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1. Umsatzsteuerfragen.
Der Reichsminister der Finanzen trug die Schwierigkeiten vor, die sich der Verabschiedung der Umsatzsteuer in der von der Regierung vorgeschlagenen Form1 entgegenstellen. Er wies darauf hin, daß im Zentrum eine starke Strömung bestehe, welche eine allgemeine Senkung des Steuersatzes auf 1% oder aber bei Aufrechterhaltung des allgemeinen Steuersatzes von 1½% eine Freistellung einer großen Anzahl von Lebensmitteln von der Umsatzsteuer verlange. Er betonte, daß bei einem Eingehen auf diese Anregungen das Finanzausgleichskompromiß2 stark gefährdet werden würde, da die Länder an der Garantie eines Anteils von 2,1 Milliarden Mark aus dem Aufkommen[467] aus Umsatz-, Einkommen- und Körperschaftssteuer festhalten würden. Er regte an, über die Frage der Senkung der Umsatzsteuer zur Zeit eine Entschließung noch nicht zu fassen, vielmehr zunächst darauf zu drängen, daß die dritte Lesung der Steuergesetze in unmittelbarem Anschluß an die zweite Lesung stattfinde, daß erst nach Abschluß dieser dritten Lesung die zweite Lesung der Zollvorlage beginnen solle, und daß bei dieser die etwaige Senkung der Umsatzsteuer mitbehandelt werden solle. Er hielt für angezeigt, vor der dritten Lesung der Steuervorlagen mit den Parteien, insbesondere dem Zentrum, neue Abmachungen über die Behandlung der Umsatzsteuer zu treffen, die aber als Bestandteil der Verhandlungen über die Zollvorlage behandelt und erst bei der zweiten Lesung der Zollvorlage bekanntgegeben werden sollten.
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Die RReg. hatte einer geringfügigen Senkung des geltenden Satzes der allgemeinen Umsatzsteuer (1½% gemäß VO des RPräs. vom 10.11.24, RGBl. I, S. 737) grundsätzlich zugestimmt, nachdem dieser in den Verhandlungen des Steuerausschusses (Juni/Juli 1925) von Vertretern fast aller Parteien als sozial ungerecht bezeichnet worden war. Der Ausschuß beschloß daraufhin mit den Stimmen der Regierungsparteien die Ermäßigung der Steuer auf 1¼% und die Einfügung diesbez. Bestimmungen in den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verkehrssteuern und des Verfahrens“ (s. den Bericht des 6. Ausschusses vom 23.7.25, RT-Drucks. Nr. 1269, Bd. 404).
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S. Dok. Nr. 136.
Der Reichsarbeitsminister legte den Standpunkt des Zentrums eingehend dar; er vertrat die Auffassung, daß eine Freistellung der Lebensmittel (Getreide bis Brot und Vieh bis Fleisch des Zolltarifs) allein und mehr als eine Senkung des Steuersatzes den sozialpolitischen Belangen gerecht werde. Die Befürchtungen, die sich gegen die technische Durchführung einer die genannten Lebensmittel freilassenden Umsatzsteuer ergeben könnten und die ferner hinsichtlich einer weiteren Durchlöcherung der Umsatzsteuer (Ausdehnung der Steuerfreiheit auch auf die Handelsvertreter3) geltend gemacht werden könnten, hielt er nicht für durchschlagend.
Der Reichskanzler unterstrich den Standpunkt des Reichsministers der Finanzen und regte an, zur Zeit einen Beschluß noch nicht zu fassen, sondern dem Reichsminister der Finanzen zu überlassen, vorerst noch durch Verhandlungen mit den Parteien die allgemeine Lage näher zu klären und im Laufe der nächsten Tage dann dem Kabinett neue Vorschläge zu unterbreiten4.
Es wurde dementsprechend beschlossen.
Im Anschluß hieran fand eine
Ministerbesprechung
statt, bei welcher anwesend waren: die oben genannten Minister mit Ausnahme des Reichsministers des Auswärtigen sowie Staatssekretär Dr. Kempner und Ministerialdirektor Dr. Pünder.