1.196 (bru3p): Nr. 710 Staatssekretär Pünder an den Reichskanzler. 6. April 1932

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Nr. 710
Staatssekretär Pünder an den Reichskanzler. 6. April 1932

Nachl. Pünder Nr. 154, Bl. 41–42 Durchschrift

Betrifft: Verbot der SA; Vorbereitung einer Notverordnung

Hochverehrter Herr Reichskanzler!

Da ich Sie während Ihrer anstrengenden Wahlreise1 wohl kaum in diesen Tagen am Telephon sprechen kann, darf ich mir gestatten, Sie mit meinen Zeilen in einigen wichtigen dienstlichen Dingen kurz zu stören.

1

Der RK befand sich vom 4.–10.4.32 auf Wahlkampfreise für die Stichwahl des RPräs. am 10.4.32 (Nachl. Pünder , Nr. 44, Bl. 59 und Bl. 53).

Gestern vormittag hat bei Exzellenz Groener die Besprechung mit den Innenministern von Preußen, Sachsen, Baden und Hessen und dem Württembergischen Gesandten stattgefunden2. Die Länder vertraten in allgemeiner Übereinstimmung den Standpunkt, daß von Reichswegen auf dem bekannten Gebiet der entscheidende Schlag getan werden müsse3. Unter dieser Voraussetzung erklärte Bayern sich einverstanden, seine kleinere Aktion, über die ich vor einigen Tagen Ihnen fernmündlich berichtete, nicht weiter zu verfolgen4. Als Zeitpunkt wurde von den Ländervertretern übereinstimmend genannt: frühestens der 11. April, spätestens der 23. April5. Exzellenz Groener erklärte sich im Prinzip durchaus einverstanden, mit einem gewissen Vorbehalt wegen des Zeitpunktes. Die Besprechung endete daher in voller Übereinstimmung mit der Inaussichtnahme einer etwaigen Fortsetzung in der nächsten Woche6.

2

Eine Aufzeichnung über den gesamten Verlauf der Besprechung – unter Teilnahme des Bayer. IM – war in den Akten der Rkei nicht zu ermitteln; vgl. aber die Niederschriften bei Schulz, Staat und NSDAP, Dok. Nr. 63, Vogelsang, Reichswehr, Staat und NSDAP, S. 445 ff.; Besson, Württemberg und die deutsche Staatskrise, S. 393 ff.

3

Pünder spielte auf das Verbot der SA an.

4

Vgl. Dok. Nr. 704 und Dok. Nr. 706.

5

Also einen Tag nach der RPräs.-Wahl vom 10.4.32 oder einen Tag vor den LT-Wahlen am 24.4.32.

6

MinR Wienstein fertigte am 5.4.32 nach einer Mitteilung StS Zweigerts über das Ergebnis der Besprechung folgenden Vermerk: „Auf Wunsch des Reichsministers Groener hätten sich die genannten Länder damit einverstanden erklärt, daß bis zum Sonntag, den 10. April, vom Reich nicht der Erlaß derartiger Verordnungen beim Herrn Reichspräsidenten veranlaßt werde. Die betreffenden Länder wollen auch bis dahin nicht von sich aus aufgrund des Artikels 48 der Reichsverfassung derartige Verordnungen ergehen lassen. Sie haben jedoch klar zu verstehen gegeben, daß sie nach dem 10. April unbedingt derartige Verordnungen wünschen und notfalls selbst derartige Verordnungen aufgrund des Artikels 48 erlassen wollten. Unter den genannten Ländern hat eine absolute Einheitsfront bestanden“ (R 43 I /2701  b, Bl. 46).

