Text
[2001] Nr. 566
Vermerk des Staatssekretärs Pünder über eine Besprechung des Reichskanzlers mit dem Preußischen Ministerpräsidenten und dem Preußischen Finanzminister am 23. November 1931
Der Herr Reichskanzler empfing entsprechend dem beiliegenden Wunsche1 am vergangenen Montagabend den Herrn Preußischen Ministerpräsidenten Braun und den neuen Herrn Finanzminister Klepper2. Von Reichsseite nahmen außerdem noch teil: Reichsfinanzminister Dietrich, Staatssekretär Dr. Schäffer und ich. Der preußische Wunsch geht, kurz gesagt, darauf hinaus, vom Reich per sofort einen Kassenkredit von über 50 Millionen zu erhalten. Die beiden preußischen Herren trugen vor, daß die finanziellen Möglichkeiten Preußens jetzt auch völlig erschöpft seien. Finanzminister Klepper bezifferte das Kassendefizit für Ende
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StS Weismann hatte am 20.11.31 den persönlichen Referenten des RK, ORegR Pukaß angerufen und um eine Unterredung des PrMinPräs. mit dem RK am Nachmittag desselben Tages gebeten. Die Rkei hatte die Besprechung auf den 23.11.31 verschoben (Vermerk des ORegR Pukaß vom 20. 11. mit handschriftlichen Ergänzungen in R 43 I/2375, S. 409).
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Der pr. FM Höpker Aschoff war am 12.10.31 von seinem Amt zurückgetreten (Das von WTB Nr. 2151 vom 13.10.31 veröffentlichte Rücktrittsschreiben in R 43 I/2289, Bl. 8). Der PrMinPräs. Braun ernannte am 7.11.31 den Präs. der Preußenkasse Otto Klepper zum neuen FM (WTB, Nr. 2344 vom 7.11.31 in R 43 I/2289, Bl. 9, Anzeige der Übernahme der Amtsgeschäfte durch Klepper vom 9.11.31, a.a.O., Bl. 10).
November
auf
54 Millionen
Dezember
auf
76 Millionen
Januar
auf
48 Millionen
Februar
auf
47 Millionen
März
auf
51 Millionen
Für Dezember sei die Kassenlage so, daß zwar noch die eigenen Gehälter gezahlt, aber die entsprechenden Überweisungen an die Kommunen nicht mehr vorgenommen werden könnten. Finanzminister Klepper fügte ergänzend hinzu, daß konkrete Vorschläge über eine Abänderung des Finanzausgleichs zugunsten der Länder bereits in Arbeit seien.
Von Reichsseite wurde den preußischen Herren mit aller Deutlichkeit auseinandergesetzt, daß irgendwelche Möglichkeiten einer Reichshilfe unter gar keinen Umständen gegeben seien. Der Herr Reichskanzler betonte die eigene Zuständigkeit der Länder zur Stabilerhaltung ihrer Haushalte, unter Hinweis darauf, daß andere Länder von ihren Ermächtigungen3 weit stärker Gebrauch gemacht hätten als Preußen. Er erzählte hierbei unter anderem noch, daß er als preußischer Landtagsabgeordneter 1929 dem damaligen Herrn Finanzminister Höpker Aschoff einen Ersparnisvorschlag über zusätzliche 80 Millionen vorgelegt habe, den dieser dann aber als unnötig bezeichnet und abgelehnt habe.
[2002] Staatssekretär Schäffer schilderte die Kassenlage des Reichs folgendermaßen:
Ende November fehlen
150
Millionen,
Ende Dezember
350
Millionen,
Ende Januar
56
Millionen,
Ende Februar
103
Millionen,
Ende März
136
Millionen.
Dem Reich sei es auch nur durch Ausschöpfung aller Kreditmöglichkeiten und Beschreitung aller nur irgendwie vertretbaren Wege möglich, seinen eigenen Verpflichtungen mit genauer Not nachzukommen. Irgendeine zusätzliche Hilfe für Preußen komme gar nicht in Betracht.
Nachdem Finanzminister Klepper zunächst erklärt hatte, auf irgendwelche „Wechselreiterei“ lasse er sich nicht ein, erklärte er sich nachher doch damit einverstanden, in einer Einzelbesprechung mit Staatssekretär Schäffer die (eventuell auch bankmäßigen) Möglichkeiten einer ergänzenden Hilfe für Preußen durchzusprechen. Diese Besprechung hat dann noch am selben Abend stattgefunden, und zwar, wie ich inzwischen gehört habe, mit dem Erfolge, daß eine Hilfe seitens des Reiches nicht mehr in Anspruch genommen wird4.
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Über diese Besprechung notierte Schäffer in seinem Tagebuch: „Ich sage Klepper, wie ich den November decke. Er weiß keinen Weg, sich in irgendwelcher ähnlicher Form zu sichern. Ich: Es fällt doch letzten Endes alles auf die Reichsbank. Können Sie ihr nicht Wechsel Ihrer Unternehmungen geben? Klepper: Das wären Finanzwechsel, und das traue ich [mir] nicht. Ich: Haben Sie nicht Aktienpakete, die Sie lombardieren können? Er: Das ginge nur auf wenige Tage und verbietet sich außerdem aus Prestigegründen. Ich: Welchen Weg sehen Sie dann? Klepper: Keinen, wenn ich nicht von vornherein überzeugt gewesen wäre, daß Sie auch nichts haben, hätte ich ganz anders auf Sie gedrückt. Ich: Na aber, was dann? Er: Es muß eben die ganze Außenpolitik und die ganze Wirtschaftspolitik geändert werden. Ich: Gut, aber eine Anleihe von draußen kriegen Sie doch nicht. Er: Ich bin sicher, daß wir eine kriegen. Ich: Von wem? Amerika ist total durcheinander und wird es noch mehr werden. England hat alle Mühe, sein Pfund zu halten. Frankreich gibt uns allein kein Geld und müßte dies [d. h. eine allgemeine Anleihe] auch durch seine Garantie bekräftigen, die es nur unter politischen Bedingungen geben kann. Klepper: Auch die Agrarpolitik ist schuld. Ich: Gehen wir morgen einmal zusammen zu Luther“ (IfZ, ED 93, Bd. 15, Bl. 1074).
Wie ich ergänzend gestern gehört habe, hat die preußische Staatsregierung, dem Wunsche des Reichs entsprechend, ferner beschlossen, den Haushaltsplan für 1932 bestimmt nicht vor Januar kommenden Jahres vorzulegen5. Außerdem werde der Voranschlag kein Defizit ausweisen, was auf dreierlei Wegen erreicht worden sei: zunächst werde das Defizit des laufenden Etatsjahres nicht in den neuen Voranschlag übernommen, ferner sei eine etwa kommende Gehaltskürzung eskomptiert und schließlich zusätzliche Einnahmen aus einer etwaigen Umsatzsteuererhöhung berücksichtigt, so daß der Abschluß plus minus Null aufgehen werde6.
Den Herrn Reichskanzler habe ich von Vorstehendem unterrichtet7.
Pünder