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Die Kabinette Stresemann I und II. Band 1Gustav Stresemann und Werner Freiherr von Rheinhaben Bild 102-00171Bild 146-1972-062-11Reichsexekution gegen Sachsen. Bild 102-00189Odeonsplatz in München am 9.11.1923 Bild 119-1426

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Text

RTF

[Anlage:]

Weitere Behandlung der Erwerbslosenunterstützung im besetzten und Einbruchsgebiet.

I. Erwerbslosenunterstützung.

Vom 8. Oktober ab erfolgt die Erwerbslosenunterstützung im besetzten Gebiet ausschließlich nach den für das unbesetzte Gebiet geltenden System (Verordnung vom 1. November 1921), insbesondere hinsichtlich der Gliederung nach Ortsklasse, Geschlecht, Alter, Familienstand und hinsichtlich der Voraussetzungen, unter denen die Unterstützung gewährt wird. (Prüfung der Bedürftigkeit).

Die Erwerbslosenunterstützung wird festgestellt für die Zeit

vom 8.–17. Oktober auf das Doppelte,

vom 17.–31. Oktober auf das Eineinhalbfache der Hauptunterstützungssätze des unbesetzten Gebietes.

[465] Familienzuschläge werden von vornherein in der einfachen Höhe des unbesetzten Gebietes gewährt7.

7

Der PrWohlfM gab in einem Schreiben vom 9.10.23 an die RegPräs. im besetzten Gebiet die Unterstützungssätze für die Zeit vom 8.–17.10.23 in der Ortsklasse A an:

unzulässig, weil das gesetzliche Höchstmaß überschritten wird. Die Vorschrift besagt nämlich, daß die Familienzuschüsse nicht den dem Familienvater zustehenden Satz (120 Millionen Mark) überschreiten dürfen. Es dürften also dieser Familie insgesamt nur 240 Millionen Mark gezahlt werden“ (R 43 I /222b , Bl. 163).

Für die Zeit vom 1. bis 8. Oktober setzen die Kommissare des Reichsarbeitsministeriums bei den Wirtschaftlichen Außenstellen Unterstützungshöchstsätze für die von den Gemeinden und Betrieben zu zahlende Unterstützung fest.

Für die Zeit vom 1. November ab ist der völlige Übergang zu den Sätzen des unbesetzten Gebietes in Aussicht genommen.

Vorstehende Festsetzung gilt sowohl für die durch die Gemeinden als auch durch die Betriebe zu zahlende Erwerbslosenunterstützung. Beschleunigte Überführung der bisherigen Versorgung durch die Betriebe auf die Gemeinden ist anzustreben. Letzter Termin für das erstere Verfahren ist der 17. Oktober.

Vorstehende Grundsätze gelten für alle Personen, denen nach den Vorschriften des unbesetzten Gebietes Erwerbslosenunterstützung gewährt wird, insbesondere auch für selbständige Gewerbetreibende, wenn sie erwerbslos im Sinne der Verordnung vom 1. November 1921 und bedürftig sind; die besondere Fürsorge für die selbständig Gewerbetreibenden endet mit dem 6. Oktober; vom gleichen Tage ab fallen Teilunterstützungen fort.

II.

Die Kurzarbeiterunterstützung regelt sich vom 8. Oktober an nach § 9 Abs. 2 der Verordnung vom 1. November 1921 in Verbindung mit dem Gesetz vom 20. Februar 1923 (Reichsgesetzbl. S. 155). Danach beträgt die Kurzarbeiterunterstützung die Differenz zwischen ½ verbleibenden Arbeitsverdienst und 1½ Erwerbslosenunterstützung, aber nicht mehr als die volle Erwerbslosenunterstützung; hierbei sind die obigen Sätze der Erwerbslosenunterstützung in den verschiedenen Perioden zu Grunde zu legen8.

8

Nach dem Schreiben des PrWohlfM vom 9.10.23 (s. Anm. 7) betrug der Unterstützungssatz bei Kurzarbeit für einen männlichen Arbeitnehmer über 21 Jahren bei vierstündiger Arbeitszeit und einem Stundenlohn von 36 Mill. M nach dieser Berechnung 108 Mill. M, bei einer Arbeitszeit von sechs Stunden 72 Mill. M. Für ein Ehepaar mit zwei Kindern wurde bei einer vierstündigen Arbeitszeit eine Unterstützung von 185 Mill. M errechnet. „Da aber der Lohn bei voller Arbeitszeit (288 Millionen Mark) nicht überschritten werden darf, sind die übersteigenden 51 Millionen Mark der Kurzarbeiterunterstützung zu streichen.“ Im Fall einer sechsstündigen Arbeitszeit waren von dem rechnerischen Betrag von 159 Mill. M 87 Mill. M zu streichen.

