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5) Beamtenfragen im alt- und neubesetzten Gebiet.
Der Herr Reichsverkehrsminister machte davon Mitteilung, daß das Verbot der Beförderung von Kohlen und Koks an Frankreich und Belgien auch Rückwirkungen auf das altbesetzte Rheinland haben werde12. Wenn das Verbot auch im altbesetzten Teile veröffentlicht werde, würde voraussichtlich gegen die Präsidenten vorgegangen werden. Man müsse zunächst einmal abwarten, was die Franzosen auf das Verbot des Präsidenten in Essen täten.
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Am 19. 1. erläßt der RVM Anordnungen an das Personal der Reichsbahn und der Reichswasserstraßenverwaltung, die eine Beförderung von Kohlen für Frankreich und Belgien verbieten, ebenso eine Umkartierung von Sendungen und Transporten (R 43 I/205, Bl. 79; abgedruckt in RT-Drucks. Nr. 5555, Bd. 376, S. 26). Am 21. 1. folgt ein Aufruf der Eisenbahnergewerkschaft, der die Anordnungen des RVM noch einmal wiederholt und darüber hinaus fordert: „1) Jegliche Eingriffe in Verwaltung und Betrieb unserer Eisenbahn sind sofort einzustellen. 2) Jegliches unseren verwaltungsseitigen Bestimmungen entgegenhandelnde Betreten unserer Dienststellen durch Unbefugte ist zu unterlassen. 3) Beaufsichtigung durch bewaffnete Militärpersonen hat zu unterbleiben. 4) Die Aufenthaltsräume dürfen nicht durch Militärpersonen belegt werden. Wenn alles dies nicht unterbleibt, ist eine ordnungsmäßige Ausführungen unseres Dienstes nicht möglich. 5) Daß der Grundsatz beachtet wird: Die deutsche Eisenbahn den deutschen Eisenbahnern.“ Weiterhin heißt es im Aufruf: „Die Verordnungen des RVM sind klar und deutlich. Unsere Kollegen müssen diese befolgen. Wenn ihnen dieses nicht möglich ist, dann haben sie eben den Dienst einzustellen und ihren Posten zu verlassen, bis die oben angeführten Forderungen erfüllt sind.“ (R 43 I/205, Bl. 79-81).
Der Herr Preußische Minister des Innern war damit einverstanden, daß die passive Resistenz der Zechenbesitzer und Arbeiter nach allen Kräften unterstützt würde. Wenn die Beamten ganz allgemein die Befolgung französischer Anweisungen verweigerten, so würden sie voraussichtlich abberufen werden. Er glaube, daß man daher generell passive Resistenz und Unterstützung der Zechenbesitzer und Arbeiter den Beamten empfehlen solle. Sonst aber müßten sie sich der jeweiligen Situation anpassen.
Der Herr Reichskanzler war der Auffassung, daß jede Kohlenlieferung an Frankreich und Belgien vermieden und alles getan bzw. nicht getan werden dürfe, das dazu dienen könne. Dies müsse auch von allen Beamtenkategorien verlangt werden.
Der Herr Reichsminister des Innern war der Auffassung, daß man für Sach- und Personenschäden der Reichsbeamten eintreten müsse. Dies werde man auch wohl auf die Länder- und Kommunalbeamten ausdehnen müssen. Die Grenze, wie weit die Beamten im Widerstande gehen sollten, würde seiner Auffassung nach da liegen, wo das physische Vermögen aufhört. Soweit möglich, sollten die Beamten dort bleiben. Für Ausgewiesene müsse man eintreten.
[177] Der Herr Preußische Finanzminister war gleichfalls der Auffassung, daß die passive Resistenz soweit wie irgend möglich geübt werden solle. Die Beamten sollten solange wie irgend möglich in ihren Stellungen bleiben.
Der Herr Reichsminister der Finanzen war der Auffassung, daß eine Unterscheidung der Behandlung der Frage im alt- und neubesetzten Gebiet nicht mehr möglich sei. Auch für das altbesetzte Gebiet müsse eine entsprechende Anweisung ergehen. Er habe den Beamten der Finanzverwaltung eine entsprechende Anweisung erteilt13. Er schlage vor, eine Erklärung der Reichsregierung und der Landesregierungen wegen des völkerrechtswidrigen Eingreifens zu erlassen.
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Erlaß des RFM vom 17. 1., der durch Erlaß vom 20. 1. noch näher ausgeführt und ergänzt wird (R 43 I/205, Bl. 176-178).
Der Herr Preußische Landwirtschaftsminister schloß sich den Ausführungen der beiden Herren Vorredner an.
Der Herr Reichsschatzminister erklärte sich gleichfalls sachlich einverstanden mit dem beschlossenen Widerstand. Im altbesetzten Gebiet würde er sich auf die Maßnahmen zu beschränken haben, die widerrechtlich seien.
