Text
[1544] Nr. 439
Der Bayerische Gesandte an den Reichskanzler. 8. August 1931
Betreff: Die Schwierigkeiten auf dem Gebiete der Wirtschaft und der Finanzen
Die wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten Deutschlands haben es notwendig gemacht, zur Überwindung der Krise alle hierfür geeigneten Mittel in der Hand der Reichsregierung zusammenzufassen. Die gegenwärtige Lage birgt aber Ansätze zu einer Entwicklung in sich, die darüber hinaus auf eine finanzielle und wirtschaftliche Zusammenfassung größeren Ausmaßes und auf die Verwirklichung staatssozialistischer Ideen gerichtet ist. Neben der gebotenen Arbeit an dem Ziel der Selbsthilfe schicken sich einflußreiche wirtschaftliche und politische Kräfte an, die sachlichen Notwendigkeiten zum Vorspann für die Durchsetzung solcher wesensfremder Ziele zu nehmen. Den Weg weiterer finanzieller und wirtschaftlicher Zusammenfassung über das Maß des zur Wiedergesundung Notwendigen hinaus zu beschreiten, muß schon deshalb bedenklich erscheinen, als gerade der Prozeß der wirtschaftlichen und finanziellen Zusammenballung einen maßgebenden Teil der Schuld an der gegenwärtigen Krise trägt. Die Bayerische Regierung hat schon von jeher auf diese Gefahren hingewiesen, s. u. a. mein Schreiben an den Herrn Reichskanzler vom 26. Februar 1925 Nr. 5481 und die darin erwähnte Denkschrift der Bayerischen Regierung, die dem damaligen Reichskanzler Dr. Luther bei seiner Anwesenheit in München persönlich überreicht wurde, unter D I über die Gefahren der Zentralisation auf wirtschaftlichem und finanziellem Gebiete2, dann das Schreiben des Bayer. Staatsministeriums des Äußern an den Herrn Reichskanzler vom 15.4.28 Nr. 82863 . Wenn in dem letztgenannten Schreiben die Gefahr unnötiger Zentralisierung dahin umschrieben wurde, daß im Falle von Erschütterungen die Stoßkraft mit voller Wucht die Zentrale und damit das Ganze trifft4, so hat die Entwicklung der letzten Wochen die Berechtigung dieser Sorge erwiesen, da der Zusammenbruch großer Teile des stark zentralisierten Bankwesens über die Wirkungen eines räumlich beschränkten Zusammenbruchs hinaus unmittelbar das Ganze schwer erschüttert hat. Der Prozeß der Zusammenballung in der Wirtschaft und im Bankwesen, der immer größere Maße angenommen hat, hat das Reich und das deutsche Volk näher an die schon in der genannten Denkschrift aufgezeigten letzten Konsequenzen herangeführt.
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S. diese Edition, Die Kabinette Luther I/II, Dok. Nr. 20, Anm. 8.
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S. diese Edition, Die Kabinette Luther I/II, Dok. Nr. 20.
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Dieses Schreiben befindet sich in R 43 I/657, Bl. 70–73. Vgl. auch diese Edition, Das Kabinett Müller II, Dok. Nr. 11, Anm. 33. In dem Schreiben hatte sich MinPräs. Held vor allem gegen die Bemühungen der Rbk gewandt, die Kreditgewährung in ihrer Hand zu zentralisieren.
