2.189 (mu21p): Nr. 189 Vermerk Staatssekretär Pünders über eine Unterredung mit dem Reichsbankpräsidenten. 1. Mai 1929

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Nr. 189
Vermerk Staatssekretär Pünders über eine Unterredung mit dem Reichsbankpräsidenten. 1. Mai 1929

R 43 I /287 , Bl. 2-4

[Betrifft: Reparationsfragen.]

Gestern nachmittag suchte mich unangemeldet Herr Reichsbankpräsident Schacht in der Reichskanzlei auf. Er begründete sein Kommen mit der Frage nach der Antwort des Herrn Reichskanzlers auf seinen Brief betreffend Parker Gilbert1. Parker Gilbert sei bereits in Berlin und habe mit ihm wegen einer[608] Besprechung Fühlung genommen. Da er morgen abend bereits wieder wegfahre und vorher noch gern dem Herrn Reichskanzler über das Ergebnis seiner Besprechung mit Parker Gilbert berichten möchte, müsse er sich für diese Besprechung Parker Gilbert spätestens für den heutigen Mittag zur Verfügung stellen. Es läge ihm daher sehr daran, wenn er den Brief noch am gestrigen Tage erhalten könne. Ich sagte ihm, daß der Entwurf der Antwort eben dem Herrn Reichskanzler vorläge und ich dafür Sorge tragen würde, daß er ihn noch am Abend in der Reichsbank zugestellt erhalte. (Tatsächlich hat dann auch Herr Präsident Schacht die Antwort des Herrn Reichskanzlers noch gestern 6.30 Uhr nachmittags erhalten.)

1

Siehe dazu Dok. Nr. 184 und 188.

Herr Präsident Schacht teilte mir dann einiges Vertrauliche über die Devisenlage mit2. Die Reichsbank habe in den letzten Tagen insgesamt für 320 Millionen RM Devisen abgeben müssen, und zwar in Tagesraten von 60, 120, 140 Millionen. Der 30. April sei aber bereits völlig ruhig verlaufen und zwar mit einer Abgabe von nur 7½ Millionen. Herr Präsident Schacht zeigte sich auch in dieser Besprechung hinsichtlich der Devisenlage recht optimistisch und befürchtete nach diesem abgeschlagenen Angriff auf die deutsche Reichsbank und die deutsche Währung keinerlei Schwierigkeiten für die deutsche Reichsbank, die deutsche Währung und dadurch auch für die deutsche Wirtschaft. Er hält es auch für nicht sehr wahrscheinlich, daß die Reichsbank zu nennenswerten Kreditrestriktionen greifen müsse. Die Taktik der Reichsbank in den letzten Krisentagen, jegliche Devisennachfrage 100%ig zu decken, selbst auf Kosten momentaner sehr starker Abgaben, habe sich als richtig herausgestellt.

2

Zum Abzug der Devisen von der Rbk siehe Schachts Ausführungen in der Besprechung am 29. 4., Dok. Nr. 185.

