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Nr. 6
Denkschrift des Reichswirtschaftsministers zur Erfüllung des Londoner Zahlungsplanes. 19. Mai 19211
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Die Gedankengänge dieser Ausarbeitung werden in einer späteren Denkschrift des RWiM vom 27.6.21 „Die Belastung der Sachwerte als Teil des Reparationsprogramms“ weiterentwickelt; (R 43 I/20, Bl. 343-353; abgedruckt in Hirsch, Währungsfrage, S. 58 ff.). Die folgenden Anmerkungen zitieren z. T. aus dieser Denkschrift, die in der Kabinettssitzung vom 29.6.21 diskutiert wird (Dok. Nr. 40). – Des weiteren versucht der RWiM eine Erfassung der Sachwerte über eine Kapitalisierung der Körperschaftssteuer (siehe Dok. Nr. 60 Anm. 3).
R 43 I/20, Bl. 108-117 Durchschrift
Streng geheim!
Zur Erfüllung der wirtschaftlich finanziellen Bedingungen des Entente-Ultimatums:
1. Durch keine Art von Steuern, Abgaben oder sonstige Belastungen ist es[8] bei dem gegenwärtigen Stand der deutschen Volkswirtschaft möglich, allein aus ihren Erträgen die für Reparationszwecke laufend erforderlichen Beträge aufzubringen. Es ist nicht zu vermeiden, daß ein Teil dieser Beträge solange aus der Substanz des deutschen Volksvermögens entnommen wird, bis ein ausreichender Ausfuhrüberschuß erreicht ist, der nur durch rationelle und intensivste Ausnutzung aller Produktionsmittel bei gleichzeitiger Einschränkung des Inlandverbrauches auf den lebensnotwendigen Bedarf herbeigeführt werden kann2.
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Die Denkschrift vom 27.6.21 zur Begründung der Substanzerfassung in Teil B III aus: „Für die ersten Jahre kann aber der normale Ertrag der deutschen Wirtschaft weder das Loch in der Ausfuhr noch das Loch im Etat decken. Die Deckung des Lochs in der Ausfuhr können wir nur vom Ausland erhalten. Das Ausland wird uns mit Anleihen, Privatkrediten oder Markankäufen nur dann helfen, wenn das Reich für die Deckung seiner inneren Ausgaben sorgt. Nur dann ist zu hoffen, daß die Mark im Auslande als beleihungsfähig gilt, wenn nicht immer wieder neue Massen von Mark durch die Notenpresse ohne Gegenleistung zu den vorhandenen hinzu gedruckt werden, sonst reißt die Papierlawine mit der inneren Wirtschaft zugleich die äußere Stellung des Reichs in den Abgrund. Es handelt sich nicht um die Frage: Substanzerfassung oder Belastung des Verbrauchs, sondern lediglich um diese: Substanzerfassung zwecks Verhinderung übermäßigen Kurssturzes, notfalls äußerer Beleihung deutscher Sachwerte oder aussichtsloser Kurssturz aufgrund des äußeren und inneren Defizits der ersten Jahre und unorganisierter Substanzverkauf in größtem Maßstabe.“ (R 43 I/20, Bl. 343-353, hier: Bl. 351).
2. Es ist ein besonderer Reparationsfonds zu bilden, in dem alle Einnahmen des Reiches zusammengefaßt werden, die aufgrund des Ultimatums für die Entente sichergestellt werden müssen oder die den deutschen Interessenten für Sachleistungen und dergl. zu erstatten sind. In diesen Reparationsfonds fließen zunächst die Zölle und Abgaben, die nach dem Ultimatum für die Entente sichergestellt sind3, sowie die neuen, ausdrücklich für die Reparation einzuführenden Steuern und Abgaben, und zwar insbesondere die nachstehenden.
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Nach Artikel VII (a) des Londoner Zahlungsplanes waren die Einnahmen aller deutschen See- und Landzölle und Abgaben und insbesondere die Erträgnisse aller Einfuhr- und Ausfuhrabgaben für die Alliierten sichergestellt (RT-Drucks. Nr. 1979, Bd. 367).
