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d) Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Der Reichskanzler bemerkt, daß er in seiner Erklärung auch ein gewisses Programm über wirtschaftliche und Finanzfragen entwickeln wolle. Er bitte die zuständigen Herren Minister, die entsprechenden Anregungen hierfür nunmehr zu geben.
Der Reichsminister der Finanzen hält es für zweckmäßig, keine eingehende[427] Darlegung der Finanzlage des Reichs zu geben37. Auch die Währungsfrage solle der Herr Reichskanzler in seiner Erklärung nur ganz allgemein behandeln38. Auch bezüglich der Devisenfrage sei es kaum möglich, ein ziffernmäßiges Resultat bereits für morgen zur Verfügung zu stellen. Abschließende Ziffern lägen zudem noch gar nicht vor39. Große Grundlinien einer Finanzreform könnten etwa in der Hinsicht gegeben werden, daß der gegenwärtige Zustand des finanziellen Verhältnisses von Reich, Ländern und Gemeinden nicht bestehen bleiben könne. Die Finanzhoheit der Länder und Gemeinden müsse in einem gewissen Umfang wiederhergestellt werden40. Eine neue Währung könne nur eingeführt werden, mit Aussicht auf dauernden Erfolg, wenn es gleichzeitig gelänge, den Reichshaushalt ins Gleichgewicht zu bringen. Zu diesem Zweck sei es aber notwendig, die Ausgaben wesentlich zu beschränken. Die Frage des Beamtenabbaus41 und des Finanzausgleichsgesetzes42 könnten in diesem Zusammenhange erwähnt werden.
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Auf den außerordentlichen Ernst und die erhebliche Vermehrung der Schulden hatte Hilferding bereits in einem Schreiben an die RReg. vom 15.9.23 hingewiesen und die laufenden Ausgaben des Reiches für die Woche vom 10. bis 16.9.23 allein mit 900 Billionen M beziffert. In diesem Zusammenhang hatte Hilferding Sparmaßnahmen im Bereich der Erwerbslosenfürsorge und Einstellungen von Zahlungen, zu denen Deutschland durch den VV verpflichtet sei, sowie von Entschädigungen für Besatzungsgeschädigte im Rhein-Ruhrgebiet neben Einsparungen in den Ressort-Etats vorgesehen. Die von RFM bei dieser Gelegenheit beantragte Beratung der Sparmaßnahmen (R 43 I/2357, Bl. 262–264) hatte bisher noch nicht stattgefunden. Vgl. dazu Dok. Nr. 71, P. IV.
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Zum Stand der Währungsfrage s. Dok. Nr. 82, P. 2.
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Die Schwierigkeiten einer ausreichenden Devisenversorgung des Reichs gehen aus einem Schreiben der Rbk an den RVM vom 25.9.23 hervor, in dem ausgeführt worden war, die Rbk sei nicht in der Lage, den Devisenbedarf der Reichsbahn in Höhe von 140,2 Mill. Goldmark bis Jahresende zu decken. „Wir werden uns bemühen, der Reichsbahn nach wie vor etwa 15 Millionen Goldmark monatlich in Devisen zuzuführen; angesichts der Ansprüche des Herrn Ministers für Ernährung und Landwirtschaft für die Einfuhr von Lebensmitteln, insbesondere von Fett und Getreide und angesichts des Umstandes, daß die Eingänge aus dem Export sich dauernd niedrig halten und eher ab- als zunehmen, sind wir bis auf weiteres nicht in der Lage, die Zuweisungen zu erhöhen“ (R 43 I/2446, Bl. 169).
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S. Dok. Nr. 127.
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S. hierzu zuletzt Dok. Nr. 63.
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Hierzu hatte Hilferding in seinem Schreiben vom 15.9.23 (s. o. Anm. 39) bemerkt: „Zu besonders großen Sorgen geben die finanziellen Auswirkungen des Finanzausgleichsgesetzes Veranlassung mit ihren in letzter Zeit unerträglich gewordenen Aufwendungen, die sich insbesondere aus den §§ 60 und 61 des Finanzausgleichsgesetzes ergeben [Zuschüsse an Länder und Gemeinden für Erhöhung Gehälter und Versorgungsbezüge sowie für Einrichtungen der Wohlfahrtspflege; Gesetz vom 23.6.23, RGBl. I, S. 494]. Ich bin mir dessen bewußt, daß diese Bestimmungen nicht schon kurz nach ihrem Inkrafttreten wieder abgebaut werden können, aber ihre Wirkungen müssen soweit wie irgend möglich gemildert werden. Reichsministerium des Innern und Reichsarbeitsministerium werden aber mit dem Finanzministerium ins Benehmen zu treten haben, um den Kreis der Bezugsberechtigten, der durch die Ausführungsbestimmungen zu den erwähnten Paragraphen festgelegt werden soll, nach Möglichkeit einzuschränken.“
Der Reichswirtschaftsminister knüpft an die letzten Ausführungen des Reichsministers der Finanzen an und betont, daß aus einer Währungsreform die nötigen Konsequenzen gezogen werden müßten, da man sonst eine solche nicht verantworten könne. Diese Konsequenzen seien: Ausgabenabbau, Abbürdung aller Verpflichtungen des Reichs, die es nicht mehr ausführen könne, ferner müsse die Wirtschaft von allem befreit werden, was unproduktiv sei. Auch[428] Steigerung der Arbeitsleistung, Preisabbau, Revision der Kartell- und Syndikatspolitik sei notwendig43.
