reichskanzler regt an, am Montag eine Kabinettssitzung stattfinden zu lassen, in der die Herren Minister formulierte Vorschläge für die bei der Behandlung der besprochenen Fragen einzuhaltende Politik vorlegen möchten19.