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[Parlamentarische Behandlung der Aufwertungsfrage]
Der Reichskanzler führte aus, daß es notwendig sei, sich darüber schlüssig zu werden, wie die Bearbeitung der Aufwertungsfrage formal aufgezogen werden[13] solle. Er sei der Meinung, daß ohne eine Vorlage der Reichsregierung eine ersprießliche Arbeit durch den Ausschuß2 nicht geleistet werden könne. Außerdem sei zu beachten, daß eine umfangreiche Denkschrift im Reichsfinanzministerium ausgearbeitet worden sei, deren Material zuerst den Mitgliedern des Ausschusses zugängig gemacht werden müsse3. Er sei der Meinung, daß am nächsten Dienstag [27. 1.] diese Denkschrift den Mitgliedern des Ausschusses vorgelegt werden solle, und daß danach sich der Ausschuß um einige Wochen vertage, um der Reichsregierung Zeit zu lassen, die Gesetzesvorlage vorzubereiten. Die Reichsregierung werde eine Erklärung abgeben, die diese Gesetzesvorlage in bestimmte Aussicht stelle4.
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Gemeint ist der Aufwertungsausschuß des RT, der die RReg. am 21. 1. um eine Erklärung über ihre Absichten in der Aufwertungsfrage gebeten hatte. S. dazu Dok. Nr. 5, dort bes. Anm. 2.
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Druckexemplare eines „Referentenentwurfs einer Denkschrift über die Aufwertung“ übersendet der RFM am 26. 1. an den Vorsitzenden des Aufwertungsausschusses, an die Rkei und sämtliche RMin. Über Inhalt und Charakter der Denkschrift heißt es im Begleitschreiben des RFM: „Der Entwurf enthält keine Stellungnahme der Reichsregierung oder einzelner Reichsminister zu den Fragen, die an das Aufwertungsproblem anknüpfen. Vielmehr handelt es sich lediglich um eine […] Zusammenstellung von Material, das bei der Behandlung der Aufwertungsfragen von Interesse sein kann. Zweck der Vorlage des Entwurfs ist es, unter Vermeidung jeglicher Bindung eine Grundlage für die Erörterung des Aufwertungsproblems zu schaffen.“ (R 43 I/2455, Bl. 39-66). Der Referentenentwurf ist gedr. als Beilage zu Heft 4 der Dt. Juristenzeitung 1925.
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Diese Erklärung, deren Entw. der RJM am 24. 1. zur Vorlage an den RK übersendet (R 43 I/2455, Bl. 29-32), enthält im einleitenden Teil eine ausführliche Stellungnahme zu den Rechtsbedenken, die in der Öffentlichkeit gegen die Dritte Steuernotverordnung und die VO des RPräs. vom 4.12.24 (s. Anm. 1 zu Dok. Nr. 5) erhoben worden waren. Die RReg. teile diese Bedenken nicht. Außerdem habe das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung festgestellt, „daß auch wirtschaftliche Maßnahmen, wenn sie zur Erhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit geboten sind, angeordnet werden dürfen. Diese höchstrichterliche Auffassung auf das Anwendungsgebiet des Art. 48 der Reichsverfassung übertragen, führt zu dem Schluß, daß es gerechtfertigt war, die aus der Erschütterung der Rechtsgrundlage der dritten Steuernotverordnung hervorgegangenen schweren Gefahren für die Öffentlichkeit durch eine Notverordnung aus Art. 48 anzuwenden.“ Im übrigen sei die VO vom 4.12.24 lediglich zur einstweiligen Regelung der Aufwertungsfrage bestimmt gewesen. „Die Reichsregierung steht nach wie vor auf dem Standpunkt, daß die endgültige Lösung des Aufwertungsproblems nur im Wege der ordentlichen Gesetzgebung gefunden werden kann. Aus diesem Grunde mußte verhütet werden, daß unter dem Gesichtspunkt der Ungültigkeit der dritten Steuernotverordnung und ihrer Durchführungsbestimmungen im Verkehr Tatsachen geschaffen wurden, die die gesetzgebenden Körperschaften durch die Macht der Verhältnisse in der Freiheit ihrer Entschließung beengen oder, wenn sie bei der endgültigen gesetzlichen Regelung keine Berücksichtigung finden, zu einer schweren Enttäuschung der Beteiligten und damit zu neuer Unruhe und Verwirrung führen mußte.“ Abschließend wird mitgeteilt, daß eine Regierungsvorlage zur Ergänzung der Dritten Steuernotverordnung in Vorbereitung begriffen und daher mit beschleunigter Einbringung bei den gesetzgebenden Körperschaften zu rechnen sei.
Lt. Pressemeldungen wird die Erklärung durch den RJM vor dem Aufwertungsausschuß am 27. 1. abgegeben (z. B. „Tägliche Rundschau“ vom 28.1.25).