Präsident Schacht kam dann auf die Pariser Konferenz zu sprechen. Er bat dringend, die Reichsregierung in Berlin möchte keinerlei irgendwie geartete Propaganda für eine politische Konferenz machen, da dies die Stellung der deutschen Delegation schädigen müsse. Nach der Aufregung der vergangenen Woche sei die Stellung der deutschen Delegation jetzt wieder offensichtlich sehr erstarkt, während umgekehrt die Front der Gegner zusehends langsam abbröckle. Er wolle es daher noch keineswegs für ausgeschlossen halten, daß man schließlich in Paris doch noch zu einem erträglichen Zahlenkompromiß komme. Aber zu einem etwaigen deutschen Nachgeben in Paris sei noch in der allerletzten Minute Zeit. Im Augenblick komme es für diese Schlußverhandlungen darauf an, daß die Stellung der deutschen Delegation besonders stark sei. Wenn nun aber die Gegner fortgesetzt in den deutschen Zeitungen läsen, daß die Pariser Konferenz eigentlich schon beendet sei und nunmehr baldigst die Politiker das Wort nehmen müßten, so müßten solche Ausführungen seitens unserer Gegner zweifellos als einen bevorstehenden deutschen Umfall gedeutet werden. Ich erwiderte Herrn Schacht, daß von einer solchen Propaganda der Reichsregierung für eine politische Konferenz bisher auch keinerlei Rede sein könne. Wie in all diesen Fragen halte die Reichsregierung mit irgendwelchen Stellungnahmen völlig zurück und beabsichtige keineswegs, den unabhängigen Sachverständigen ihre Verantwortung zu nehmen. Wenn er nunmehr den[609] Wunsch habe, daß seitens der Reichspresse-Abteilung betont gegen den Gedanken einer demnächstigen politischen Konferenz vorgegangen werde, so würde ich diesen Wunsch alsbald beim Herrn Reichskanzler zum Vortrag bringen. Herr Präsident Schacht bat ausdrücklich hierum und führte dann auch aus, es sei doch sehr wahrscheinlich, daß die Pariser Konferenz so oder so das deutsche Schicksal für eine, vielleicht für zwei Generationen beeinflussen werde, und es müßte daher nach aller Erfahrungen eigentümlich zugehen, wenn eine Konferenz von solcher Bedeutung nicht auch einmal durch eine überaus schwere Krise hindurch gehen müsse. (Diese Ausführungen des Präsidenten Schacht klangen im Gegensatz zu seinen Berichten in der letzten Zeit meines Erachtens merkwürdig positiv, wenngleich er gleich darauf die Aussichten für einen Zahlenkompromiß mit 5 zu 95 angab.)3 Schließlich hatte Präsident Schacht noch etwas auf dem Herzen, was er aber einstweilen nur mir persönlich auf Grund unseres jahrelangen engen Zusammenarbeitens und in Anbetracht des Vertrauens, das er mir persönlich stets entgegengebracht hat, mitteilen wolle. Diese Schlußbemerkungen bezogen sich auf die sogenannte politische Haltung der Delegation und die politischen Nebenpunkte des deutschen Memorandums. Zunächst betonte Präsident Schacht, daß der mittlerweile so berüchtigt gewordene Brief des Herrn von Kühlmann an den englischen Botschafter Tyrell in der deutschen Botschaft in Paris geschrieben und Herrn Botschafter v. Hoesch vor der Absendung vorgelegt worden sei, während er von ihm erst nach der Absendung Kenntnis bekommen hätte4. Ferner seien die angeblichen politischen Nebenpunkte des Memorandums, wie überhaupt das ganze Memorandum nicht allein von den vier Delegierten formuliert worden, sondern, wie alle Arbeiten, in engstem Kontakt mit den Herren Berger, Claussen und Ruppel; diese Herren hätten auch vor der Übergabe des Memorandums Herrn Ministerialdirektor Dorn über den Inhalt des Memorandums am Fernschreiber eingehend informiert. Herr Präsident Schacht wollte hieraus mir gegenüber den Schluß ziehen, daß er des Glaubens sein durfte, daß die Reichsregierung dem Inhalt des Memorandums wenn auch nicht ausdrücklich zugestimmt, so ihn doch vorher gekannt habe. Ich mußte dies Herrn Schacht gegenüber, wenigstens soweit die Mitglieder des Reichskabinetts in Frage kämen, ausdrücklich bestreiten und berichtete dann meinerseits Herrn Präsidenten Schacht über die erste Berichtssitzung am 1. März 1929 in der Reichskanzlei, wo erstmalig Herr Geheimrat Kastl über die politischen Nebenpunkte berichtet hätte. Ich teilte Herrn Präsidenten Schacht mit, daß in dieser Sitzung sowohl der Herr Reichskanzler wie auch Herr Reichsminister Stresemann überaus lebhafte Bedenken gegen eine etwaige Initiative deutscherseits geltend gemacht hätten5. Herr Präsident Schacht behauptete mir gegenüber, daß ihm dies völlig neu sei,[610] da Herr Geheimrat Kastl nach seiner Rückkehr ihm hiervon nichts mitgeteilt habe. Ich hatte tatsächlich persönlich den Eindruck, daß Herr Präsident Schacht über diese meine Mitteilung geradezu betroffen war und von ihr jedenfalls in ganz betonter Weise Notiz nahm.

3

Vgl. Schachts Ausführungen in der Kabinettssitzung vom 21. 4., Dok. Nr. 177, und in der Besprechung am 29. 4., Dok. Nr. 185.

4

Zur Kühlmannaffäre siehe die Arbeit des Reichsarchivs über „die Entstehung des Young-Plans“ Teil II (BA: Nachlaß Pantlen  7). Danach hatte v. Hoesch das AA am 10. 4. telegraphisch über die Absicht v. Kühlmanns unterrichtet. Gegenüber v. Kühlmann hatte der deutsche Botschafter erklärt, daß er sich von dem Schreiben nichts verspreche.

5

Siehe Dok. Nr. 139.

Pünder

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