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6. Entwurf einer Vorlage an die gesetzgebenden Körperschaften, betreffend die Festsetzung der Arbeitszeit in den gewerblichen Betrieben und betreffend die gewerbliche Nachtarbeit der Jugendlichen, entsprechend den Beschlüssen der Washingtoner Allgemeinen Konferenz der internationalen Arbeiterorganisationen vom 28. November 19191.
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Zu diesen Vorlagen und zu den bisherigen Beschlüssen des Kabinetts s. Dok. Nr. 156, P. 9.
Im Anschluß daran hatte der RArbM am 19. 1. ein Schreiben an den RK und die RM gerichtet, in dem er dringend gebeten hatte, den Kabinettsbeschluß vom 15. 1. noch einmal zu überprüfen. Der RArbM hatte darauf hingewiesen, daß Dtld. nach dem VV verpflichtet sei, die beiden Abkommen den gesetzgebenden Körperschaften zur Ratifizierung zuzuleiten. Würde dies nicht geschehen, so könnten innenpolitisch wie außenpolitisch bedenkliche Folgen eintreten. Der RArbM hatte hier besonders auf die Art. 416–420 VV hingewiesen, die eine Klage beim Internationalen Gerichtshof und etwa zu beschließende Zwangsmaßnahmen vorsahen. Abschließend hatte der RArbM jedoch bemerkt, daß es seiner Meinung nach der RReg. freistehe, nach der Einbringung der Abkommen in die gesetzgebenden Körperschaften diesen die Annahme oder Ablehnung der Abkommen zu empfehlen (R 43 I/2073, Bl. 104–106).
Der Reichsarbeitsminister führte unter Bezugnahme auf seine Darlegungen in der Kabinettssitzung vom 15. Januar aus, daß der Entwurf den gesetzgebenden Körperschaften des Reichs vorgelegt werden müsse, wenn anders wir nicht gegen die Bestimmungen des Friedens von Versailles handeln wollten.
Der Reichsminister des Auswärtigen schloß sich diesen Ausführungen an und war gleichfalls der Auffassung, daß das Kabinett als Träger der Reichsregierung formell verpflichtet sei, die Washingtoner Beschlüsse dem Reichsrat und Reichstag vorzulegen2. Wegen der materiellen Stellungnahme der Reichsregierung sollte im Reichsrat die entsprechende Erklärung abgegeben werden.[425] Das Kabinett beschloß, um der formellen Vorschrift zu genügen, die Vorlage beim Reichsrat einzubringen und eine entsprechende Mitteilung an das Büro des Internationalen Arbeitsamtes zu richten, aus der sich die Erfüllung unserer völkerrechtlichen Verpflichtung ergebe. Der Reichsarbeitsminister wird das Weitere veranlassen3.
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Der RAM hatte sich in der Kabinettssitzung zunächst gegen die Einbringung der Vorlagen beim RR und die Einleitung eines Gesetzgebungsverfahrens ausgesprochen. Siehe dazu Dok. Nr. 156, P. 9.
Mit einem Schreiben vom 19. 1. hatte der RAM dem RK jedoch mitgeteilt, daß er sein Votum ändern müsse. Eine erneute Prüfung der Angelegenheit durch die Rechtsabteilung des AA habe ergeben, daß die Weigerung zur Einleitung eines Gesetzgebungsverfahren als ein Verstoß gegen den VV anzusehen sei, dem nach Art. 416 VV eine Klage beim Internationalen Gerichtshof folgen könne. Der RAM hatte daher den RK gebeten, diese Angelegenheit noch einmal auf die TO einer Kabinettssitzung zu setzen (R 43 I/2073, Bl. 107–108).
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Die Vorlagen wurden am 26.1.1921 dem RR zugeleitet. Siehe dazu die Bemerkungen von RArbM Brauns im RT am 23.2.1921, RT-Bd. 347, S. 2444.