Der Abg. v. Guérard glaubte Wert darauf legen zu sollen, daß diese Zeit der Vertagung möglichst kurz bemessen werde.
Der Abg. Wunderlich gab der Meinung Ausdruck, daß der Ausschuß am Dienstag sich nicht so leicht zufriedengeben werde. Zum mindesten sei erforderlich, daß zu der Frage der Notverordnung vom 4. Dezember 1924 (Reichstagsdrucksache Nr. 9)5 von der Reichsregierung Stellung genommen werde.
[14] Der Abg. Steiniger unterstützte diese Auffassung. Wenn auch der Schwerpunkt des Antrages der Deutschnationalen darin zu sehen sei, daß eine Beschleunigung der Behandlung der Aufwertungsfrage herbeigeführt werden solle, so sei doch eine Hinausschiebung der Arbeiten des Ausschusses nur dann tragbar, wenn die Reichsregierung eine befriedigende Erklärung zu Reichstagsdrucksache Nr. 9 abgebe. Im übrigen sei es wohl kaum möglich, eine Zusage dahingehend zu machen, daß die in der Regierung vertretenen Parteien im Aufwertungsausschuß unter allen Umständen für eine Vertagung stimmten. Es müsse abgewartet werden, welche Haltung die Oppositionsparteien einnehmen, und es könne sich aus dieser Haltung die Notwendigkeit ergeben, taktisch anders als jetzt vorgesehen zu handeln.
Der Reichskanzler bat dringend, diese Möglichkeit nicht ins Auge zu fassen. Es müsse unter allen Umständen der Reichsregierung die Zeit gelassen werden, die Gesetzesvorlage auszuarbeiten. Dazu sei notwendig, daß der Ausschuß in den nächsten Wochen nicht tage. Es entspreche außerdem den parlamentarischen Gewohnheiten, einen Gegenstand nicht zu behandeln, für den eine Vorlage der Reichsregierung in kürzester Frist in Aussicht gestellt sei. Die Frage der parlamentarischen Behandlung der Aufwertung im gegenwärtigen Augenblick sei ein Prüfstein dafür, ob die Regierungsparteien gewillt seien, der Reichsregierung unter allen Umständen das Arbeiten zu ermöglichen.
Der Reichsminister des Innern und die Abgeordneten Dr. Scholz, Leicht, Graf Westarp und Drewitz waren einheitlich der Meinung, daß diese geschäftsordnungsmäßige Behandlung der Aufwertungsfrage zunächst die einzig mögliche sei.
Der Abg. Steiniger hielt für seine Person zwar diesen Weg für richtig, konnte aber für die übrigen noch im Aufwertungsausschuß vertretenen Mitglieder der DNVP eine Bindung nicht eingehen. Er sagte jedoch zu, sich mit allen Kräften dafür einzusetzen, daß dem Wunsche der Reichsregierung entsprochen werde.
Der Abg. Emminger hielt die Bedenken gegenüber dieser geschäftsordnungsmäßigen Behandlung für nicht so groß. Es sei ja vielleicht möglich, daß, falls sich das Bedürfnis für einen Zusammentritt des Aufwertungsausschusses in kürzerer Zeit ergeben sollte, er mit der Tagesordnung: Besprechung der Denkschrift und Stellung von Rückfragen zusammentrete. In dieser Sitzung werde sich dann die Reichsregierung vielleicht nur durch den Verfasser der Denkschrift vertreten zu lassen brauchen.
Der Reichskanzler faßte das Ergebnis dahin zusammen, daß sich die hier anwesenden Herren bei ihren Fraktionen dafür einsetzen würden, daß eine Vertagung des Aufwertungsausschusses mit Rücksicht auf die neuen Tatbestände (Denkschrift, Gesetzesvorlage) auf einige Wochen eintrete. Sollte es notwendig sein, in der Zwischenzeit mit Rücksicht auf die öffentliche Meinung etwas zu machen, so könne eine Sitzung zur Besprechung der Denschrift stattfinden6. An dieser Sitzung werde der Verfasser der Denkschrift teilnehmen. Der Vortrag des Verfassers über die Denkschrift, der für Dienstag vorgesehen[15] sei, werde daher fortfallen. Sobald die Gesetzesvorlage dem Reichsrat zugegangen sei, solle eine gleiche Parteiführer-Besprechung wie heute stattfinden, um über das dann erforderliche weitere Vorgehen zu beraten7.
Der Abg. Leicht empfahl, den Beschluß so zu fassen, daß es dem Vorsitzenden überlassen werde, wann die neue Sitzung anzuberaumen sei und daß seitens der Mitglieder zum Ausdruck gebracht werde, daß dies sobald als möglich zu geschehen habe.
Diese Anregung wurde nicht unterstützt.