2.228 (bru1p): Nr. 228 Aufzeichnung des Ministerialrats Feßler über die Fortsetzung der agrarpolitischen Besprechungen. 29. Januar 1931

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Nr. 228
Aufzeichnung des Ministerialrats Feßler über die Fortsetzung der agrarpolitischen Besprechungen. 29. Januar 1931

R 43 I /2546 , Bl. 53–60

Im gleichen Kreise wie am 27. Januar wurden die Grundfragen der Agrarpolitik weiterbesprochen1.

1

S. Dok. Nr. 225.

Nach Ausführungen des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft beruht der Bestellungsplan auf der Tatsache, daß bisher

700 000 

ha Roggen

800 000 

ha Hafer und

50 000 

ha Zuckerrüben

zuviel angebaut waren.

Von den überschießenden Roggenböden ist der größte Teil bereits umgestellt. Insgesamt sollen

500 000 

ha Weizen und

500 000 

ha Gerste

mehr angebaut werden als bisher. Die Gesamteinfuhr dieser beiden Fruchtsorten von 2–2½ Millionen Tonnen soll so im Jahre 1931/32 auf etwa eine Million t herabgedrückt werden.

550 000 

ha sind in Grünland umzustellen.

Professor Warmbold gab hierzu auf Grund der alten preußischen Bonitierung2, deren Ergebnisse auf die beiden Mecklenburg übertragen wurden, für die östlichen Provinzen und diese beiden Länder, die insgesamt 10,3 Millionen ha umfassen, von denen 8 Millionen ha unter dem Pfluge sind, folgende Angaben:

2

Vermutlich handelt es sich um die im pr. Gesetz betr. die anderweite Regelung der Grundsteuer vom 21.5.1861 eingeführte Einteilung des landwirtschaftlichen Bodens in 8 Klassen (Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1861, S. 253).

[815] 480 000 ha sind in die 8. Klasse, 1,1 Millionen ha in die 7. Klasse einzuordnen.

Es bestand Einverständnis darüber, daß diese Böden als steril gelten müssen, wenn sie weder Hafer, noch wie im Osten, landesübliche Gemenge oder Sommerkorn tragen, sondern nur noch Roggen und Lupinen.

Von den 1,1 Millionen ha rechnet Professor Warmbold 550 000 ha als sterilen Boden, so daß mit den Böden 8. Klasse 1,03 Millionen ha im erweiterten Osten sterile Böden festzustellen sind.

Reichsminister Treviranus erklärte hierzu, daß im neuen Osthilfeplan zur Herausnahme dieser sterilen Böden aus der Getreidewirtschaft 4 x 50 Millionen RM vorgesehen seien. Die Forstwirtschaft wünsche den Übergang von Aufforstungen in die Hand der Kreise, weil die Gemeinden ihre Wälder nicht mehr pfleglich behandelt hätten.

Präsident Brandes sprach sich auch für Kreiswälder, aber gegen grundsätzlichen Ausschluß der Gemeinden von der Aufforstung aus. Leistungsschwache Gemeinden allerdings könnten keine Waldaufsicht ausüben.

Der Reichskanzler wies darauf hin, daß kleinere Ortschaften nicht mehr lebensfähig seien, wenn ihren Bewohnern nicht Gelegenheit zu Nebenverdiensten in Kreis- oder Gemeindewaldungen geboten würde.

Zur Frage der Manipulierung des Getreides führte der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft aus, daß sie auch weiter nötig sein werde, aber beim Roggen voraussichtlich nicht mehr werde die gleiche Rolle spielen wie bisher. Er rechne nur mit einem Überschuß von 200 000 t mahlfähigen Roggens beim Übergang in das neue Wirtschaftsjahr. In diesem würden voraussichtlich weder Roggen noch Weizen besondere Schwierigkeiten machen.

