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3. Deutsch-spanischer Handelsvertrag.
Staatssekretär v. Schubert hielt es im Interesse des Verhältnisses Deutschlands zu Spanien für erforderlich, möglichst umgehend die notwendigen Instruktionen nach Madrid gelangen zu lassen und bat daher, heute zu einer Beschlußfassung zu gelangen10.
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Auf rasche Beschlußfassung in der Weinzollfrage hatte das AA schon mit Schreiben vom 26. 3. gedrängt und daran erinnert, daß das dt.-span. Provisorium (vgl. Dok. Nr. 236, P. 5) am 18. 5. ablaufe. Wolle man das Eintreten eines vertragslosen Zustandes verhindern und der Gefahr eines Zollkrieges vorbeugen, so müsse bis spätestens Ende April ein neuer Vertrag unterzeichnet sein. Der Handelspolitische Ausschuß beim AA habe in seiner Sitzung am 25. 3. gegen den Widerspruch des REMin., das die Weinzollsätze des dt.-ital. Handelsvertrages (s. Anm. 11) als unterste Grenze betrachte, vorgeschlagen, den Spaniern nunmehr folgende Sätze anzubieten: für weißen Tischwein 42,50 RM, für roten Tischwein und Dessertwein 26,50 RM (dz) (R 43 I/1118, Bl. 57 f.). Zum Standpunkt des REM s. dessen Schreiben an die Rkei vom 30. 3. in R 43 I/1118, Bl. 60 f..
[1260] Der Reichswirtschaftsminister äußerte sich wie folgt:
1. | ein Zollkrieg müsse unter allen Umständen vermieden werden; |
2. | es sei noch nicht geklärt, welcher Zustand eintrete, wenn Deutschland an den italienischen Weinzollsätzen11 festhielte. Es empfehle sich daher, einen deutschen Vertreter nochmals zu beauftragen, diese Klärung herbeizuführen; |
3. | die Industrie werde sich damit abfinden, wenn es nur gelänge, einen Zustand herbeizuführen, der der deutschen Industrie zu 75% der Ausfuhr Vergünstigung gewähre12; |
4. | wenn dieser Zustand ohne Heruntergehen unter die italienischen Sätze nicht herbeigeführt werden könne, so müsse ein Unterschreiten der italienischen Sätze in Kauf genommen werden. |
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Im dt.-ital. Handelsvertrag vom 31.10.25 waren für ital. weiße und rote Tischweine sowie für Dessertwein Zollsätze von 32, 45 und 32 RM (dz) vereinbart worden (RGBl. II, S. 1042).
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Gemeint sind 75% einer Anzahl dt. Ausfuhrkontingente im Werte von 74,4 Mio RM (1925), für die spanischerseits bei den letzten Verhandlungen Zugeständnisse in Aussicht gestellt worden waren, falls die dt. Seite in der Weinzollfrage nachgäbe. Die dt. Gesamtausfuhr nach Spanien hatte sich dagegen im Jahre 1925 auf 161 Mio RM belaufen. S. die nicht gezeichnete Ausarbeitung „Zur Ausfuhrfrage“ vom 19.4.26 in R 43 I/1118, Bl. 245-247.
Der Reichskanzler ging zunächst auf das vorgelegte Zahlenmaterial ein und wies auf verschiedene Positionen von besonderem Werte hin13. Den Vorschlag des Reichswirtschaftsministers hielt er für sehr erwägenswert. Allerdings verspreche er sich von dem unter 2. genannten Schritt nur einen Erfolg, wenn damit eine neue autoritative Persönlichkeit beauftragt werde.
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Als Unterlage für die Kabinettsentscheidung hatte das AA am 7. 4. eine umfangreiche Ausarbeitung „Zahlenmaterial zu den deutsch-spanischen Handelsvertragsverhandlungen“ übersandt. Sie war von einem Ausschuß der wirtschaftlichen Spitzenverbände ausgearbeitet worden, der im Anschluß an eine Besprechung in der Rkei mit Vertretern der Wirtschaftsverbände am 30. 3. (Unterlagen hierzu nicht ermittelt) zusammengetreten war (R I/ 1118).
Ministerialdirektor Ritter wies darauf hin, daß die Frage den Spaniern bereits vorgelegt worden sei. Die Spanier hätten es aber abgelehnt, darauf zu antworten, bevor die Deutschen nicht ihre Zugeständnisse in den Weinzöllen bekanntgegeben hätten.
Ministerialdirektor Ernst bat zu berücksichtigen, daß der Handelsvertrag mit Spanien nicht allein unter dem Gesichtspunkt Wein zu betrachten sei. Den Spaniern würden auf landwirtschaftlichem Gebiet sehr große Konzessionen gemacht, und alle diese und außerdem die Meistbegünstigung würden bleiben, wenn der Vertrag zustande käme, aber Deutschland dabei wegen hoher Weinzollsätze nur sehr wenig Industriekonzessionen erhalten.
Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft wies darauf hin, daß es sich gar nicht mehr um ein Festhalten an den italienischen Sätzen handle. Er habe sich bereits mit einem Unterschreiten dieser Sätze für roten Verschnittwein[1261] und Dessertwein einverstanden erklärt14. Er bitte vor allem, die politische Seite der Frage nicht zu unterschätzen. Die Lage im Weinbau sei absolut katastrophal15. Den Zollkrieg müßten wir evtl. mit in Kauf nehmen. Es müsse beachtet werden, daß die Spanien zuzugestehenden Ermäßigungen auch den anderen Ländern wie Italien, Portugal und Frankreich zugute kämen. Dem Vorschlag des Reichswirtschaftsministers stimme er bei und bitte, den Botschafter15a zu beauftragen, nochmals eine Verhandlung über den genannten Punkt nachzusuchen.
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Der REM hierzu mit Schreiben an die Rkei vom 10. 4.: „Es wird außerordentlich schwer sein, dem Weinbau diese weittragenden Konzessionen […] begreiflich zu machen. Trotzdem würde ich für meine Person diesen äußersten Konzessionen zustimmen, wenn dann wenigstens die italienischen Zollsätze für Weiß- und Rotwein unter allen Umständen gehalten würden.“ (R 43 I/1118, Bl. 184 f.).
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Zur Lage des Weinbaus zahlreiche Eingaben der Winzerverbände und statistisches Material in R 43 I/1118.
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Graf Welczeck.
Der Reichswirtschaftsminister erwiderte, daß er in seinem Vorschlag offenbar nicht ganz richtig verstanden worden sei. Er habe nicht an den Botschafter gedacht, sondern daran, daß von hier aus eine autoritative Persönlichkeit nach Spanien gesandt werde, um mit den Spaniern zu verhandeln. Diese Persönlichkeit solle gleichzeitig die Vollmacht erhalten, den Vertrag abzuschließen. Wenn das mit den italienischen Sätzen nicht möglich sei, müsse heruntergegangen werden.
Nach längerer Aussprache über die Zweckmäßigkeit dieses Vorgehens des Reichswirtschaftsministers stellte Staatssekretär v. Schubert zur Erwägung, ob es nicht am zweckmäßigsten sei, wenn der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft selbst diese Mission übernähme. Wenn dieser Schritt diplomatisch hinreichend vorbereitet werde, könne er von Erfolg sein. Eine Persönlichkeit aus der Landwirtschaft werde gegenüber Spanien nicht von genügender Bedeutung sein.
Der Vorschlag des Staatssekretärs v. Schubert wurde zur Kenntnis genommen und allgemein unterstützt.
Der Reichskanzler bat den Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, sich diese Frage zu überlegen und möglichst bald, jedoch nicht unbedingt heute, seinen Entschluß ihm mitzuteilen.
Als Instruktion für den Fall, daß der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft sich entschlösse, selbst nach Madrid zu fahren, wurde beschlossen:
1. | Die Verhandlungen sind unter dem Gesichtspunkt zu führen, daß es nicht zu ihrem Abbruch kommt. |
2. | Dem Verhandlungsleiter wird weiteste Vollmacht für die Führung der Verhandlungen gegeben. |
3. | Die spanische Forderung ist unannehmbar. Als Einzelposition kann die spanische Forderung höchstens bei Weißwein angenommen werden. Bezüglich der anderen Weinsorten geht die weitestgehende Anregung im [1262] Kabinett nicht unter die Sätze von 26,50 Mk. für roten Tischwein und ebenfalls 26,50 Mk. für Dessertwein. Übereinstimmung besteht darüber, daß im Interesse der Erzielung besserer Weinzollsätze ein Handelsvertrag mit Spanien von der deutschen Industrie ertragen werden muß, auch wenn sie Zollvergünstigungen gegenüber der Kolonne 2 des spanischen Tarifs nur für 75% des nach dem bisherigen Stande Erreichbaren bekommt. Demnach ist auf der einen Seite das mindeste, was an industriellen Konzessionen erreicht werden muß, 75% des nach dem bisherigen Verhandlungsergebnis als erreichbar zu Betrachtenden (das waren ca. 74,4 Millionen Mark), auf der anderen Seite sind die äußersten Konzessionen auf dem Gebiete der Weinzollsätze: für Weißwein 40,00 Mk. für roten Tischwein 26,50 Mk. für Dessertwein 26,50 Mk. |
Der Reichswirtschaftsminister bat noch, erforderliche Konzessionen nicht allein aus dem Industriegebiet zu nehmen, sondern zu versuchen, im eigenen Ressort einen Ausgleich zu finden.
Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft sagte dies zu. Er erklärte daraufhin, daß er die Mission annehme. Er wird von zwei Herren, einem Herrn seines Ministeriums und einem Herrn des Reichswirtschaftsministeriums, begleitet werden. Das Auswärtige Amt wird sofort die erforderlichen diplomatischen Schritte einleiten.
Der Beschluß und die Mission des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft sind so lange geheim zu halten, bis Gewißheit darüber besteht, daß die Reise möglich ist16.