3. Der Eingriff in die Substanz des Volksvermögens erscheint am erträglichsten bei dem Besitz von Sachwerten, der von der Entwertung des Geldes nicht oder nicht in vollem Umfange betroffen worden ist, nämlich
a) | beim ländlichen Grundbesitz, |
b) | beim Hausbesitz und |
c) | bei industriellen und kaufmännischen Unternehmungen aller Art einschließlich der Banken. |
Es wird vorgeschlagen, bei allen drei vorstehenden Kategorien gleichmäßig 20% des Wertes zu Gunsten des Reparationsfonds zu enteignen4. –
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Die in Anmerkung 1 zitierte Denkschrift vom 27.6.21 untersucht (Teil A I), in welchem Maße die Werte der Betriebs- und Grundvermögen in den verschiedenen Wirtschaftszweigen von der allgemeinen Geldentwertung unberührt geblieben sind: bei der Einschätzung sollen die Ertragssteigerung der Werte und die Verkaufspreise, die die Werte jetzt erzielen würden, zugrunde gelegt werden. Bei der Landwirtschaft rechnet der RWiM mit einer Wertsteigerung um ein 5½- bis 6faches, beim Hausbesitz nach einer weiteren Mietsteigerung um 100% auf insgesamt 300% der Friedensmiete mit einer Wertsteigerung um das Doppelte, bei den industriellen Unternehmungen um ein 6faches des Friedenswertes. Diese Wertsteigerungen sollen für die Reparationsleistungen herangezogen werden, und zwar durch eine 20%ige Beteiligung des Reiches beim landwirtschaftlichen Besitz und bei den gewerblichen und kaufmännischen Unternehmungen, beim städtischen Hausbesitz aber durch einen Ertragsanteil von 75% an der vorgesehenen 100%igen Mietsteigerung auf 300% der Friedensmiete.
[9] a) Beim ländlichen Grundbesitz wird hierfür am besten die Form der Eintragung von erststelligen Zwangshypotheken angewendet. Es würden 20% des Friedensgoldwertes bei einem Kursstand der Papiermark von 1 : 15 einem Papiermarkbetrag der Hypothek von 300% des Friedenswertes entsprechen. Um den Eigentümer im Falle des Steigens der Mark vor einer Überlastung zu schützen, behält er das Recht, die Hypothek jederzeit durch Zahlung des Nennbetrages in Papiermark oder 1/15 des Nennbetrages in Goldmark abzulösen.–
b) Für den städtischen Grundbesitz wird die gleiche Form der Eintragung von erststelligen Zwangshypotheken vorgeschlagen. Zu diesem Zweck werden die Mieten über die durch das Reichsmietengesetz festgesetzte Höhe hinaus um weitere 300% der Friedensmiete gesteigert und die Höhe der Zwangshypothek diesem Ertrage entsprechend bemessen. Die Ablösung ist ebenso zulässig wie für den ländlichen Grundbesitz vorgesehen (siehe Ziffer 8).
c) Bei industriellen und kaufmännischen Unternehmungen, wie bei den Banken wäre zweckmäßiger an Stelle einer hypothekarischen Belastung eine Beteiligung in Höhe von 20% des Aktien- oder Anteilkapitals vorzusehen, deren Erträgnisse sich nach der Rentabilität der Unternehmungen richten. – Voraussetzung ist hierzu eine Gesellschaftszwang- oder eine andere geeignete Rechtsform (Kommanditbeteiligung kraft Gesetzes). Bei Kapitalerhöhungen müßte der zu Gunsten des Reparationsfonds enteignete Anteil stets entsprechend mit erhöht werden.–
4. Der laufende Ertrag der enteigneten Kapitalbeträge kann folgendermaßen geschätzt werden:
a) Der Friedenswert des reinen ländlichen Grundbesitzes im gegenwärtigen Deutschland betrug vorläufigen Schätzungen zufolge ca. 40 Milliarden Goldmark. Die Summe der Zwangshypotheken würde daher 120 Milliarden Papiermark und ihr Ertrag bei 4% Verzinsung 4,8 Milliarden Papiermark im Jahre betragen.
