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Nr. 561
Chefbesprechung vom 19. November 1931, 9.30 Uhr
Anwesend: Brüning, Warmbold; StS Pünder; MinDir. v. Hagenow, Schwerin v. Krosigk, Köpke, Gaus, Ritter, Reichardt; MinR Berger, Ronde; LegR Valette; RbkPräs. Luther, RbkDir. Vocke; Protokoll: MinR Vogels.
Zur Beratung standen die beiden Telegramme aus Paris vom 17. November 19311.
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Im Telegramm Nr. 1252 hatte Botschafter v. Hoesch berichtet, daß die Franzosen offenbar von brit. und amerik. Seite wegen der Stillhaltung dt. privater Schulden unter wachsenden Druck gesetzt würden. Auf FM Flandins Frage, wie die RReg. die Stillhaltung zu behandeln gedächte, hatte der Botschafter geantwortet, daß auf der einen Seite die . auf dem Nacken säßen, während auf der anderen Seite Frankreich nur an die Reparationen denke und Dtld. in der Frage der Stillhaltung behindere. Flandin hatte dies abgestritten und empfohlen, den Beratenden Sonderausschuß und die Stillhaltungskommission parallel tagen zu lassen (R 43 I/317, Bl. 41). In dem Telegramm Nr. 1253 hatte Hoesch die Einigung zwischen Flandin und ihm über den Text des dt. Memorandums mit der Einschränkung gemeldet, daß die offizielle Zustimmung der Frz. Reg. noch ausstehe. Am Schluß der Unterredung hatte Flandin betont, daß trotz der Einigung das dt. Memorandum ein einseitiges Schriftstück bleibe und die Frz. Reg. nicht binde oder verpflichte. Zur Zusammensetzung des Beratenden Sonderausschusses hatte Flandin ausgeführt, daß die Frz. Reg. gegen die Berufung der Mitglieder des früheren Wiggin-Komitees dann nichts einzuwenden hätte, wenn als Mitglied ein Vertreter Jugoslawiens gewählt werden würde (R 43 I/331, Bl. 114–115). Beide Telegramme in ADAP, Serie B, Bd. XIX, Dok. Nr. 63 und 64.
[1985] In Ergänzung der telegraphischen Berichterstattung des Botschafters von Hoesch teilte Ministerialdirektor Gaus mit, daß er am voraufgegangenen Tage fernmündlich mit Botschafter von Hoesch gesprochen habe. Nach den Mitteilungen des Herrn von Hoesch wünsche Laval, daß der vorletzte Absatz des deutschen Memorandums einen Zusatz erhalte, der zum Ausdruck bringe, daß die Frage der privaten Verschuldung Deutschlands durch unmittelbare Verhandlungen der privaten Gläubiger- und Schuldnergruppen geregelt werden müßte2.
Der Reichskanzler teilte mit, daß der amerikanische Botschafter bereits gestern versucht habe, ihn aufzusuchen, vermutlich in der gleichen Angelegenheit3. Er habe ihn nunmehr auf 11.30 Uhr zu sich gebeten4. Man werde sich den französischen Wünschen wohl anpassen müssen. Dann aber müsse gleichzeitig mit der Absendung des deutschen Memorandums den Gläubigern für Privatschulden gegenüber die Bereitwilligkeit zur Aufnahme von neuen Stillhalteverhandlungen erklärt werden. Nach den französischen Erklärungen habe die Deutsche Regierung jetzt hinsichtlich der Aufnahme von Stillhalteverhandlungen wegen der Privatschulden freie Hand.
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Botschafter Sackett hatte in dieser Angelegenheit am 14.11.31 bei MinDir. Dieckhoff vorgesprochen und im Auftrag seiner Reg. gefordert, sofort Verhandlungen über die dt. Schulden mit den amerik. Banken einzuleiten. Spätestens bis zum 1.12.31 müsse für die kurzfristigen dt. Kredite eine Regelung getroffen werden, wenn nicht der dt. Kredit insgesamt Schaden nehmen sollte. Dieckhoff hatte auf den Widerstand des frz. FM Flandin gegen die Behandlung der Stillhaltefrage verwiesen, zugleich aber die Bereitschaft der RReg. erklärt, die Reparations- und die Stillhaltungsfrage in verschiedenen Ausschüssen, aber gleichzeitig und am gleichen Ort zu behandeln.