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Die weitgehende Ausfallbürgschaft des Reiches für die Erfüllung der Verbindlichkeiten der Darmstädter und Nationalbank5 hat die Anhänger einer[1545] staatssozialistischen Wirtschaftsführung ermutigt, mit Forderungen nach einer allgemeinen Staatskontrolle über die Banken, nach einer Kontrolle der wirtschaftlichen Unternehmungen und nach einer „volkswirtschaftlichen Kapitalsenkung“ auf den Plan zu treten. (Vergl. z. B. „Vorwärts“ vom 26.7.31 Nr. 345, 2. Beilage)6. In dieser Richtung liegt neuerdings die überraschende Beteiligung des Reiches an der Dresdner Bank mit dem ungeheueren Betrag von 300 Millionen RM7, die dem Außenstehenden umso unverständlicher ist, als anderseits jeder Zweifel an der Liquidität dieser Bank als unberechtigt erklärt wird. Mit diesem Schritte, der nicht der letzte sein wird, ist die Verstaatlichung des gesamten Bankwesens eingeleitet und in greifbare Nähe gerückt. Dieser Entwicklung kann aber die Bayerische Staatsregierung aus staats- und wirtschaftspolitischen Gründen nicht untätig zusehen. Gewiß darf der Staat der Wirtschaft nicht freien und ungezügelten Lauf lassen. Der Staat darf sich aber auch nicht in das andere Extrem drängen lassen, das über die Vertrustung zur Verreichlichung (Politisierung!) und schließlich zur Bolschewisierung und damit zur Vernichtung der Selbständigkeit aller wichtigen wirtschaftlichen Unternehmungen führen muß. Nach dieser Richtung könnte vor allem die Verordnung des Reichspräsidenten vom 27.7.31 (RGBl. I S. 404) über die Beteiligung des Reichs an wirtschaftlichen Unternehmungen und Sicherheitsleistungen des Reichs – sicherlich entgegen den ursprünglichen Absichten der Reichsregierung – weitere Entwicklungsgefahren eröffnen. Im Gebrauche dieser Vollmachten sollte sich das Reich wenn irgend möglich auf die neugeschaffene Akzept- und Garantiebank beschränken, deren Bestand ohne dies nur für eine Übergangszeit in Betracht kommen kann. An Versuchen, die Reichsregierung auf diesem Wege weiter zu drängen, wird es in der nächsten Zeit nicht fehlen. Von den innerpolitischen Bedenken abgesehen, darf die notwendige Wirkung solcher staatssozialistischen Experimente auf die gesamte Gestaltung des Reiches und der deutschen Wirtschaft nicht außer acht gelassen werden. Die einseitige Festlegung der geschwächten finanziellen Mittel des Reiches führt auch dazu, daß das Reich in zunehmendem Maße seine Verpflichtungen gegen die Länder nicht mehr erfüllen kann und daß die Länder nicht mehr bestehen können.
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S. Dok. Nr. 413, Anm. 3.
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Fritz Naphtali hatte in seinem Artikel „Bankenaufsicht – Kapitalkontrolle“ (Vorwärts Nr. 345 vom 26.7.31, 2. Beilage) die Errichtung eines Bankenaufsichtsamtes durch das Reich damit begründet, daß das Reich die Risikohaftung für die Banken übernommen habe; außerdem hatte er die Einführung der staatlichen Kapitallenkung vorgeschlagen, „um an einer wichtigen Stelle von der kapitalistischen Wirtschaftsanarchie zur planmäßigen Wirtschaftsführung vorzustoßen“. Vgl. auch Dok. Nr. 430.
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S. Dok. Nr. 415.
Namens meiner Regierung darf ich Sie, hochverehrter Herr Reichskanzler, bitten, diese Gesichtspunkte bei den von Ihnen in Ihrer Rundfunkrede8 in Aussicht gestellten Maßnahmen auf dem Gebiete des Kredit- und Kapitalverkehrs zur Geltung zu bringen und möglichste Zurückhaltung gegenüber allen Vorschlägen zu üben, die nur einer unnötigen weiteren Zusammenballung auf dem Gebiete der Wirtschaft und der Finanzen und dem Staatssozialismus die Wege ebnen. Den Interessen des Reichs wird nach Auffassung meiner Regierung[1546] nach der Überwindung der akuten Krise am besten durch eine zielbewußte regionale Wirtschaftspflege sowie durch solche Maßnahmen gedient sein, die auf die Wiedererstarkung der Selbstverantwortung im wirtschaftlichen und öffentlichen Leben abzielen9.
Dr. v. Preger