Diese Ansicht teilte Graf Kalckreuth nicht. Er verwies auf einen Aufsatz des Getreidehändlers Scheuer im Berliner Tageblatt, der 4,3 Millionen t Roggenvorrat errechnete. Die Ernten seien größer als statistisch festgestellt würde. Es werde nötig sein, auch in den nächsten Jahren Vorratskäufe für spätere Termine aus öffentlichen Mitteln zu tätigen. Er rechnete damit, daß auch im nächsten Jahre Roggenüberschüsse vorhanden seien, zumal, wenn der letzten schlechten Ernte eine gute folgen würde. Deswegen müsse auch der Roggenverzehr bei der menschlichen Ernährung durch einen Beimischungszwang von Roggen zu Weizen in den Mühlen gesteigert werden. Mindestens müsse die Möglichkeit dazu geschaffen werden.

Auch eine Lombardierungsmöglichkeit müsse für den kommenden Herbst rechtzeitig vorbereitet werden, um den Druck auf den Markt aus Gründen der Geldbeschaffung abzuschwächen.

Präsident Brandes beurteilte die Lage ruhiger. Die Umstellungen von Roggen zu Weizen seien gerade auf den besten Böden erfolgt. Der Erntedurchschnitt werde dadurch wesentlich herabgedrückt. Die starken Voreindeckungen in Futtergetreide, die bis in die letzte Zeit hineingewirkt hätten, würden wegfallen.

Es müsse aber vermieden werden, daß im Herbst aus Steuern, Wechseln und sonstigen Gründen der Verkaufsandrang der Landwirtschaft zu schwerem Preisdruck führe.

[816] Der Reichskanzler verwies auf die Neuregelung der Reichssteuern für die Landwirtschaft, durch die sie stark entlastet werde3. Er hielt es auch wegen der Inanspruchnahme der Kreditgenossenschaften für nötig, eine Umgruppierung der Fälligkeitstermine vom Herbst auf andere Zeitabschnitte vorzunehmen.

3

Vgl. dazu das II. Kapitel des 3. Teils und das I. Kapitel des 4. Teils der NotVO vom 1.12.30, RGBl. I, S. 531 , S.582.

Professor Warmbold begründete seine Auffassung, daß die Ernte höher sei als statistisch erfaßt, am Beispiel der Zuckerrüben, wo der Unterschied 7% betragen habe4. Darauf beruhe zum guten Teil, daß die Regierungsmaßnahmen nicht die Auswirkung gehabt hätten, die erhofft worden sei. Er halte daher vorsichtige Beurteilung der Zukunft für geboten, zumal sich die finanzielle Lage der Landwirtschaft wegen der Preisschere in letzter Zeit rascher verschlechtert habe als vorher. Der Verkaufsdruck werde deswegen im Herbst auch stärker sein. Die Einfuhr von Getreide sei wesentlich zurückgegangen5. Die Schwierigkeiten kämen aus der Ernte im Innern. Auch er halte deswegen die Verwendung des Roggens zur menschlichen Ernährung für notwendig.

4

In seiner Denkschrift „Material zur deutschen Agrarfrage“ (s. Dok. Nr. 225 Anm. 1) hatte Warmbold nachgewiesen, daß seit 1926 die in Fabriken abgelieferte und gewogene Zuckerrübenernte stets höher lag als die statistisch festgestellte Zuckerrübenernte (R 43 I /2546 , Bl. 29–30).

5

Der Wert der Weizeneinfuhr war von 448 Mio RM im Jahre 1929 auf 231,6 Mio RM im Jahr 1930 gesunken, der Wert der Roggeneinfuhr im gleichen Zeitraum von 27,5 Mio RM auf 8,9 MioRM (Stat. Jb. für das Dt. Reich 51 (1932) S. 174).

Nötig sei auch die Einführung von Standards für Getreide. Roggen sei hierfür zunächst geeignet wegen der Vereinheitlichung durch die Zucht (Petkus)6. Würden an standardisiertem Roggen erster Qualität hohe Anforderungen gestellt, so würde ein wesentlicher Teil der Ernte als Futtergetreide zurückbehalten. Wären die Anforderungen bei der Gerste niedriger, so kämen größere Mengen an den Markt.