b) Die Friedensmiete des gesamten Hausbesitzes im gegenwärtigen Deutschland betrug nach einer Denkschrift des Reichsarbeitsministeriums ca. 4,5 Milliarden Goldmark. Der Ertrag der Zwangshypotheken würde daher ca. 13,5 Milliarden Papiermark im Jahre betragen können.
c) Der Nennwert der Aktiengesellschaften (einschl. offener Reserven), der GmbH’s (einschl. Sacheinlagen), der Genossenschaften, der offenen Handelsgesellschaften und der bergbaulichen Unternehmungen (die in den vorgenannten Unternehmungsformen noch nicht enthalten sind) betrug vor dem Kriege (im Gebiet des gegenwärtigen Deutschland) ca. 30 Milliarden Goldmark, die durchschnittlich 8%, d. h. 2,4 Goldmilliarden Erträgnisse erbrachten. Im Frieden würden daher die enteigneten 20% der Anteile 0,48 Goldmilliarden (= gegenwärtig 7,2 Papiermilliarden) pro Jahr erbracht haben. Bis auf weiteres kann jedoch bei der gegenwärtigen unrationellen Arbeitsweise der Industrie nur mit einem wesentlich niedrigeren Erträgnis gerechnet werden5.
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Die Denkschrift vom 27. 6. nennt eine Ertragsbeteiligung an den gewerblichen und kaufmännischen Unternehmungen von 5,4 Mrd. (a.a.O., A III 3).
[10] d) Insgesamt darf das jährliche Erträgnis der enteigneten Kapitalbeträge, die in den Reparationsfonds fließen, auf höchstens 20–22 Milliarden Papiermark geschätzt werden6.
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Die Denkschrift vom 27. 6. rechnet mit Erträgnissen im Anfang von 12,8 Mrd., zu denen gegebenenfalls später weitere 4,2 Mrd. aus der Landwirtschaft (nach Aufhebung der Zwangswirtschaft) und städtischen Grundbesitz (nach etwaiger Mietsteigerung) kommen. – Das RFMin. hielt den hier unter 3 und 4 vorgeschlagenen Weg nicht für möglich; in der Chefbesprechung vom 23. Mai 1921 ist die Stellungnahme des RFMin. wie folgt im Protokoll aufgezeichnet: „StS Zapf hält den vom RWiMin. vorgeschlagenen Weg einer teilweisen Enteignung des ländlichen und städtischen Grundbesitzes sowie der Industrie und Banken nicht für gangbar. Die vom RWiMin. durch diese Maßnahmen veranschlagten Einnahmen seien seines Erachtens viel zu hoch. Ferner würden sehr erhebliche Verwaltungsschwierigkeiten sich ergeben. Er hält es für richtiger, statt der vorgeschlagenen privatwirtschaftlichen Eingriffe eine planmäßige Steuerpolitik zu treiben. MinDir. Beusch sieht in den Vorschlägen des RWiMin. ein neues Notopferprogramm. Ein solches hätte aber erst nach Durchführung der Währungsreform Zweck. Die Belastung der Ausfuhr mit 26% sei für die Industrie nicht so schwer tragbar wie eine Beteiligung des Reiches an ihr.“ (R 43 I/20, Bl. 100).
5. In gleicher Weise sind speziell für den Reparationsfonds bereit zu stellen diejenigen neuen Steuern und Abgaben, deren Wirkung die allmähliche Einschränkung des Inlandverbrauchs auf den lebensnotwendigen Bedarf und somit in erster Linie eine Belastung des letzten Verbrauchers darstellt. Die Abgabensätze können nur allmählich gesteigert werden, um die Umstellung der betroffenen Produktionsstätten auf Ausfuhrgüter zu ermöglichen. In erster Linie sind hierbei die Verbrauchsgüter vorwiegend ausländischer Herkunft in Betracht zu ziehen, deren Fernhaltung vom Inlandsmarkte durch strikte Handhabung der Einfuhrverbote schwerer durchführbar wäre und eher zu Gegenmaßnahmen der Exportländer Anlaß geben würde, als durch Belastung des Konsums, der auch die inländische gleichartige Produktion treffen würde. – Soweit es der Friedensvertrag zuläßt7, sind für derartige Güter zugleich die Einfuhrzölle zu erhöhen, deren Erträgnisse nach dem Ultimatum in gleicher Weise für Reparationszwecke sichergestellt sind.–
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Artikel 264–267 des Versailler Vertrages.
