Text
Nr. 296
Der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenzen Kardinal Bertram an den Reichskanzler. Breslau, 5. September 1924
[Aufhebung der 3. Steuernotverordnung]
Hochzuverehrender Herr Reichskanzler!
Nachdem jetzt die dritte Steuernotverordnung ein halbes Jahr in Kraft ist1, zeigt sich immer mehr, daß die Befürchtungen, denen ich namens des preußischen Episkopates schon vor ihrem Erlaß in meinem Schreiben an Euere Exzellenz Ausdruck gab2, in vollem Umfange berechtigt waren. Wie groß und[1023] begründet die Klagen all der unzähligen Forderungsberechtigten sind, die unter der Herabminderung ihrer Anrechte schwer und bis zur Bedrohung ihrer Existenzmöglichkeit leiden, ist durch die öffentlichen Kundgebungen allgemein bekannt. Weniger beachtet ist seither, daß das Vermögen der kirchlichen Institute und Anstalten, worauf diese begründet waren und woraus sie ihre Lebenskraft schöpften, jetzt größtenteils vernichtet ist; Stiftungen, die seit Jahrhunderten bestanden und unermeßlichen Segen verbreiteten, sind jetzt völlig verarmt. Das neue Preußische Gesetz vom 10. Juli 1924 (G.S.S. 575) über Änderung von Stiftungen3 gibt ein beredtes Zeugnis von der trostlosen Lage, in die sie durch die 3. Steuernotverordnung gebracht worden sind.
- 1
Die 3. SteuerNotVO war am 14.2.24 erlassen worden (RGBl. I, S. 74).
- 2
Am 1. 2. hatte Kardinal Bertram als Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz an den RK geschrieben: Zeitungsnachrichten zufolge habe das Kabinett bereits dem Entwurf einer 3. SteuerNotVO zugestimmt, „der eine künstliche erhebliche Beschränkung der Aufwertung der Darlehensschulden aus der Zeit vor der Geldentwertung enthalten soll“. Es sei zu befürchten, daß diese Aufwertungsbeschränkung auch einschneidende Wirkungen auf die Dotationsverpflichtungen des Staates gegenüber der Kirche aus der Säkularisation der Klöster und Stifter, den Zirkumskriptionsbullen usw. haben werde. „Eine solche Beeinträchtigung dieser uralten Verpflichtungen des Staates würde auf nichts anderes hinauslaufen als auf eine neue Expropriation der Kirche, auf eine Vollendung der in der Säkularisation am Anfang des vorigen Jahrhunderts gewaltsam vollzogenen Enteignung, indem die der Kirche statt ihres damals eingezogenen Gutes allein noch verbliebenen Rechtsansprüche gegen den Staat auf entsprechende Ersatz-Geldleistungen nun auch noch zum größten Teil vernichtet werden, obgleich sie nach Recht und Billigkeit zeitgemäß aufzuwerten sind.“ Am Schluß seines Schreibens hatte Bertram gegen die Aufwertungsbeschränkung Einspruch erhoben und den RK gebeten, das Inkrafttreten der fraglichen Bestimmungen zu verhindern (R 43 I/2454, Bl. 128). Am 24. 2. hatte der RK geantwortet, daß die Befürchtungen Bertrams nicht begründet seien. Von den Aufwertungsvorschriften der inzwischen veröffentlichten 3. SteuerNotVO blieben diejenigen Dotationslasten unberührt, die dem Staat auf Grund der Säkularisationen, der Konkordate und anderer Rechtsvereinbarungen obliegen (R 43 I/2454, Bl. 144).
- 3
Das „Gesetz über Änderung von Stiftungen“ regelt die Zusammenlegung, Aufhebung oder Änderung von Stiftungen (Pr. Gesetzsammlung 1924, S. 575).
Wie ich schon früher im Namen aller Geschädigten mit der durch den riesengroßen Umfang des Schadens begründeten Offenherzigkeit an Euere Exzellenz mich wenden durfte, darf ich insbesondere noch darauf ergebenst hinweisen, daß gerade das Vermögen der Kirchen, Anstalten und Stiftungen in Hypotheken, Sparguthaben, Reichs- und Staatsanleihen angelegt worden ist. Unter dem Schutze der Rechtsordnung mußten solche Vermögensanlagen für ebenso gesichert wie der Besitz von Sachwerten gelten. Zahlreiche kirchliche Institute bestritten aus dem in dieser Weise angelegten Vermögen ihre gesamten Ausgaben. In vielen Diözesen bildete das aus Hypotheken und Anleihen bestehende Pfründenvermögen der Kirchen den wesentlichen Bestandteil für die Besoldung der Geistlichen. Nun ist es aber selbst für zahllose Kirchengemeinden unmöglich, die durch die Vernichtung ihres Vermögens entstandenen Lücken durch Anspannung der Steuerkraft oder anderer Einnahmequellen auszufüllen. Den übrigen kirchlichen Instituten fehlt vollends jede Möglichkeit, den Ausfall auch nur teilweise zu decken.