Zu dieser Aufzeichnung hatte StS Pünder handschriftlich am Rand notiert: „Washington ist offenbar von New York unter starken Druck gesetzt worden, was wir ja schon seit 1 Woche beobachten“ (Aufzeichnung von MinDir. Dieckhoff vom 14.11.31, R 43 I/317, Bl. 43–44).
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Siehe dazu Dok. Nr. 562.
Es wurde sodann erörtert, in welcher Form die Stillhalteverhandlungen in Gang gebracht werden sollen.
Der Reichsbankpräsident stellte die Frage, ob die Geschäftsführung für das deutsche Bankenkonsortium wiederum von der Reichsbank übernommen werden solle5. Er war der Meinung, daß vielleicht besser sein werde, die Führung nunmehr der deutschen Schuldnergruppe selbst zu überlassen. Selbstverständlich werde die Reichsbank an den Verhandlungen beteiligt bleiben, da sie ja den zu treffenden Abmachungen zustimmen müsse wegen der von ihr für die Durchführung neuer Abmachungen herzugebenden Devisen. Den Vorsitz des deutschen Konsortiums werde dann zweckmäßig Herr Schlieper führen.
Der Reichskanzler erklärte, daß die Reichsbank mindestens im internen Verhältnis die deutschen Schuldner zusammenbringen müsse. Sie müsse im internen Verhältnis die Zügel absolut in der Hand behalten. Ob nach außen hin die Reichsbank oder das Schuldnerkonsortium die Verhandlungen führe, sei eine zweite Frage. Wenn nach außen hin nur das deutsche Schuldnerkomittee hervortrete, so habe er dagegen keine Bedenken.
[1986] Es wurde in Aussicht genommen, daß gleichzeitig mit der Absendung des deutschen Memorandums an die BIZ eine Einladung des deutschen Schuldnerkonsortiums – unter Vorsitz von Herrn Schlieper – an ausländische Gläubigerkonsortien ergehen soll, zwecks Wiederaufnahme der Stillhalteverhandlungen, und zwar in Berlin. Wenn alsdann der Vorsitz für die Verhandlungen von Amerika beansprucht werden sollte, soll diesem Ersuchen entsprochen werden6.
Der Reichskanzler erklärte noch, daß er diesen Fragenkomplex mit Herrn Sackett besprechen werde. Möglicherweise werde Herr Sackett seinerseits bereits eigene Vorschläge zur Sache haben. Von dem Ausgang der Besprechung mit Sackett werde er baldigst Mitteilung machen.
Ministerialdirektor von Krosigk ging auf die Bemerkung des Botschafters von Hoesch im Telegramm Nr. 1253 ein, derzufolge Herr Flandin sich vorbehalten hat, das deutsche Memorandum als ein einseitiges deutsches Schriftstück hinzustellen, das die französische Regierung nicht binde oder verpflichte7. Er hielt es für unmöglich, den französischen Standpunkt anzuerkennen, nachdem man sich in den Verhandlungen über den Wortlaut des Memorandums weitgehend den französischen Wünschen angepaßt habe.
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Siehe Anm. 1.
Der Reichskanzler erwiderte, daß er beabsichtige, den zur Zeit in Paris weilenden Staatssekretär von Bülow8 anzuweisen, den französischen Ministerpräsidenten Laval aufzusuchen, um ihm zu sagen, daß die Reichsregierung über die von Herrn Flandin vertretene Auffassung sehr bestürzt sei, und daß die Reichsregierung sich unmöglich damit abfinden könne, daß die französische Regierung demnächst, etwa auf Angriffe in der französischen Kammer hin, von dem vereinbarten Wortlaut des Memorandums abrücke. Nötigenfalls soll mit der Absendung des Memorandums kurze Zeit gewartet werden, bis die kritischen Debatten in der französischen Kammer abgeschlossen seien, zumal damit gerechnet werden kann, daß die kritischen Abstimmungen noch in der kommenden Nacht erledigt werden.
Der Reichskanzler erklärte, daß er über die Sache mit Herrn von Hoesch in Paris fernmündlich sprechen wolle9, sobald der Empfang des amerikanischen Botschafters Sackett stattgefunden habe.