6

Der Landwirt Ferdinand v. Lochow (1849–1924) hatte auf seinem Gut Petkus (Mark) den sogenannten Petkuser Winterroggen gezüchtet, der ca. 90% des gesamten dt. Roggenbedarfs deckte.

Die Ordnung der Roggenwirtschaft in Kopenhagen könne in Deutschland zum Beispiel genommen werden. In freier Entwicklung habe dort der Roggenverbrauch wesentlich größeren Umfang angenommen als in deutschen Großstädten. Das Mischbrot beherrsche den Markt. Die Verteilung sei gut organisiert, so daß die Spanne zwischen Erzeuger- und Verbraucherpreis viel geringer sei als in Deutschland, obwohl die Löhne höher seien.

Die Spanne zwischen dem Weizen- und Roggenpreis sei jetzt in Deutschland so groß, daß sie zu einer vermehrten Vermahlung des Roggens Anreiz gebe. Je mehr sich diese Spanne verringere, desto geringer würde auch der Anreiz hierzu.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft bestritt, daß das Brotgesetz ohne wesentliche Wirkungen geblieben sei7. Er wies auf die Schwierigkeiten hin, die dem von der Grünen Front geforderten Beimischungszwang[817] von Roggen zu Weizen in den Mühlen entgegenständen8. Die Überwachung der Mühlen, die sich jetzt auf vierhundert Großbetriebe erstrecke, müsse auf tausend ausgedehnt werden. Den anderen etwa 7000 Mühlen müsse verboten werden, Weizen auszumahlen. Der Anreiz aber, daß dieses Verbot übertreten werde, sei sehr groß, da mit einem Preis des Weizenmehles nicht mehr von 40, sondern von 60 RM gerechnet werden müsse.

7

Vgl. das Brotgesetz vom 17.7.30, RGBl. I, S. 299  und die Neufassung des Brotgesetzes vom 10.12.30, RGBl. I, S. 625 .

8

S. Dok. Nr. 221, Anm. 8.

Der Reichskanzler stellte dann die Brennrechtsfrage9 zur Debatte. Er hielt es für geboten, vor der Besprechung der Zollwünsche hinsichtlich der Veredelungswirtschaft zu einer systematischen Ordnung der gesamten Landwirtschaft zu gelangen. Wegen des Schmalz- und Speckzolles könne eine Vorlage an den Handelspolitischen Ausschuß des Reichstags gemacht werden. Voraussichtlich werde sich dort dafür eine Mehrheit finden. Schwieriger sei die Frage des Butter- und Kaseinzolles, weil sie das gesamte handelspolitische Problem berühre10.

9

Vgl. Dok. Nr. 221, Anm. 9.

10

S. Dok. Nr. 221, Anm. 5.

Ministerialdirektor Ernst gab dann eine eingehende Darstellung der Entwicklung und gegenwärtigen Lage der Spirituswirtschaft. Das Spiritusmonopol habe lediglich mit Rücksicht auf die Landwirtschaft die Brennquote von 50 auf 70% erhöht11. Nach rein kaufmännischen Gesichtspunkten hätte sie auf 50% belassen werden müssen. Fast alle Gebiete der Spiritusverwertung zeigten rückläufige Bewegung. Am Schluß des Jahres werde mit einem Vorrate von 200 000 t zu rechnen sein. Würde die Brennquote auf 70% erhöht, so könnte sie voraussichtlich im nächsten Jahre nur mit etwa 25% festgesetzt werden. Deshalb wären auch die Vertreter der Brennrechtsbesitzer dem Vorschlage einstimmig beigetreten. Finanziell bedeute die Regelung für das Monopol eine sehr schwere Belastung. Der Reichskredit von 75 Millionen, über den es verfüge, werde bis März ausgeschöpft sein. Darüber hinaus würden insgesamt noch 25 Millionen erforderlich sein. Es sei noch ungewiß, woher sie genommen werden sollen. Auch die Reichskreditgesellschaft wisse nicht, ob sie ausreichende Mittel habe. Der Kapitalmarkt würde stark belastet.