[2418] Über den Zeitpunkt haben heute bei Exzellenz Groener in beiden Ministerien unter Einschaltung von mir diesbezügliche Besprechungen stattgefunden. Der Vorschlag beider Ressorts, namentlich seitens des Wehrministeriums, geht dahin, die größere Aktion sofort in den allerersten Tagen nach der Reichspräsidentenwahl zu unternehmen. An glatter Durchführung sei in keiner Weise zu zweifeln, vor allem sei der psychologische Zeitpunkt jetzt gekommen. Da Sie, hochverehrter Herr Reichskanzler, ja voraussichtlich nur bis Mittwoch nachmittag in Berlin bleiben können7, müßte das Kabinett sich wohl im Zusammenhange mit den sowieso für diese Tage vorgesehenen Kabinettserörterungen hiermit befassen8.

7

Am 14.4.32 reiste der RK zur Teilnahme an der Genfer Abrüstungskonferenz ab.

8

Vgl. Dok. Nr. 716.

Im übrigen wird ja den wesentlichen Inhalt dieser Kabinettserörterung der sozial- und wirtschaftspolitische Komplex darstellen (notwendige Reformen der verschiedenen Sozialgesetze, Frage des Fortbestands des Arbeitslosenversicherungsgesetzes, Arbeitsbeschaffung, Siedlung, freiwilliger Arbeitsdienst). Es schiene mir jedenfalls dringend erwünscht, wenn wir über diese Dinge jetzt zu einer grundsätzlichen Entscheidung kommen könnten, nicht zuletzt auch schon deshalb, weil Sie ja am Mittwoch vormittag auf dem Gewerkschafts-Kongreß sich zu diesen lebenswichtigen und geradezu schicksalhaften Problemen unserer deutschen Wirtschaft äußern müßten9. Darüber, daß sich nach Ihrem Wunsch das Kabinett voraussichtlich am Dienstag mit diesem Komplex befassen müsse, habe ich bereits vorläufig mit den Herren Ministern Dietrich und Stegerwald gesprochen, die das beide sehr begrüßten. In gleicher Weise werde ich auch vorbereitend mit Herrn Reichsbankpräsidenten Luther sprechen, der gestern vom Urlaub wiedergekommen ist.

9

Vgl. dazu Dok. Nr. 715, Anm. 11.

Wegen des Zeitpunktes der Kabinettssitzung möchte ich noch der Erwägung anheimgeben, ob nicht vielleicht doch am Montag etwa von ½ 5–7 Uhr mit der Erörterung begonnen werden könnte10. Fortsetzung könnte dann für Dienstag 10 Uhr vormittags in Aussicht genommen werden11. An dem Beginn am Montag läge insbesondere dem Reichsarbeitsminister, deswegen, weil wir dann zu Dienstag schon ein gewisses Redeprogramm für die Ministerreden am Mittwoch entwerfen könnten. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir durch Herrn Maus telephonisch oder telegraphisch mitteilen ließen, ob Sie mit dem Beginn der Aussprache am Montag nachmittag einverstanden sind. Wenn es bei Dienstag vormittag bleiben soll, muß es auch so gehen.

10

Vgl. Dok. Nr. 715, P. 2.

11

Die Beratung wurde am Donnerstag, dem 14.4.32, fortgesetzt: siehe Dok. Nr. 720, P. 3.

Wegen der Siedlungsfrage kann ich Ihnen mitteilen, daß die inzwischen geführten Besprechungen mit den Herren Reichsministern Stegerwald und Schlange erfreulicherweise wohl zu einer endgültigen Einigung geführt haben, und zwar dahin, daß die Zuständigkeit beim Reichsarbeitsminister verbleibt. Es hat sich naturgemäß[2419] hier noch mancherlei anderes zugetragen, womit ich Sie aber bis zum Wahlsonntag nicht belästigen möchte.

Zum Schluß liegt mir nur am Herzen, Ihnen die Bewunderung von uns allen über Ihre glänzenden Erfolge bei den bisherigen Hindenburg-Versammlungen auszusprechen und daran unsere besten Wünsche für einen ebensolchen Verlauf der noch folgenden großen Versammlungen anzuknüpfen12.

12

Zu den Wahlreisen des RK siehe Brüning, Memoiren, S. 536–537.

Mit den ehrerbietigsten Grüßen bin ich,

hochverehrter Herr Reichskanzler

Ihr

m. p.

gez. Pünder

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