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[1003] Nr. 229
Aufzeichnung des Staatssekretärs Meissner über eine Besprechung des Reichspräsidenten mit dem Vorsitzenden der Zentrumspartei Kaas am 24. November 1932, 17 Uhr1
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Abgedr. auch in: Goßweiler, Karl Dietrich Brachers „Auflösung der Weimarer Republik“, in: ZfG 6 (1958), S. 553 f.; Ursachen und Folgen, Bd. VIII, Dok. Nr. 1914 a; Hubatsch, Hindenburg und der Staat, Dok. Nr. 100.
R 43 I/1309, S. 527–531 Abschrift2
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Von Meissner am 24. 11. an den RK „zur vertraulichen Kenntnisnahme“ übersandt.
[Kaas soll Möglichkeiten zur Bildung einer parlamentarischen Mehrheitsregierung sondieren]
Der Herr Reichspräsident berichtete dem Herrn Prälaten Kaas über den Verlauf der Besprechung und des Schriftwechsels mit Hitler3. Hitler habe das an ihn gerichtete Ersuchen abgelehnt und verlangt, mit der Bildung einer „Präsidial-Regierung“ betraut zu werden. Er, der Herr Reichspräsident, könne dies nicht verantworten, da er nach der ganzen Einstellung Hitlers und seiner Bewegung befürchten müßte, daß eine solche Regierung sich zwangsläufig zu einer Parteidiktatur mit allen Gefahren eines Bürgerkrieges für das deutsche Volk entwickeln würde. Hitler habe auch dem Reichswehrminister gegenüber jede Art der Mitarbeit mit einer Regierung, die nicht unter seiner Führung stände, entschieden abgelehnt4. Damit sei dieser Versuch der Bildung einer Mehrheit gescheitert. Der Herr Reichspräsident richtete an den Prälaten Kaas die Frage, ob er noch eine Möglichkeit sehe, eine Mehrheit im Reichstag für eine Regierung zu finden.
Darauf las der Unterzeichnete Herrn Prälaten Kaas das letzte Schreiben Hitlers vom 24. November nachmittags vor unter besonderer Betonung der Ziffer 5 dieses Schreibens5.
Prälat Kaas erwiderte: Er bedauere sehr, daß Herr Hitler es abgelehnt habe, mit den anderen Parteien zu verhandeln, und daß man so nicht zum eigentlichen Kern der Dinge, nämlich zu den sachlichen Fragen, vorgedrungen sei. Die ganze Frage eines Mehrheitskabinetts unter Hitlers Führung sei also noch nicht ernsthaft durchexerziert. Wenn man jetzt abbreche, würde der Eindruck in der Öffentlichkeit bestehen, daß man eine solche Lösung tatsächlich gar nicht ernsthaft gewollt habe. Es würde nach seiner Meinung im deutschen Volke sehr schädlich, ja explosiv wirken, wenn man jetzt sofort zurückkehren würde zu dem, was war und wie es war, zu dem alten Kabinett von Papen. Es gehört zwar ein Glaube dazu, der Berge versetzt, zu hoffen, daß sich jetzt noch eine Reichstagsmehrheit zusammenfinden würde, aber es spräche doch vieles dafür, noch einmal einen solchen Versuch zu machen. Er wolle sich die Dinge noch einmal überlegen, ob er persönlich dafür geeignet sei, den Versuch zu machen,[1004] oder nicht ein anderer Herr vom Zentrum. Er wolle bis morgen nachmittag 5 Uhr dem Herrn Reichspräsidenten persönlich seine Antwort überbringen.
Auf eine Frage, welche Persönlichkeit er an seiner Stelle ins Auge fasse, nannte er Dr. Brüning.
Der Unterzeichnete antwortete ihm hierauf, daß Herr Brüning aus verschiedenen Gründen nicht der geeignete Unterhändler sein könne, einmal aus Rücksichten auf den Herrn Reichspräsidenten, dann aber auch, weil seine Berufung zu Kommentaren und Diskussionen in der Öffentlichkeit Anlaß gebe, als strebe Brüning auf diesem Wege wieder nach der Macht.
Prälat Kaas erklärte, diese Bedenken zu verstehen; er wolle die Frage sich auch nach der persönlichen Seite bis morgen überlegen6.
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In diesem Zusammenhang vermerkte StS a. D. Schäffer in seinem Tagebuch unter dem 25. 11., Reiner habe ihm gegenüber am gleichen Tage ausgeführt: „Man muß sehr vorsichtig sein, wenn man dem Reichspräsidenten eine gewisse Form des Vorgehens nahelegt. Die Unterhaltung mit Kaas führte dazu, daß Kaas auf Frage von Hindenburg Brüning vorschlug. Der alte Herr habe darauf gesagt: ‚Ich bin darüber überrascht, daß nach der Ablehnung eines Parteiführers Brüning in Frage käme.‘ Kaas hat das auch eingesehen. Heute wird Kaas Geßler nennen. Der alte Herr wird ihn wohl nicht nehmen, weil er ihn nicht für klug genug hält, ihm keine Nerven und keine Zuverlässigkeit zutraut. Auch andere kommen nicht in Frage. Bracht will nicht, Goerdeler will der alte Herr nicht. Eine Gefahr sieht er in der Wiederbetrauung Papens nicht. Man hat keine anderen Kandidaten. Darum wird der alte Herr morgen Papen ernennen, weil man keinen anderen hat. Hugenbergs Neigungen zu einer Verschärfung werden keinen Erfolg haben. Der alte Herr will sich von Hugenberg lösen.“ (Schäffer-Tagebuch, IfZ ED 93, Bd. 23 a, S. 1005). – Zum Fortgang s. Dok. Nr. 223.
Für die Niederschrift:
Meissner
Staatssekretär