11

Vgl. Dok. Nr. 148, Anm. 30.

Weitere Bedenken beständen wegen des Lagerraumes. Er würde kaum zu schaffen sein und sei sehr teuer. Der Vorschlag, Tankschiffe zu verwenden, könne schon deswegen nicht in Frage gezogen werden, weil diese Schiffe Anfang Mai zum Öltransport benötigt würden.

Zu dem Vorschlage, die Spiritusbezugspflicht von 3½ auf 10% zu erhöhen und den Beimischungszwang festzulegen, sei folgendes zu beachten. Im laufenden Betriebsjahre würde sich die Maßnahme wegen der Vorversorgung nicht auswirken. Sie würde die Monopolwirtschaft auf das schwerste gefährden. Die Reichsregierung habe sich seit zehn Jahren bemüht, Spiritus als Brennstoff zu verwerten. Im Kriege hätten sich daraus technische Schwierigkeiten ergeben. Nur mit Verlusten sei es gelungen, bei der Post und der Berliner Omnibus-Gesellschaft Abnahme zu finden. Nicht dagegen im Reiche. Auch die Landwirtschaft[818] hätte sich, von Ausnahmen abgesehen, zum Dauerbezuge nicht entschlossen. Würde der Vertrieb vom Reiche übernommen, so wäre das eine sehr gefährliche Spekulation, wie das starke Sinken der Treibstoffpreise in den letzten Monaten ergebe.

Deswegen sei eine Einigung mit den großen Gesellschaften dahin erfolgt, daß diese sich verpflichtet hätten, dem Reiche das Risiko abzunehmen. Sie verzinsen das Reichskapital und nehmen den Spiritus im Rahmen der Vereinbarungen, auch soweit andere Verpflichtete versagen.

Bei den Vertragsgegnern liegt nun die Propaganda für den Vertrieb. Die Wirkungen zeigten sich bereits. In zwei Jahren würde es möglich sein, über die bisherige Vereinbarung hinauszugehen.

Nach dem Vertrage wären die Gesellschaften verpflichtet, von allen Brennstoffen, die eingeführt oder im Lande hergestellt würden, steigend 2½ bis 4% Monopolspiritus zu übernehmen. Würde die Quote geändert, dann seien die Gesellschaften nicht mehr an den Vertrag gebunden, dann käme es zum Kampfe.

Es sei ein Mißverständnis, wenn darauf verwiesen würde, daß andere Länder Spiritus in höheren Mengen verbrauchten als Deutschland12. Die niedrigen Prozentsätze bezögen sich auf das Gesamtvolumen der Brennstoffe. In den Betriebsstoffen selbst seien wesentlich höhere Spiritusprozente enthalten, so im Monopolin 20%, in den Betriebsstoffen anderer Gesellschaften 10% und mehr. Die Verwendung dieser Treibstoffe sei für Flugzeuge und für gewisse Motorfahrzeuge unmöglich. Eine Steigerung der Beimischung würde zu technischen Hemmungen und zur Diskreditierung der ganzen Aktion führen.

12

Vgl. dazu Dok. Nr. 192, Anm. 4.

Beimischungszwang sei äußerst schwer durchzuführen, es würden erstaunlich kleine Mengen eingeführt13. Die Käufer hätten vielfach für die Mengen, die sie dann abnehmen müßten, keine Verwendung. Die Monopolverwaltung aber müßte sie überwachen, weil sie sonst als Trinkspiritus verwendet werden könnten, den die Monopolverwaltung mit 6 RM berechne. Der Bezugspflicht könne jetzt dadurch genügt werden, daß bei der Einfuhr für den Liter 65 Pfg. an die Monopolverwaltung gezahlt würden, die ihrerseits für die Verwendung des Spiritus zu Treibzwecken sorgt. Im laufenden Betriebsjahre würden 800 000 Hektoliter verwendet werden. Nur, wenn diese Entwicklung nicht gestört würde, werde das Monopol aufrechterhalten werden können. Die Verwendung von Trinkspiritus sei von 1,8 Millionen hl im Frieden auf 370 000 hl gesunken.