Der Reichsernährungsminister führt aus, die Erklärung des Herrn Reichskanzlers könne von 2 Gesichtspunkten ausgehen: Entweder gebe der Herr Reichskanzler einen Querschnitt durch die gegenwärtige Gesamtlage, oder er gebe ein festes Programm für die Zukunft. Er halte es für zweckmäßig, wenn das Letztere geschähe.
Der Reichskanzler bemerkt hieran anknüpfend, daß auch er die letztere Form einer Erklärung für die richtige halte. Die Regierung müsse außerdem von dem Reichstag ein Ermächtigungsgesetz verlangen. Er müsse außerdem dem Reichstag Auskunft geben, was in nächster Zeit auf wirtschaftlichem und finanziellem Gebiete bevorstehe, und was die Regierung in dieser Hinsicht zu tun gedenke. Er bitte daher die Herren Minister um ganz konkrete Vorschläge und Anregungen.
Der Reichspostminister spricht sich ebenfalls für die Aufstellung eines konkreten Programms aus.
Der Reichsarbeitsminister entwickelt ein soziales Programm44. Hauptgrundsatz sei, von seiten der Arbeitsleistung her die Leistung intensiver zu gestalten, ohne dabei die Gesundheit der Leistenden zu gefährden. Zu diesem Zwecke sei es auch notwendig, die Frage der Arbeitseinstellung und Entlassung anders zu gestalten wie bisher. Reformbedürftig seien die Arbeitsnachweise. Die Stillegungsverordnung könne in ihrer gegenwärtigen Form aufrechterhalten bleiben45. Das Betriebsrätegesetz bedürfe gewisser Änderungen46. So dürften besonders in Zukunft die Betriebsräte nicht mehr von der Arbeit freigestellt werden.
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S. die Anlage zu diesem Ministerrat.
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S. hierzu Dok. Nr. 130, P. 2 a.
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Gemeint ist das Betriebsrätegesetz vom 4.2.20 (RGBl., S. 147 ff.).
Er geht sodann auf die Frage der Erwerbslosenfürsorge ein. Das Reich dürfe durch diese nicht allzu sehr belastet werden. Ein Erwerbslosenversicherungsgesetz müsse ausgearbeitet werden47. Grundprinzip bei Behandlung der ganzen Frage müsse sein, den Trieb zur Arbeit aufrecht zu erhalten. Notstandsarbeiten müssen zu billigen Tarifen zugelassen werden. Die produktive Erwerbslosenfürsorge müsse weiter ausgestaltet werden48.
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S. Dok. Nr. 130, P. 2 b u. 276.
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Schon am 15.9.23 hatte der RFM zur Sanierung der Finanzen für den Bereich des RArbMin. vorgeschlagen: „Hinsichtlich der Erwerbslosenfürsorge ist die beschleunigte Verabschiedung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes unerläßliches Erfordernis. Die katastrophale Finanzlage zwingt zur Zurückhaltung auch gegenüber durchaus berechtigten Anforderungen für die nächste Übergangszeit. Das gilt auch für die Bemessung der Erwerbslosenunterstützung. Unterstützung für Frauen unter 21 Jahren, desgl. für jugendliche männliche Arbeiter sind einzustellen. Bezüglich der produktiven Erwerbslosenfürsorge muß prinzipiell verlangt werden, daß alle Maßnahmen eingestellt werden, die nicht wertschaffend sind. Für die Zukunft dürfen nur noch wertschaffende produktive Maßnahmen ergriffen und finanziert werden. – Löhne für Notstandsarbeiten werden hinter den Tarifen zurückzuhalten sein. Die Beschäftigung von Notstandsarbeitern soll grundsätzlich über den vollen Achtstundentag anhalten. Zum Zwecke der Durchführung dieser Maßnahmen wird den nachgeordneten Behörden zu eröffnen sein, daß die Mittel für produktive Erwerbslosenfürsorge gesperrt werden, wenn die getroffenen Anordnungen nicht rückhaltslos durchgeführt werden“ (R 43 I/2357, Bl. 263).