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Nr. 174
Das Bayerische Ministerium des Äußern an den Reichskanzler. München, 11. Februar 19211
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Es war dies die Antwort der Bayer. Reg. auf die Leitsätze, die als Ergebnis der Sitzung vom 5.2.1921 formuliert worden waren und denen das Kabinett am 7. 2. zugestimmt hatte. Siehe dazu Dok. Nr. 171, Anm. 5 und Dok. Nr. 172, P. 1. Das Schreiben war von dem bayer. Gesandten v. Preger am 12. 2. persönlich überbracht worden. Noch im Laufe des 12. 2. übersandte die Rkei das Schreiben auch dem Büro des RPräs. mit der Bitte, es dem RPräs. vorzulegen. Ebert zeichnete das Schreiben noch am gleichen Tage ab (R 43 I/412, Bl. 150).
[Betrifft: Haltung der Bayer. Regierung zur Forderung der Entwaffnung und Auflösung der Einwohnerwehr gemäß der all. Note vom 29.1.1921]
Die Bayerische Staatsregierung hat in der Frage der Entwaffnung und Auflösung der Bayerischen Einwohnerwehren bisher unverrückbar an dem Standpunkte festgehalten, daß
1) die Forderung der Auflösung in dem Friedensvertrag keine Begründung habe und daß demzufolge eine rechtlich begründete Verpflichtung der Deutschen Regierung zur Auflösung der Einwohnerwehren von den Alliierten Mächten nicht in Anspruch genommen werden könne2;
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In ihrer Note vom 29.1.1921 hatten die Alliierten unter Berufung auf die Art. 177/78 VV gefordert, daß die Einwohnerwehren in Dtld. entwaffnet und aufgelöst werden sollten. Entsprechende gesetzliche Bestimmungen sollten bis zum 15. 3. erlassen werden. Die Auflösung selbst sollte bis zum 30. 6. abgeschlossen sein (RT-Drucks. Nr. 1640, Bd. 366, S. 13).
[464] 2) die Entwaffnung der Einwohnerwehren zwar grundsätzlich in Aussicht zu nehmen, ihre Durchführung in dem von den Gegnern vorgeschriebenen Zeitmaß und zu den von ihnen bestimmten Terminen aber nicht möglich sei, da mit Rücksicht auf die bestehenden Bedrohungen der staatlichen Ordnung auf der einen Seite und die Staat und Reich zur Verfügung stehenden ungenügenden Machtmittel auf der anderen Seite der Bevölkerung der gegenwärtige Selbstschutz nicht entrissen werden dürfe und auch gar nicht entrissen werden könne, da sie jedem dahin zielenden Versuch Widerstand entgegensetzen würde.
An diesem Standpunkte hält die Bayerische Staatsregierung auch der Pariser Entwaffnungsnote gegenüber fest. Sie ist der Meinung, daß alles, was über den Friedensvertrag hinausgeht, strikte abgelehnt werden müsse und daß es sachlich und taktisch unrichtig sei, die Entwaffnungsfrage von der Reparationsfrage zu trennen und das Entwaffnungsdiktat schon jetzt in Vollzug zu setzen3. In einem solchen Vorgehen liegt nach ihrer Auffassung eine Preisgabe der in den Einwohnerwehren liegenden ideellen staatserhaltenden Volkskräfte und Strebungen zugunsten der rein materiellen Interessen, was einer Versündigung am Staatsgedanken gleichkommt, deren sich keine Regierung schuldig machen darf. Dieser Gesichtspunkt muß nach der Auffassung der Bayerischen Staatsregierung um so schwerer wiegen, als ihr die Befürchtung nicht unbegründet zu sein scheint, daß dieses Opfer ohne Nutzen für die bevorstehenden Verhandlungen über die Wiedergutmachungsforderungen bleiben wird4.
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Die Entscheidung, die Entwaffnungsbestimmungen der all. Note vom 29.1.1921 anzunehmen, die Reparationsvorschläge dagegen zurückzuweisen, war bereits in den Verhandlungen mit den Staats- und Ministerpräsidenten der Länder am 5.2.1921 getroffen worden. Siehe dazu Dok. Nr. 171.
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Gemeint war die in der all. Note vom 29.1.1921 ausgesprochene Einladung an die RReg. zu einer Reparationskonferenz nach London, die für Ende Februar vorgesehen war.