Der laufende Ertrag dieser indirekten Steuern wird für die erste Zeit auf nicht höher als 2–3 Milliarden Papiermark geschätzt werden können, wird jedoch allmählich erheblich gesteigert werden müssen.
6. Es ergibt sich, daß die unter 3. und 4. genannten Eingriffe in das Kapital sowie die unter 5. genannten Verbrauchsabgaben, ferner die nach dem Ultimatum bereits sichergestellten Zölle und Abgaben für die nächste Zukunft nur etwa die Hälfte der für Reparationszwecke erforderlichen Beträge aufbringen können. Es ist daher unvermeidlich, daß schon zur vollständigen inneren Aufbringung der Mittel in den ersten Jahren fortlaufend Teile der aus dem Kapital entnommenen Werte veräußert werden müssen. Immerhin würde die deutsche Volkswirtschaft eine Übergangszeit von mehreren Jahren zur Verfügung haben, um ihre Leistungsfähigkeit (d. h. ihren Exportüberschuß) nach Möglichkeit auf die erforderliche Höhe zu bringen.
Es ist bereits unter Ziffer 3 a) und b) dargelegt, daß den Eigentümern des ländlichen Grundbesitzes wie des Hausbesitzes ein Ablösungsrecht auf die Zwangshypotheken gewährt werden soll. Es empfiehlt sich ebenso von vornherein[11] gesetzlich festzulegen, daß auch bei den industriellen und kaufmännischen Unternehmungen wie bei den Banken den übrigen Anteilbesitzern ein Vorkaufsrecht auf die zu Gunsten des Reparationsfonds enteigneten Anteile erhalten bleibt. Soweit es nur zur Beschaffung der zur Zahlung an die Entente benötigten Devisen erforderlich ist, derartige Sachwerte unmittelbar an das Ausland zu verkaufen, empfiehlt es sich in erster Linie, hierzu die Hypotheken auf dem ländlichen Grundbesitz und dem Hausbesitz und erst an letzter Stelle die Industriebeteiligungen zu verwenden, um eine Überfremdung dieser Produktionsstätten zu vermeiden, die ihre Leistungsfähigkeit beeinträchtigen könnte.–
7. Der übrige Etat des Reichs muß zum Ausgleich gebracht werden. Aus den bisherigen Einnahmen kommen zunächst die für Reparationszwecke bereitgestellten Zölle und Abgaben in Fortfall, ebenso ein Teil der bisherigen Einkommenssteuer und Kapitalertragssteuern, die durch den Eingriff in das Kapital aufgezehrt werden.
Von seinen Ausgaben werden in Fortfall kommen die bisher für Reparationszwecke in ihm vorgesehenen Ansätze, die aus dem getrennt behandelten Reparationsfonds gedeckt werden. – Ferner empfiehlt es sich, die Reichszuschüsse zur Verbilligung der Lebensmittel beschleunigt abzubauen und ebenso die Zuschüsse zu den Verkehrsverwaltungen (Post und Eisenbahn) in Fortfall kommen [zu] lassen. Die Eisenbahnen dieser Verkehrsanstalten müssen durch Steigerung ihrer Einnahmen auch bei einer etwa fortschreitenden Geldentwertung ihren Ausgaben gerecht werden. – Auch wird es möglich sein, die öffentlichen Zuschüsse zur Belebung des Baumarktes allmählich abzubauen. Die vorgesehene erhebliche Steigerung der Mieten wird trotz ihrer sozialen Bedenken eine Einschränkung des Wohnraumbedarfs zur Folge haben. Ebenso wird die Annäherung des Mietsertragswertes an die Reproduktionskosten der Wohnhäuser die private Bautätigkeit auch ohne oder mit nur geringeren Baukostenzuschüssen anregen.