13

Die VO vom 4.7.30 (RGBl. I, S. 199 ) verpflichtete die Hersteller oder Importeure von Treibstoffen zum Bezug von Spiritus von der Reichsmonopolverwaltung. Vgl. auch Dok. Nr. 148, Anm. 40.

Die Vertreter der Landwirtschaft traten demgegenüber entschieden dafür ein, daß gleichwohl die Bezugspflicht in einen Beimischungszwang umgewandelt werde. Sie vertraten den Standpunkt, daß auf der Basis der Freiwilligkeit nur das Minimum untergebracht werden könne, während das Maximum lediglich durch Zwang zu erreichen sei.

Reichsminister Treviranus wies auf die Bedeutung der Steigerung des Kartoffelbrennens für die Osthilfe hin. Er regte an, die Übertragung des Brennrechts[819] aus Ostgrenzgebieten zu unterbinden und möglichst dafür zu sorgen, daß die Brennrechte wieder zurückübertragen würden.

Hierzu erklärte Präsident Brandes, daß in Ostpreußen versucht werde, in diesem Sinne zu wirken. Die Landwirtschaftskammer habe eine Liste der Rechte aufgestellt, die für die Übertragung in Frage kämen, und diese den Interessenten übermittelt, damit sie sich zu entsprechender Übernahme der Brennrechte innerhalb der Provinz entschlössen.

Ministerialdirektor Ernst führte hierzu aus, daß der Reichsrat die Übertragung verweigern könne, soweit sie mehr als 300 hl betreffe. Es werde stets geprüft, ob trotz der minderen Qualität des Bodens das Brennrecht für den Fortbestand des Betriebes entbehrlich sei und ob der übernehmende Betrieb des Brennrechts wegen Minderwertigkeit seines Bodens bedürfe. Der Reichsrat werde für Einschränkung Verständnis haben. Nach dem Monopolgesetz sei eine unterschiedliche Zuteilung von Brennrechten an verschiedene Gegenden unmöglich. Hierzu bedürfe es einer Änderung durch Gesetz oder Notverordnung.

Würden die notleidenden Kreise des Ostens bevorzugt, so wäre eine Unsumme von Berufungen, insbesondere auch aus Süddeutschland zu erwarten, die der Reichsrat schwer werde ablehnen können. Im Durchschnitt sei das Brennrecht im Süden etwa 370 hl, im Norden dagegen etwa 200.

10% der Brennrechtsquote bedeute 250 000 t Kartoffeln gleich 300 000 hl. Dem Reich kosten 10%, bei einem Übernahmepreis von 42 RM, 12 Millionen RM. Selbst wenn eine Million t mehr übernommen würde, sei das Kartoffelproblem damit nicht zu lösen, weil das etwa nur 2% der Gesamternte ausmachte.

Dem Vorschlage von Reichsminister Treviranus entsprechend, soll mit dem Reichsfinanzministerium vereinbart werden, daß die Interessenten zu einer freiwilligen wesentlichen Erhöhung der Bezugspflicht veranlaßt werden. Finden sie sich hierzu nicht bereit, so werde die Frage zu prüfen sein, wieweit im Wege der Gesetzgebung vorzugehen sein werde.

Veredlungswirtschaft.

Reichsminister a. D. Fehr trat für die Schaffung gleitender Zölle für Tiere und tierische Erzeugnisse ein. Es müsse versucht werden, in diesen Richtungen auch durch Verhandlungen mit den Vertragsgegnern die notwendigen Änderungen in den Handelsverträgen herbeizuführen. Bei der Schweiz halte er solche Verhandlungen hinsichtlich der Käsezölle für aussichtsreich14, weil jetzt bereits deutscher Emmentaler nach Amerika exportiert werde und dort der Käseunion Schwierigkeiten mache. Ähnlich stehe es mit Holland.