Reichsverkehrsminister Es käme darauf an, daß die Regierung jetzt einen klaren Befehl gibt, nach dem die Beamten den rechtswidrigen Befehlen der Besatzungsbehörde nicht folgen dürfen14. Die Regierung müsse zu den Befehlen Degouttes klare Stellung nehmen.
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Unter dem 19. 1. ergeht daraufhin folgende Anweisung: „Die Aktion der französischen und belgischen Regierung im Ruhrgebiet stellt eine schwere Verletzung des Völkerrechts und des Vertrages von Versailles dar. Infolgedessen sind Befehle und Anordnungen, die im Verfolg dieser Aktion an deutsche Beamte ergehen, rechtsunwirksam. Es ergeht daher seitens der Regierungen des Reiches, Preußens, Bayerns, Hessens und Oldenburgs die Anweisung, Anordnungen der besetzenden Mächte keinerlei Folge zu geben, sondern sich ausschließlich an die Anweisungen ihrer eigenen Regierung zu halten. Dies gilt auch für die Beamten des altbesetzten Gebiets allen Maßnahmen gegenüber, die im Widerspruch zu den Bestimmungen des Rheinlandabkommens stehen.“ (R 43 I/205, Bl. 55).
Reichskanzler Die einzuhaltende Linie sei die, daß im neubesetzten Gebiet Resistenz auf der ganzen Linie herrschen müsse, im altbesetzten nur soweit die von den fremden Behörden getroffenen Anordnungen rechtswidrig seien. Der Kanzler verliest den Entwurf eines Erlasses, nach dem die letzten erlassenen drei Ordonnanzen der Rheinlandkommission rechtsungültig seien15.
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Der Erlaß bezieht sich auf die Ordonnanzen Nr. 132, 133 und 134 vom 18. 1., betreffend die Beschlagnahme der Kohlensteuer, bestimmter Zölle und der Erträge aus den Forsten (R 43 I/186, Bl. 118-128; abgedruckt in RT-Drucks. Nr. 5555, Bd. 376, S. 28 ff.). Im Erlaß heißt es u. a. dazu: „Derartige, die Lebensinteressen des Reichs, Preußens, Bayerns, Hessens und Oldenburgs verletzende Anordnungen können die im besetzten Gebiet tätigen Reichs- und Staatsdiener sowie die deutschen Staatsbürger in keiner Weise verpflichten, deren vornehmste Pflicht der Gehorsam gegen die deutschen Gesetze bleibt. Die Regierungen des Reichs, Preußens, Bayerns, Hessens und Oldenburgs bezeichnen die Verordnungen als rechtungültig und deshalb unverbindlich. Sie erwarten von allen Beamten im besetzten Gebiet unbedingte Treue zu Reich und Staat, unbeugsamen Widerstand gegen rechtswidrige Anordnungen und versichern sie ihres nachdrücklichsten Schutzes bei Anwendung widerrechtlicher Gewalt.“ (R 43 I/205, Bl. 54). Außerdem protestiert die RReg. in einer Note vom 22.1.23 gegen die Ordonnanzen Nr. 131 – 134 der Irko (RT-Drucks. Nr. 5555, Bd. 376, S. 34 f.). RKom. Hatzfeldt berichtet am 20. 1. StS Brugger über ein Gespräch mit Tirard, in dem dieser ihm erklärt habe, „daß, da in zunehmender Zahl Fälle des Ungehorsams gegen die betreffenden Ordonnanzen auf Seite der Beamtenschaft ihm berichtet würden, er Anweisung gegeben habe, daß gegen die Betreffenden mit Absetzung und sofortiger Ausweisung vorgegangen werde. Er müsse mir mit aller Bestimmtheit erklären, daß er entschlossen sei, diesen Weg weiter zu begehen, und wenn auch Massenexekutionen dabei notwendig werden sollten.“ (R 43 I/186, Bl. 173). Gegen die Verhaftungen und Ausweisungen dt. Beamter durch die Irko protestiert die RReg. in zahlreichen Noten, beginnend mit der Note vom 23. 1. (abgedruckt in RT-Drucks. Nr. 5555, Bd. 376, S. 49).
[178] Dem Erlaß wird zugestimmt mit der Maßgabe, daß auch Bayern, Hessen und Oldenburg den Erlaß unterschreiben sollen16.
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Der Erlaß wird ebenso wie der in Anm. 15 zitierte Erlaß mit den Unterschriften von Cuno, Braun, v. Knilling, Ulrich und Tantzen veröffentlicht. Die Zustimmung der MinPräs. wurde telefonisch eingeholt, zuletzt die von Tantzen, dessen Name daher in einigen Presseveröffentlichungen fehlt.
Reichskohlenkommissar macht Mitteilungen über die Kohlenlage.