Dagegen muß berücksichtigt werden, daß für den Reichsetat erheblich höhere Ausgaben, insbesondere in den Übergangsjahren dadurch zu erwarten sind, daß durch den Fortfall der Lebensmittelzuschüsse, der Verkehrsverbilligung und durch die Steigerung der Mieten eine Vermehrung der Ausgaben für Löhne, Gehälter und Pensionen (soweit sie nicht durch die Etats der Verkehrsanstalten zu decken sind) unvermeidlich ist, und ferner, daß durch die neuen direkten und indirekten Belastungen von Industrie und Handel und durch die allmähliche Umstellung der Industrien auf Ausfuhrgüter eine zeitweilige Steigerung der Arbeitslosigkeit zu befürchten ist, die dem Reiche, besonders in den ersten Jahren, erhebliche finanzielle Belastungen auferlegt.
8. Durch die vorgesehenen neuen Belastungen des wirtschaftlichen Lebens sowie den Fortfall der Verbilligung der Lebensmittel, der Mieten und des Verkehrs ist eine allgemeine Preissteigerung zu erwarten. Die beteiligten Kreise werden die Abwälzung der Belastung auf den Konsum herbeizuführen suchen. Die Grenze dieser Abwälzungsmöglichkeit liegt in den Weltmarktpreisen, die jedoch bei einem Teil der landwirtschaftlichen Produkte bereits gegenwärtig erreicht sind. Die notwendige Folge ist eine allgemeine Steigerung des Lohnes. Zur Vermeidung von wirtschaftlichen und sozialen Erschütterungen empfiehlt[12] es sich, die vorgeschlagenen Maßnahmen nicht mit einem Schlage, sondern in allmählichen Stufen zur Anwendung zu bringen und gleichzeitig auf gesetzgeberischem Wege die Steigerung der Löhne, Gehälter und Pensionen in ungefährem Ausgleich mit den gesteigerten Kosten der Lebenshaltung zu bringen. Immerhin muß bei einer etwaigen fortschreitenden Geldentwertung vorgesehen werden, daß der Abbau der Verbilligung der Lebensmittel, der Mieten und des Verkehrs in einem derartigen Tempo erfolgt, daß der gegenwärtige Unterschied zu den tatsächlichen Kosten nicht noch weiter gesteigert wird.
Bei der Bekämpfung der entstehenden Arbeitslosigkeit empfiehlt es sich in erster Linie, durch solche öffentlichen Aufträge ihrer Herr zu werden, welche für die Zukunft eine Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erwarten lassen. Der Ausbau der Produktionsstätten für Rohstoffe, wie Kohle, Stickstoff und dergl., der Wasserkräfte, Kanäle und dergl. steht hier an erster Stelle.
9. Das Endziel, das in den Übergangsjahren erreicht werden muß, bleibt die Herbeiführung der rationellsten und intensivsten Ausnutzung aller Produktionsmittel und insbesondere ihre Umstellung auf den Export. Nur durch die Ausfuhr können die ausländischen Zahlungsmittel auf die Dauer beschafft werden, in denen die Zahlungen an die Entente zu leisten sind. Der Industrie ist für ihre Umstellung auf Ausfuhrgüter Kredithilfe seitens des Reiches zu geben. Die gegenwärtige sogenannte soziale Ausfuhrabgabe8, die nach dem Ultimatum für die Entente sichergestellt ist, stellt im allgemeinen keine wesentliche Belastung des Exports dar. Immerhin ist zu prüfen, ob sie nicht gänzlich abgeschafft und gegebenenfalls durch Umsatzsteuer abgelöst werden kann. Im übrigen aber ist der Export möglichst von allen inneren Lasten zu befreien, um einen erhöhten Anreiz für die Ausfuhrtätigkeit zu geben. Insbesondere muß vermieden werden, daß neben den hohen in vorstehendem Programm vorgesehenen sonstigen Lasten die Rohstoffe weiterhin verteuert werden. Sollten dem Gedanken der Einführung von Steuersyndikaten nähergetreten werden, so empfiehlt es sich, darauf zu achten, daß durch sie im allgemeinen Verteuerungen der Rohstoffe nicht eintreten, sondern nur ein Ausgleich der Differenzialrenten der verschiedenen Betriebe, ohne daß jedoch eine künstliche Aufrechterhaltung dauernd unrationeller Betriebe hierdurch herbeigeführt wird.