[466]III. Öffentliche Notstandsarbeiten.

Neue Notstandsarbeiten dürfen zunächst nicht anerkannt werden.

Anerkannte Notstandsarbeiten können bis 1. November weitergeführt werden. Bei bereits anerkannten, aber noch nicht begonnenen Arbeiten wird die Anerkennung hiermit zurückgezogen. Entsprechendes gilt bei solchen Arbeiten, die sich in selbständige Teilarbeiten zerlegen lassen, für die noch nicht begonnen[en] Teilarbeiten.

Nicht anerkannte Notstandsarbeiten müssen am 6. Oktober eingestellt werden.

Notstandsarbeiten dürfen ganz ausnahmsweise fortgeführt oder neu begonnen werden, wenn zwingende politische oder wirtschaftliche Gründe vorliegen. Entscheidung darüber trifft die zuständige Landesbehörde im Einverständnis mit dem Kommissar des R.A.M. [Reichsarbeitsministers] bei der zuständigen wirtschaftlichen Außenstelle; beide sind zu äußerster Zurückhaltung angewiesen. Vom 1. November ab gelten für die Finanzierung von Notstandsarbeiten die Bestimmungen des unbesetzten Gebietes9.

9

Hierzu bemerkte der PrWohlfM am 4.10.23 (s. o. Anm. 4): „Nur ganz ausnahmsweise (und zwar nur nach eingeholter Zustimmung!) dürfen Notstandsarbeiten fortgeführt oder bis 1. November d. Js. neu begonnen werden, wenn in größeren Städten mit sehr zahlreichen Vollerwerbslosen – wesentlich mehr als 15% der Bevölkerung – zwingende politische oder wirtschaftliche Gründe vorliegen. Nichtvollendung stillgelegter Bauten ist kein Grund zu ihrer Fortführung.“ Für Regiebauten seien die Sätze der Erwerbslosenunterstützung + 25% zu zahlen. „Desgleichen hat bei Unternehmerarbeiten Festsetzung des ortsüblichen angemessenen Lohnes, der den Anreiz zur Aufnahme anderer Arbeit bildet, bei gleichzeitiger Schichtverkürzung durch den Demobilmachungskommissar zu erfolgen. Letztere ist so zu bemessen, daß fühlbare Lohnunterschiede gegenüber Regiebauten vermieden werden.“ Eine großzügige produktive Erwerbslosenfürsorge sei auf Grund der Finanzlage unmöglich. Eine methodische Erfassung der Arbeitsgelegenheiten solle sich auf „werbende und rentable Arbeiten erstrecken“, für die vor allem private Kreditgeber heranzuziehen seien.

IV. Löhne.

I.

Zuschüsse oder Papiermarkkredite oder Kredite mit Erlaßvorbehalt dürfen spätestens vom 8. Oktober ab unter keinen Umständen mehr bewilligt werden. Laufende Vereinbarungen, die von den Wirtschaftlichen Außenstellen oder den von ihnen dazu ermächtigten Stellen abgeschlossen worden sind, dürfen vom 8. Oktober ab nur noch insoweit erfüllt werden, als sie auf wertbeständige Kredite lauten und nicht über den 31. Oktober hinaus.

II.

Die erforderlichen Mittel zur Ingangsetzung der Produktion sollen die Betriebe grundsätzlich auf dem Wege des Privatkredits, aushilfsweise durch die Hilfskasse für gewerbliche Unternehmungen in Anspruch nehmen. Zur Vermeidung von Übergangsschwierigkeiten sind die Wirtschaftlichen Außenstellen bis zum 20. Oktober ermächtigt, den Betrieben aus Mitteln der Erwerbslosenfürsorge für ihre Lohnaufwendungen wertbeständige Kredite zu den Bedingungen der Hilfskasse zu gewähren10; die [467] Höhe ist auf die vom Zeitpunkt der Ingangsetzung des einzelnen Betriebs bis zum 31. Oktober voraussichtlich eingesparte Erwerbslosenunterstützung begrenzt.

10

Vgl. dazu o. Anm. 3. – Für die Zeit vom 4.–20.10.23 standen 10 Mill. GM als Kreditsumme zur Verfügung; davon entfielen auf die Hilfskasse 30%, auf die Wirtschaftliche Außenstelle in Köln 40%, in Hamm 20% und in Heidelberg 10% (R 43 I /215 , Bl. 268).

Die besondere Fürsorge für die Kleinbahnen wird mit dem 6. Oktober eingestellt.

Über Bergbau, Schwerindustrie11 und Rheinschiffahrt12 ergeht besondere Mitteilung.