Für die Wahl dieses Standpunktes war für die Bayerische Staatsregierung weiter auch die Erwägung maßgebend, daß die Forderung der Verbandsmächte einer irrigen Auffassung über Wesen und Ziel der Einwohnerwehren entsprungen sei und daß bei der weittragenden Bedeutung dessen, was auf dem Spiele steht, alle Mittel, diesen Irrtum zu berichtigen, erschöpft werden müßten. Die Bayerische Einwohnerwehr ist eine Selbstschutzorganisation, die keinem anderen Zweck dient, als die Sicherheit der Person und des Eigentums zu gewährleisten und die Ruhe und Ordnung im Staate aufrechtzuerhalten. Der Verdacht, sie sei ein Instrument im Dienste reaktionärer Restaurationsbestrebungen und militaristischer Revanchepolitik, von dem die Verbandsmächte nicht ohne Zutun solcher einheimischen Kreise, die an der Beseitigung der Einwohnerwehren interessiert sind, beherrscht werden, ist durchaus unbegründet. Die Bayerische Staatsregierung hält es nicht für ausgeschlossen, daß die bevorstehende Aussprache über die Wiedergutmachungsforderungen auch noch eine letzte Möglichkeit bieten könnte, diesem Irrtum entgegenzutreten und die aus ihm entsprungenen Forderungen zu mildern. Eine solche Möglichkeit dürfte nicht deutscherseits selbst von vornherein abgeschnitten werden, wie es durch die Absonderung der Entwaffnungsfrage von der Wiedergutmachungsfrage geschieht.
[465] Entgegen dieser Auffassung der Bayerischen Staatsregierung hat die Reichsregierung sich entschlossen, die Entwaffnungsfrage von der Reparationsfrage zu trennen und schon jetzt, ohne das Ergebnis der Londoner Verhandlungen abzuwarten, an die Ausführung des Entwaffnungsdiktates heranzutreten.
Die Bayerische Staatsregierung hält diesen Entschluß für verhängnisvoll. Sie läßt sich dabei von der Rücksicht auf die Interessen des Reichs und unserer nationalen Einheit nicht weniger als von der auf die eigenen Landesinteressen leiten. Die bisherigen Verhandlungen haben leider zu einer Einigung und zur Verhütung eines Schrittes nicht geführt, von dem die Bayerische Staatsregierung schwerwiegende Nachteile nicht weniger für das Reich als für Bayern befürchtet.
Für die Maßnahmen, die die Reichsregierung im Verfolge ihres Standpunktes nunmehr vorkehren zu müssen glaubt, und, wie die Bayerische Staatsregierung voraussetzt, selbst zur Ausführung bringen wird, muß die Bayerische Staatsregierung die volle Verantwortung der Reichsregierung überlassen.
Die Bayerische Staatsregierung hält sich zu dieser Erklärung nach der besonderen Lage der bayerischen Verhältnisse für verpflichtet, unbeschadet der bisherigen Stellung Bayerns zum Reich und unbeschadet des im übrigen unverbrüchlich von ihr festgehaltenen Standpunktes, daß Tragung und Gestaltung des aus dem Versailler Friedensvertrag sich ergebenden Schicksals des deutschen Volkes gemeinsame Sorge aller deutschen Regierungen ist5.
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Beigegeben war dem Schreiben eine nachträgliche Erklärung des Bayer. MinPräs., in der es hieß: „Der Herr Ministerpräsident gibt sich der Hoffnung hin, daß der in der überreichten Note eingenommene Standpunkt der Reichsregierung ihre Stellung den Verbandsmächten gegenüber erleichtern werde. Sie werde es wohl ermöglichen, den Verbandsmächten in London nochmals vorzustellen, daß alles geschehe, was nach Lage der Sache möglich sei, das Entwaffnungsdiktat durchzuführen, daß aber die Bevölkerung selbst den größten Widerstand entgegensetze und daß daher vorläufig eine gewisse Nachsicht notwendig sei.
Eine Veröffentlichung der Note in ihrem Wortlaut beabsichtigt die Bayerische Regierung vorläufig nicht. Dagegen ließ es sich nicht umgehen, bereits gestern abend die in der Note eingenommene Haltung zur Beruhigung der auf das höchste gestiegenen Erregung durch eine kurze Mitteilung in der Presse bekannt zu geben.“
Die Erklärung war in Berlin ausgestellt und auf den 12. 2. datiert; sie war ungezeichnet (R 43 I/412, Bl. 152). Siehe dazu weiter Dok. Nr. 175, P. 5.
Dr. v. Kahr