1.214.1 (bru2p): Umorganisation der Arbeitslosenfürsorge.

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Umorganisation der Arbeitslosenfürsorge.

Reichsarbeitsminister Dr. StegerwaldStegerwald entwickelte folgenden Plan:

Die Arbeitslosenversicherung wird bei dem gegenwärtigen Stand der Arbeitslosigkeit und der voraussichtlichen Entwicklung im Winter einen Fehlbetrag von 263 Millionen Reichsmark haben. Da eine Beitragserhöhung zur Deckung dieses Fehlbetrages aus mancherlei Erwägungen abzulehnen ist, muß versucht werden, die Verhältnisse in der Arbeitslosenversicherung ohne Beitragserhöhung zu sanieren. Dieses Ziel wird gelingen, wenn man die Unterstützungsdauer der Arbeitslosenversicherung auf 18 Wochen abkürzt und ferner die Versicherungsleistungen kürzt in der Weise, daß im großen und ganzen nur noch die Sätze der Krisenfürsorge gewährt werden. Durch diese Maßnahmen, insbesondere durch das frühere Abschieben der Arbeitslosen auf die Krisenfürsorge, wird die Krisenfürsorge und die Wohlfahrtserwerbslosenfürsorge stärker belastet. Während man die Arbeitslosenversicherung in der Form der Versicherung unbedingt erhalten müsse, läßt sich die bisherige Dreiteilung von Alu, Kru und Wohlu angesichts der Krisenzeit bezüglich Kru und Wohlu nicht aufrechterhalten. In der praktischen Durchführung ist bei der Kru und Wohlu ein Unterschied kaum noch zu machen, darum müsse Kru und Wohlu zu einer einheitlichen Reichserwerbslosenfürsorge zusammengefaßt werden. Die Durchführung dieser Reichsarbeitslosenfürsorge soll durch die Arbeitsämter erfolgen. Von den bisherigen Wohlfahrtserwerbslosen sollen nur diejenigen in die Reichserwerbslosenfürsorge übernommen werden, die in den letzten 3 Jahren nachweislich 26 Wochen in Arbeit waren. Auf diese Weise werden die Wohlfahrtserwerbslosen unterschieden von denjenigen Wohlfahrtserwerbslosen, die den Gemeinden und Gemeindeverbänden auch weiterhin zur Last fallen müssen. Das sind die Kleinrentner und die nichtarbeitsfähigen Unterstützungsbedürftigen, die über 65 Jahre alten Personen, Krüppel usw. Das Reich trägt die gesamten Kosten für die Reichserwerbslosenfürsorge und zieht 40 v.H. der aufgewendeten Kosten von den Gemeinden und Gemeindeverbänden wieder ein. Die Kosten werden also im Verhältnis von 60 : 40 von Reich[1672] und Gemeinden getragen. Die Gemeinden bleiben insofern bei der praktischen Durchführung mitbeteiligt, als sie die Bedürftigkeitsprüfung vornehmen.

Der Reichsarbeitsminister rechnete aus, daß durch den einheitlichen Unterstützungssatz für Kru und Wohlu im Gesamteffekt eine Ersparnis von etwa 200 Millionen RM erzielt werden kann.

Der Reichsminister der Finanzen äußerte gegen die Durchführbarkeit dieses Planes starke Bedenken. Er nahm zwar mit Befriedigung davon Kenntnis, daß durch den Plan des Reichsarbeitsministers 200 Millionen RM gespart werden könnten, bezweifelte aber, ob dieser Erfolg auch wirklich eintreten werde. Am stärksten jedoch waren seine Bedenken hinsichtlich der Beitreibbarkeit des 40%igen Kostenanteils von den Gemeinden. Er wies darauf hin, daß schon jetzt kaum eine Möglichkeit besteht, von den Gemeinden das bei der bestehenden Regelung auf diese entfallende Fünftel der Kosten der Kru zu bekommen.

Der Reichskanzler der sich nur kurze Zeit an der Besprechung beteiligen konnte1, äußerte gleichfalls starke Bedenken gegen den Plan des Reichsarbeitsministers. Er bezweifelte, daß die Arbeitsämter in der Lage sein würden, die ihnen zugedachte Aufgabe zu meistern. Ferner erklärte er, unter keinen Umständen zulassen zu können, daß der Reichsetat durch die Arbeitslosenfürsorge erneut mit einem Ausgabeposten belastet werde, dessen Höhe unabsehbar ist. Ein derartiges Vorgehen würde die Etatgebarung des Reichs im Ausland aufs höchste diskreditieren und die Lösung der Reparationsfrage außerordentlich erschweren.

1

Der RK wurde während dieser Besprechung von StS v. Bülow über die Genfer VB-Beratungen unterrichtet (Nachl. Pünder Nr. 43, Bl. 56).

Mit Rücksicht auf die vorgeschrittene Zeit – anschließend war eine Ministerbesprechung vorgesehen2 – wurde die Beratung abgebrochen.

2

S. Dok. Nr. 468.

Der Reichskanzler erklärte, den Fragenkomplex zunächst nochmals mit den Herren Reichsminister Dietrich und Stegerwald allein besprechen zu wollen3. Danach soll eine Beratung im erweiterten Kreise stattfinden4.

3

Diese Besprechung fand am 12.9.31 von 9.20–11.05 Uhr statt. Über das Ergebnis konnte in den Akten der Rkei nichts ermittelt werden.

4

S. Dok. Nr. 498, P. 2.

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