So sehr ich auch die Bestrebungen anerkenne, durch Einräumung einer Vorzugsstellung den kirchlichen Instituten zu helfen und ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern, läßt sich doch nicht verkennen, daß das beklagenswerte Los der kirchlichen Institute von einer unübersehbaren Zahl von wirtschaftlich Schwachen, für die mit derselben Wärme einzutreten die kirchliche Obrigkeit als heilige Pflicht betrachtet, geteilt wird, so daß damit nur ein Teil des Schadens behoben würde, der durch die 3. Steuernotverordnung entstanden ist. Inzwischen hat sich aber auch in den weitesten Volkskreisen die Überzeugung gefestigt, daß die 3. Steuernotverordnung nicht aufrechtzuerhalten ist. Zu groß ist die Zahl der Opfer, die diese Verordnung bereits gefordert hat, zu groß die Erschütterung des Vertrauens in die Rechtsordnung, die sie gebracht hat, zu groß der Gegensatz, in dem sie zu den Anforderungen der Moral und der Gerechtigkeit[1024] steht: womit ich selbstverständlich den Intentionen der Urheber derselben und ihrer ehrlichen Überzeugung nicht zu nahe treten will.
Es ist bereits ein Weg, der zur Lösung der Schwierigkeiten führen kann, durch die bekannte Entscheidung des höchsten deutschen Gerichtshofes, die in anerkennenswerter Weise auf den Grundsätzen der Moral und der Gerechtigkeit aufgebaut ist, gewiesen worden4. In dieser Entscheidung haben auch die wirtschaftlichen Gesichtspunkte, die im Hinblick auf die Schuldner und die Allgemeinheit bei der Lösung der Frage zu beachten sind, ihre verständige Berücksichtigung gefunden. Jedenfalls kann, soweit der Episkopat die Lage zu beurteilen vermag, heute nicht mehr anerkannt werden, daß die 3. Steuernotverordnung zur Aufrechterhaltung der deutschen Wirtschaft und ihrer Währung fortbestehen müßte.
Namens der auf den Fuldaer Bischofskonferenzen vereinigten Oberhirten deutscher Diözesen richte ich an Euere Exzellenz die dringende Bitte, baldigst der Aufhebung der 3. Steuernotverordnung näher zu treten und hinsichtlich der erörterten Fragen eine Regelung herbeizuführen, die den Anforderungen der Moral und der Gerechtigkeit mehr entspricht5.
- 5
Darauf antwortet der RK auf Vorschlag der zuständigen Ressorts mit Schreiben vom 24. 10.: „Eure Eminenz haben die Güte gehabt, […] auf die schwere Notlage weiter Kreise des Volkes, insbesondere auch der kirchlichen Institute und Anstalten hinzuweisen. Die Wärme, mit der Eure Eminenz dieser schmerzlichen Folgen des verlorenen Krieges und des Währungsverfalls gedenken, zeugt erneut von dem tiefen Mitgefühl mit der Not der wirtschaftlich Schwachen, die in Eurer Eminenz schon so oft einen auserwählten Fürsprecher gefunden haben. […] Eure Eminenz können überzeugt sein, daß die RReg. Ihre Sorge teilt und daß es ihr heißes Bemühen ist, die Not nach Möglichkeit zu lindern. Mit Mitteln der Gesetzgebung kann dieses Ziel naturgemäß nur unvollkommen erreicht werden. Die Gesetzgebung muß sich, soweit sie an die Vergangenheit anknüpft, darauf beschränken, die Lasten, die der Krieg den einzelnen Volksgenossen auferlegt hat, nach Möglichkeit auszugleichen und unerträgliche Härten zu beseitigen. Darauf, ob nach dieser Richtung das geltende Recht vervollkommnet werden kann, hat die RReg. stets ihr Augenmerk gerichtet; sie hat deshalb auch dem Ausschuß des RT, der sich mit der Aufwertungsfrage beschäftigt, ihre Mitarbeit ausdrücklich zugesagt und bereitwilligst gewidmet. Leider sind die bis zur Auflösung des RT eifrigst fortgesetzten Bemühungen dieses Ausschusses ohne Ergebnis geblieben, ein neuer Beweis auch für die ungemein große Schwierigkeit, eine befriedigende Lösung der gestellten Aufgabe zu finden [vgl. Dok. Nr. 263, P. 3; Nr. 271, P. 4]. Mit Eurer Eminenz stimme ich durchaus darin überein, daß wie bisher auch weiterhin Moral und Gerechtigkeit die leitenden Gesichtspunkte sein müssen; Gerechtigkeit gegenüber dem Gläubiger ebenso wie gegenüber dem Schuldner, aber auch gegenüber dem im Staate zusammengefaßten ganzen Volke, dessen langsam gesundende Wirtschaft im Interesse jedes Einzelnen gerechten Anspruch auf sorgfältige Berücksichtigung ihrer Leistungskraft hat.“ (R 43 I/2454, Bl. 251). Im gleichen Sinne antwortet der RK am 24. 10. auf eine Eingabe des Präs. des Dt. Evangelischen Kirchenausschusses vom 1. 8. betr. Neufassung der Aufwertungsbestimmungen der 3. SteuerNotVO.
Indem ich die Gelegenheit benutze, Euerer Exzellenz von neuem den Ausdruck meiner tiefen Verehrung darzubringen, verbleibe
Euerer Exzellenz
ergebenster
A. Card. Bertram,
Fürstbischof von Breslau.