11

Verhandlungen mit Vertretern des Bergbaus und der Eisen- und Stahlindustrie waren nach einem Schreiben des RFM an den StSRkei vom 21.10.23 geführt worden mit dem Ergebnis, daß dem Bergbau nach dem 4.10.23 „keinerlei Ersatzleistungen für unproduktive Ausgaben“ (Löhne und Materialzuschläge) zustehen sollten „und daß unter Berücksichtigung einerseits der zunehmenden Produktivität der Arbeit, andererseits des Fortfalls der unproduktiven Ersatzleistungen für die Woche vom 8.–13. Oktober 1923 der Kohlenfinanzkredit in Höhe von ⅔ der gesamten Lohnsumme, die für die Woche vom 6.–13. Oktober festgestellt worden ist und für die Woche vom 15.–20. Oktober 1923 in Höhe von ⅓ der gesamten Lohnsumme der Vorwoche erweitert wird, nach diesem Zeitpunkt aber eine weitere Kreditgewährung nicht mehr stattfindet“. Der Schwerindustrie war ein Kredit von 140 Billionen Mark unter günstigeren Zinsbedingungen als dem Bergbau gewährt worden (1–2% bei 1–3 monatiger Inanspruchnahme), da sie neben dem Lohnersatz bisher keinen Ersatz für Notstandsarbeiten erhalten hatte und sie außerdem nach dem Ausblasen der Hochöfen erst wieder arbeiten konnte, wenn die Kokereien die Arbeit aufgenommen hatten. Der RFM beabsichtigte, in Verhandlungen mit der Schwerindustrie zu erreichen, „daß in der Woche vom 8.–13. Oktober 1923 die bisher im Wege verlorener Zuschüsse gewährte Ersatzzahlung zwar noch in voller Höhe, jedoch nur im Kreditwege auf wertbeständiger Grundlage mit 10% Jahreszinsen und einer Rückzahlungsfrist von längstens 3 Monaten von der wirtschaftlichen Außenstelle in Hamm weitergewährt und, falls erforderlich, daneben der Stahlfinanzkredit zu den oben erwähnten neuen Bedingungen bis zur Höhe der Differenz dieses Ersatzkredits und der vollen Lohnsumme der Vorwoche weiter erhöht wird. In der Woche vom 15.–20. Oktober 1923 soll alsdann die Zahlung durch die Wirtschaftliche Außenstelle Hamm auch im Kreditwege aufhören und lediglich der Stahlfinanzkredit zu den neuen Bedingungen in Höhe von 50% der gesamten Lohnsumme der Vorwoche gewährt werden. Nach dem 20. Oktober müßte auch bei der Schwerindustrie jede Kreditgewährung des Reichs aufhören“ (R 43 I /215 , Bl. 246–248). Dieser Verfügung hielten die Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus Neustadt an der Hardt am 9.10.23 entgegen, die angeführten Sätze würden der herrschenden Not nicht gerecht. „Der Standpunkt der Reichsregierung, daß die erforderlichen Mittel zur Ingangsetzung der Produktion grundsätzlich auf dem Wege des Privatkredits beschafft werden sollen, ist unhaltbar. Die Privatkredite sind wegen ihrer hohen Zinslasten erstens unerschwinglich und zweitens sind die Banken gar nicht in der Lage, Kredite in dem notwendigen Ausmaß zu bewilligen.“ Die Besatzung verbiete außerdem die Erwerbslosenfürsorge und verlange die Beschäftigung. „Es bleibt nichts anderes übrig, als daß die Reichsregierung der Industrie mit billigen Papiermarkkrediten unter die Arme greift und ihr wenigstens über die Übergangszeit hinweghilft, damit den Arbeitern Verdienst- und Lebensmöglichkeit wieder verschafft werden können“ (R 43 I /2028 , Bl. 304–305).

12

Den Schiffahrtsverbänden wurde am 4.10.23 mitgeteilt, daß die Erwerbslosenfürsorge von den Verbänden vom 17. 10. an auf die Heimatgemeinden übergehen und dann wie im unbesetzten Gebiet erfolgen solle (R 43 I /222b , Bl. 153–155).

V.

Das Gesetz über Wiedereinstellung und Kündigung in Teilen des Reichsgebiets vom 17. Juli 192313 ist der Rheinlandkommission bisher noch nicht zur Prüfung vorgelegt worden; die Vorlage wird alsbald nachgeholt werden. Auf nachdrückliche Anwendung der Stillegungs- und Streckungsvorschriften ist hinzuwirken.

13

S. RGBl. I, S. 647 f.

[468]VI.

Sogenannte Wege-, Sohlengelder und ähnliche Entschädigungen fallen sofort weg.

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