Text
Nr. 297
Der Reichspräsident an den Reichskanzler. 13. Mai 1931
[Kritik an der Durchführung der Osthilfe]
Sehr geehrter Herr Reichskanzler!
Veranlaßt durch eine Reihe von Besprechungen, die ich mit führenden Männern der Landwirtschaft aus den Ostprovinzen hatte, und auf Grund einer längeren Unterhaltung, die ich unlängst mit dem Kommissar für die Osthilfe in Pommern, Herrn von Dewitz, führte, habe ich Herrn von Dewitz beauftragt, mir seine Beobachtungen und Erfahrungen über das bisherige Funktionieren der Osthilfe schriftlich vorzutragen und zugleich Vorschläge für Maßnahmen zur Besserung der bisher vielfach beklagten Mängel des gegenwärtigen Verfahrens zu unterbreiten. In dem anliegenden Bericht kommt Herr von Dewitz diesem Auftrage nach; er legt darin eine Reihe von Mängeln des bisherigen Verfahrens dar und schlägt zugleich mehrere Maßnahmen zur Beseitigung bisher gemachter Fehler vor. Ich habe mit besonderem Interesse von seinem Bericht Kenntnis genommen,[1077] der vieles bestätigt, was mir auch von anderen Seiten wiederholt vorgetragen worden ist; die von ihm gemachten positiven Vorschläge zur Abänderung der bisher geltenden Richtlinien der Osthilfe sind meines Erachtens durchaus beachtlich1. Ich darf Sie bitten, Herr Reichskanzler, neben den anderen großen Aufgaben, die Sie zur Zeit beschäftigen, auch dieser Frage Ihr persönliches Interesse zuzuwenden und zu prüfen, was zweckmäßig geschehen kann, um den Klagen über die Osthilfe Einhalt zu tun und das Vertrauen zu dieser nationalpolitisch wie im Interesse der Landwirtschaft so wichtigen Hilfsaktion wieder zu festigen.
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In seinem 23 Seiten umfassenden Bericht an den RPräs. vom 8.5.31 hatte v. Dewitz darüber Klage geführt, daß die Osthilfe nicht mit der gebotenen Großzügigkeit und Beschleunigung durchgeführt werde: Der Kommissar der Landstelle könne keine endgültige Entscheidungen treffen, in allen wichtigen Fragen sei er an die Weisungen der Zentralstelle gebunden. Insbesondere hatte sich Dewitz über die Beteiligung der Preußenkasse an der Osthilfe beklagt. Als Hauptgläubiger der verschuldeten Betriebe verfolge sie lediglich wirtschaftliche Erwägungen und Tendenzen und lasse nationalpolitische Gesichtspunkte außer acht. Die Landwirtschaft lehne die Politik der Preußenkasse ab. Die von ihr propagierte Aufsiedlung der verschuldeten Güter sei wirtschaftlich unsinnig und bedenklich, wenn man die Bodenständigkeit der pommerschen Bevölkerung erhalten wolle. „Gerade deshalb ist es dringend notwendig, den heutigen Besitzstand soweit als möglich zu erhalten. Dagegen bedeutet eine betriebswirtschaftliche oder theoretische Erwägung, daß der Großgrundbesitz sich überlebt habe, nichts. An dem Großgrundbesitz hängt nicht nur ein Stück preußisch-deutscher Geschichte, ein nicht zu unterschätzendes Verdienst gegenüber Staat und Volk, sondern es hängt, und das widerstreitet am meisten den betriebswirtschaftlichen Erwägungen, an jeder Schuldsumme des Großbesitzers eine Reihe kleiner und kleinster Existenzen. Sie wirtschaflich abtreiben zu lassen, bedeutet eine Verödung des Bezirks, die durch Siedlung nicht wieder wettgemacht werden kann. Aus all diesen Gründen bin ich überzeugt davon, daß die Not des Ostens auch nur von den bodenständigen Elementen überwunden werden kann, die mit den schwierigen Verhältnissen vertraut, unverschuldet in die Not geraten sind, aber auch dank zähem Festhalten am Boden aus ihr wieder heraus wollen. Daß in diesem Zusammenhang grenzpolitische Erwägungen auch unter militärischem Gesichtspunkt eine entscheidende Bedeutung haben, bedarf vom engsten Standpunkt des Grenzschutzes, wie auch dem der Lebensmittelversorgung für ernstere Situationen kaum der Erwähnung.“
Zur Behebung der bestehenden Mängel in der Osthilfe hatte Dewitz vorgeschlagen, dem Landstellenkommissar die endgültigen Entscheidungen anzuvertrauen und seine Zuständigkeit wesentlich zu erweitern, den Dualismus zwischen Reich und Preußen zu beseitigen, um eine einheitliche Willensbildung zu ermöglichen, tragende Firmen und Genossenschaften zu stützen und auf eine Zusammenarbeit aller Ressorts und in Frage kommenden örtlichen Stellen hinzuwirken (Schreiben vom 8.5.31 in R 43 I/1809, Bl. 282–304, Zitat Bl. 300–301). MinR Feßler bemerkte zu den Vorschlägen von Dewitz in seiner Stellungnahme: „Die zum Teil gewiß beachtlichen Vorschläge dürften auf die gegebenen Machtverhältnisse und die Bedenken nicht genügend Rücksicht nehmen, die einer weitgehenden diktatorischen Stellung der Ostkommissare entgegenstehen“ (Vermerk Feßlers vom 21.5.31, R 43 I/1809, Bl. 354–355).
Ich bitte Sie daher, gemeinsam mit dem Herrn Reichsminister Treviranus – gegebenenfalls auch unter Anhörung der Kommissare für die Osthilfe in den anderen Ostprovinzen – den anliegenden Bericht einer eingehenden Prüfung zu unterziehen, und sehe Ihrer Stellungnahme sowie praktischen Vorschlägen zur Änderung des bisherigen Verfahrens entgegen. Für eine beschleunigte Erledigung der dringlichen Angelegenheit wäre ich besonders dankbar2.
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Der RK antwortete dem RPräs. in einem Schreiben vom 15.6.31, in dem er u. a. ausführte: „Ich danke Ihnen, hochverehrter Herr Reichspräsident, dafür, daß Sie der Förderung des Osthilfewerks nach wie vor ein so besonderes Gewicht beilegen und der Reichsregierung dadurch für ihre Arbeit auf diesem, für Deutschlands Zukunft in hohem Grade entscheidenden Gebiet Vorbild und Wegweiser sind.
In diesem Sinne werden die Gedanken Ihres Schreibens vom 13. 5. und die ausführlichen Darlegungen des beigefügten Berichts den Gegenstand ernster Verhandlungen der zuständigen Ministerien bilden“ (Konzept von der Hand Feßlers vom 21.5.31 in R 43 I/1809, Bl. 357–358).
Mit freundlichen Grüßen bin ich
Ihr ergebener
von Hindenburg.