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5. [Verhältnis zu Präsident Wilson, Verhältnis der Reichsregierung zur Friedensdelegation]
Gesandter Naumann teilt mit, daß von amerikanischer Seite ihm empfohlen worden sei, der Entrüstung gegen den Präsident Wilson in der Presse starken Ausdruck geben zu lassen, weil dadurch die Stellung des Präsidenten nur gestärkt werde. Reichsminister Dernburg und Erzberger sowie Botschafter Graf Bernstorff sprechen sich gegen jeden persönlichen Angriff auf den Präsidenten Wilson aus, mindestens von amtlicher Seite her.
Die vom Reichsminister Grafen Rantzau telegrafisch angekündigte Übergabe weiterer Noten der deutschen Delegation5 führt zu einer Aussprache[312] darüber, inwieweit die Friedensdelegation ersucht werden soll, vor der Abgabe von Erklärungen sich mit dem Kabinett in Verbindung zu setzen und inwieweit dieses vorher die Genehmigung des Friedensausschusses einziehen will. Das Kabinett ist darüber einig, daß bei ersten Vorbesprechungen und aufklärenden Verhandlungen die Delegierten freie Hand behalten müssen, daß aber positive Gegenvorschläge und bindende Offerten, soweit sie von den Richtlinien für die Friedensunterhändler abweichen, zuerst vom Kabinett genehmigt und mit dem Friedensausschusse besprochen werden müssen.
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Siehe Anm. 4. Am 10.5.1919 überreichte die Dt. Delegation in Versailles eine Note betr. Arbeiterrecht, in der im Zusammenhang mit dem dt. Völkerbundsentw. ein internationales Abkommen über die Sozialgesetzgebung, insbesondere für den Bereich der Arbeiter und Vorschläge für ein internationales Arbeiterrecht aufgeführt wurden (Schultheß 1919, II, S. 525). Am gleichen Tag wurde eine dt. Note über Kriegs- und Zivilgefangene überreicht, in der die Einrichtung einer besonderen Kommission für die Durchführung der Repatriierung der dt. Kriegs- und Zivilgefangenen vorgeschlagen wurde; kommissarische Beratungen zu diesem Thema sollten bereits zu diesem Zeitpunkt getrennt von den Beratungen über den Friedensvertrag beginnen (Schultheß 1919, II, S. 526 in Kurzfassung; vollständiger Text in: Materialien betr. die Friedensverhandlungen, Teil I, hrsg. v. AA: Der Notenkampf um den Frieden in Versailles, Teil I, Charlottenburg 1919, S. 26 f.). Am 13.5.1919 wurden weitere dt. Noten über die Schuld am Kriege, über die Wirkung des Friedensvertrages auf die dt. Bevölkerung und über die Fragen betr. die westlichen Gebiete Deutschlands überreicht (Schultheß 1919, II, S. 526 ff. ; Materialien betr. die Friedensverhandlungen, a.a.O., S. 28 ff. ). Die mit der Absendung zahlreicher einzelner Noten verfolgte Taktik erläuterte Frhr. v. Lersner während der Sitzung der Friedensdelegation am 9.5.1919, als er ausführte, der RAM wünsche, „die Entente mit Noten zu überschütten, in denen wir auf die Rechtlosigkeit einzelner gegnerischer Forderungen hinweisen, um durch ein Herausgreifen einzelner Punkte, die wichtig genug sind, die öffentliche Meinung der ganzen Welt zu interessieren und zu unseren Gunsten umzustellen. Dabei verlohnt es, z. B. den Völkerbund zu berühren, dessen Zustandekommen Wilson als seine Hauptaufgabe ansieht.“ (Protokoll in: PA, Dt. Friedensdelegation Versailles, Pol 2 a).