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Nach § 6 der „VO über die Außenhandelskontrolle vom 20.12.1919“ wurde bei der Ausfuhrbewilligung eine Abgabe zugunsten der Reichskasse und zur Förderung sozialer Aufgaben erhoben (RGBl. 1919 II, S. 2128); weitere Bestimmungen dazu in „Ausführungsbestimmungen zu der VO vom 20.12.1919 über die Außenhandelskontrolle“ § 9 (RGBl. 1920, S. 502) und in der „Bekanntmachung … betr. Inkrafttreten der Ausführungsbestimmungen vom 8.4.1920“ (RGBl. 1920, S. 680); Verfügungen des RFMin. und des RWiMin. sind zusammengestellt in: „Amtliches Handbuch der Außenhandelskontrolle“, bearb. im RKommissariat f. Ein- und Ausfuhrbewilligung Berlin 1922. Diese Regelung hat im RT zu einer Reihe von Petitionen geführt, die in einem Bericht des Ausschusses für Volkswirtschaft z. T. behandelt sind (RT-Drucks. Nr. 1150, Bd. 365).
Es ist durch Verhandlungen mit der Entente zu versuchen, einen gleichwertigen abgeänderten Index für die beweglichen Zahlungen zu erreichen, um durch die gegenwärtige 26%ige Ausfuhrabgabe den Veredelungsverkehr, der in dem kapitalschwachen Deutschland für die Zukunft eine besondere Rolle spielen wird, nicht unmöglich zu machen. Die Einfuhr von Halbfabrikaten und Fertigerzeugnissen[13] ist soweit zu beschränken, als die inländische Erzeugung den Bedarf zu decken vermag. Insbesondere sind Luxusartikel weiterhin fernzuhalten. Daß es aus außenpolitischen Gründen vorteilhafter ist, diese Beschränkungen mehr durch Zölle und innere Abgaben zu erreichen, ist bereits vorstehend (unter 5) dargelegt. Die Handelsbeschränkungen nach dem Osten sind abzuwarten, damit insbesondere die benötigten landwirtschaftlichen Produkte auch aus den valutaschwachen Ländern beschafft werden können.
Die gegenwärtig in vielen Industrien notwendige Kurzarbeit darf nur als vorübergehendes Hilfsmittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit angewendet werden. Sie ist, soweit möglich (wie bereits unter 8 dargelegt), durch Erteilung öffentlicher Aufträge abzubauen. Nur durch volle Beschäftigung der leistungsfähigen Produktionsstätten kann die Wirtschaftlichkeit der deutschen Erzeugung gehoben werden. Im gleichen Sinne wird die trotz ihrer vorübergehend auf die Absatzmöglichkeiten im Ausland nachteilig wirkende Beseitigung der Verbilligung der Lebensmittel, Mieten und Verkehrsmittel allmählich zur Förderung der leistungsfähigen Betriebe auf Kosten der konkurrenzunfähig gewordenen führen. Durch die seit Kriegsende durch die Verbilligungsaktion begründete indirekte Subventionierung der Industrie ist zweifellos die bisher erzielte Neuentwicklung des deutschen Exports ermöglicht worden. Dennoch ist es notwendig, auch hierin einen allmählichen Abbau herbeizuführen, da durch die gegenwärtige Methode ein fortgesetzter indirekter Ausverkauf deutscher Vermögenswerte herbeigeführt wird.
Zur Intensivierung der deutschen Industrie erscheint es vorteilhaft, eine Hebung der Konsumkraft durch ihre Umstellung auf jedweden Massenkonsum zu befördern. Ein zweckentsprechender Umbau der Umsatzsteuer erscheint hierzu als ein geeignetes Mittel.
gez. Schmidt