14

Zur Käsezollbindung s. Dok. Nr. 190, Anm. 15.

Auch der Reichskanzler hielt es für notwendig, die Veredlungswirtschaft zu schützen. Bestimmte Zölle festzulegen, gehe aber nicht an; nur eine Ermächtigung käme in Frage. Vorsicht sei deshalb geboten, weil ein Vorgehen auf diesem Gebiete den Kreditverkehr stark gefährden könne. Zunächst sei es erforderlich, Klarheit über alle anderen Fragen zur Sanierung der Landwirtschaft herbeizuführen.

[820] Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft berichtete über Verhandlungen, die wegen der Kaseinverwertung und des Kaseinzolles mit den interessierten Industrien geführt worden seien15. Die Ermächtigung zur Festsetzung eines Kaseinzolles sei nötig, um damit vorzugehen, wenn es zu keinen Vereinbarungen käme.

15

Zum Widerstand der chemischen Industrie gegen die Einführung eines Kaseinzolls s. Dok. Nr. 193, Anm. 9.

Hinsichtlich des Schweinezolles führte Vortragender Legationsrat Eisenlohr folgendes aus: Die Schweineeinfuhr habe im letzten Jahre mäßig zugenommen, hauptsächlich aber in den ersten Monaten, als der Preis etwa 80 und der Zoll 18 RM betragen habe. Jetzt sei das Verhältnis 70 zu 27. Die Ausfuhr sei doppelt so stark gewesen wie die Einfuhr.

Hauptimporteur von Schweinen sei Litauen. Dem Lande seien veterinärpolitische Zugeständnisse gemacht worden, die jederzeit widerrufen werden könnten16. Ihr Ziel sei gewesen, den Anschluß Litauens an Polen zu verhindern, weil Ostpreußen sonst auf allen Seiten von polnischen Einflüssen umklammert wäre.

16

Während der Verhandlungen über den dt.-litauischen Handelsvertrag vom 30.10.28 (RGBl. 1929 II, S. 103 ) hatte das AA mit der litauischen Reg. vereinbart, daß sieben pr. Veterinärbeamte nach Litauen entsandt würden, um die viehseuchen-polizeilichen Voraussetzungen für die Einfuhr von Vieh aus Litauen nach Dtld zu sichern (R 43 I /1102 , Bl. 32).

Litauen habe die Einfuhr gesteigert, doch seien ihr schon dadurch gewisse Grenzen gesetzt, daß der Berliner Markt, der hauptsächlich in Frage komme, nur beschränkt aufnahmefähig sei. Auch die Zollerhöhung habe drosselnd gewirkt. Bei einem Zoll von 60 RM17 höre die Einfuhr aus Litauen auf und damit auch der Einfluß Deutschlands. Beim Sinken der deutschen Schweinepreise würde die Zollbelastung verhältnismäßig so hoch sein, daß sie die Einfuhr noch weiter stark einschränken würde.

17

Vgl. Dok. Nr. 221, Anm. 5.

Übrigens sei nur durch das Schweinezugeständnis eine einigermaßen erträgliche Regelung der Memellandfrage erreicht worden.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft hielt den geltenden Zoll nicht für ausreichend. Ebenso wie Präsident Brandes schätzte er die Gestehungskosten der litauischen Schweine auf 24 RM, nämlich 6 Zentner Futtergetreide, das frei Hof 4 RM kostet. Die Frachten sind in der Rechnung bereits einbegriffen. Selbst bei einem Zoll von 60 RM für den Doppelzentner, also 30 RM für den Zentner, sei die Einfuhr auf den Berliner Markt noch möglich. Litauen sei gezwungen, Schweine nach Deutschland zu verkaufen, andere Märkte kämen kaum in Frage. Nötigenfalls würde der Zentner Futtergetreide schließlich auf 3,50 RM herabgehen.

Auch er trat für die labilen Zölle für Tiere und Tierprodukte ein.

Professor Warmbold wies darauf hin, daß die Veredlungsprämie wegen der niedrigen Futtermittelpreise im Jahre 1930 sehr groß gewesen sei. Die Zuchtvermehrung, die sich daraus ergebe, werde sich nun auswirken.

Schließlich frage es sich, wie lange eine Produktion, die verlustbringend sei, aufrechterhalten werden könne. Der größte Teil des Weizens, der auf dem[821] Weltmarkt erscheine, sei privatwirtschaftlich mit Verlust erzeugt, im Auslande ähnlich wie im Osten. Entsprechend müsse der Spielraum ausgenutzt werden, der für die privatwirtschaftliche Verschuldung bleibe, oder es sei der Einsatz staatlicher Mittel erforderlich wie in Australien und teilweise auch Kanada.

Die Bereinigung von der Überproduktion hänge von der Finanzstärke und dem Glauben an den Umschwung ab. Wo Stillegung erfolgte, treten 100%ige Verluste ein. Für Deutschland frage es sich, wieweit es die eigene Produktion erhalten kann. Diese Erwägung machte es erforderlich, das System der labilen Zölle auch auf tierische Erzeugnisse zu übertragen; in welcher Weise, ließe sich im einzelnen noch nicht festlegen.

Auf eine Anfrage erklärte Vortragender Legationsrat Eisenlohr: Polen werde das deutsch-polnische Wirtschaftsabkommen bestimmt ratifizieren18. Die Vorlage sei damit begründet, daß die Normalisierung der Beziehungen zum Westnachbar für Polen eine politische Notwendigkeit sei. Das Vertrauen der Welt in die polnische Wirtschaft würde dadurch gesteigert, Vorteile auf dem Kreditgebiet würden erwartet. Aus diesen Erwägungen habe sich Polen auch die Zollerhöhungen gefallen lassen. Sie seien so bedeutsam, daß sie in ihrer Wirkung die gegenwärtigen Kampfmaßnahmen gegen Polen ersetzen oder übersteigen würden.

18

Der poln. Sejm stimmte dem dt.-poln. Handelsvertrag am 12.3.31 nach der 3. Lesung zu (Schultheß 1931, S. 431).

In Deutschland sei die parlamentarische Lage wegen der Schweine- und Kohlebestimmungen für die Ratifikation ungünstig. Es werde wohl der Wiederaufstieg der Konjunktur abgewartet werden müssen, bis eine Entscheidung des Reichstags herbeizuführen sei. Gegenwärtig würde er den Vertrag wohl ablehnen. Der Vertrag hindere rechtlich nicht eine weitere Erhöhung der Schweinezölle; die Ratifikation sei aber eine moralische Bindung an die gegenwärtige Höhe. Es sei wohl möglich, daß Gleitzölle von Polen eher in Kauf genommen würden als ein fester Zoll.

Der Reichskanzler führte abschließend aus, daß er bereit sei, im Kabinett für Zollermächtigungen hinsichtlich gewisser Erzeugnisse des Veredlungsverkehrs einzutreten, notwendig sei aber zunächst die Einigung über den gesamten agrarpolitischen Plan. Auch mit der Industrie müsse darüber ein Einverständnis herbeigeführt werden, sonst sei es nicht möglich, die wirtschaftlichen Fragen einigermaßen in Ordnung zu halten.

Die Verhandlungen über das Genossenschaftsdarlehenskassenwesen, zu denen Minister Hermes einen Gesamtplan in Aussicht stellte, müssen unter Beteiligung der Preußenkasse behandelt werden. Die Schwierigkeiten in der Zinsfrage wüchsen. Könne der 7%ige Pfandbrief nicht aufrechterhalten werden, so würden für die Landwirtschaft Verluste entstehen, die weit über die Vorteile hinausgehen, die durch neue Zollregelungen geschaffen werden können.

Die Verhandlungen sollen möglichst am 30. Januar 1931 vormittags von 9–11 Uhr zu Ende geführt werden19.

19

S. Dok. Nr. 231.

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