2.35 (cun1p): Nr. 35 Der Sächsische Ministerpräsident an den Reichskanzler. Dresden, 4. Januar 1923

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Das Kabinett Cuno Wilhelm Cuno Bild 183-1982-0092-007Französischer Posten Bild 183-R43432Posten an der Grenze des besetzten Gebietes Bild 102-09903Käuferschlange vor Lebensmittelgeschäft Bild 146-1971-109-42

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[117] Nr. 35
Der Sächsische Ministerpräsident an den Reichskanzler. Dresden, 4. Januar 1923

R 43 I /2708 , Bl. 53-55

[Betrifft: Selbstschutzorganisationen und illegale Waffenlager]

Geheim!

Die sächsische Staatsregierung hat seit Oktober 1921 durch Herrn Minister Lipinski und 1922 auch unter Mitwirkung des Herrn Justizministers Dr. Zeigner die Herren Reichspräsidenten Ebert, Reichskanzler Wirth, Reichsinnenminister Dr. Köster und Reichsjustizminister Dr. Radbruch wiederholt auf die zweideutige Haltung des Reichswehrministeriums und des Auswärtigen Amtes in bezug auf die Selbstschutzorganisationen und des Versteckens von Waffen hingewiesen und dringend um Abstellung gebeten1. Nach dem Rathenaumord ist auch in einer besonderen Note gegen die innenpolitische Tätigkeit der Reichswehr Stellung genommen worden, auf die heute noch die Rückäußerung der Reichsregierung fehlt. Die Absendung der Note geschah, weil außenpolitisch das Mißtrauen der Entente gegen die Reichsregierung immer wieder neu genährt und innenpolitisch die Autorität der Landesregierungen erschüttert wird. Auf Veranlassung des Herrn Reichspräsidenten fand im November 1921 im Beisein des Herrn Ministers Lipinski eine Chefbesprechung in Berlin und kurz vor dem Regierungswechsel eine Aussprache mit dem Herrn Reichspräsidenten in dieser Angelegenheit statt. Durch den Regierungswechsel scheint die Erledigung der Fragen ins Stocken geraten zu sein, denn die sächsische Staatsregierung ist über das Resultat der Unterredung bisher ohne Nachricht geblieben. Die sächsische Staatsregierung erhebt deshalb erneut ihre schweren Bedenken gegen die bisher in dieser Beziehung von den beiden Reichsstellen betriebene[118] Politik und bittet dringend um schnellste Abhilfe. Zur Begründung dieses Verlangens sei auf folgendes hingewiesen:

1

Zur Kritik Sachsens an der Reichswehr unter Wirth s. den Band ‚Das Kabinett Wirth‘ der Edition ‚Akten der Reichskanzlei‘.

Im Frühjahr 1921 stellte die Regierung Fehrenbach im Einverständnis mit dem Entente-General den Selbstschutz für Oberschlesien auf und warb um Freiwillige hierfür. Der Kommandeur des 4. Wehrkreises der Reichswehr, General v. Stolzmann, stellte damals, zweifellos im Einverständnis mit der Reichsregierung, an die sächsische Staatsregierung das Verlangen, Werbungen für den Grenzschutz vorzunehmen und hierfür Einzeichnungslisten auszulegen. Das sächsische Gesamtministerium lehnte dies Verlangen ab, erklärte sich aber bereit, die sächsische Landespolizei zur Verstärkung des Grenzschutzes innerhalb Sachsens zur Verfügung zu stellen. Damit war für die sächsische Landesregierung die Angelegenheit erledigt.

Ohne die sächsische Regierung zu verständigen, trat der preußische Staatskommissar Weismann im Auftrage des preußischen Innenministers Dominicus und des Auswärtigen Amts des Reichs mit der Organisation Escherich und den verschiedenen Arbeitsgemeinschaften wie Rossbach usw. in Verbindung und ersuchte diese Organisationen, Freiwillige für Oberschlesien zu stellen. Zu diesen Organisationen gesellten sich noch die Organisationen Oberland, Organisation Consul usw. Da aber diese Organisationen über das ganze Reich, also auch in Sachsen, verbreitet waren, so war die Wirkung die, daß gegen den Willen der sächsischen Regierung und ohne ihre Kenntnis die preußische Regierung, im weiteren Sinne die Reichsregierung, mit sächsischen Spitzen dieser Organisationen in Verbindung trat und in Sachsen Werbungen und Waffentransporte für Oberschlesien vorgenommen wurden, die eine starke Erregung in der sächsischen Arbeiterbevölkerung hervorriefen und zu Gegenmaßnahmen der sächsischen Regierung führen mußten. Alle behördlichen Maßnahmen scheiterten strafrechtlich, weil die Leiter der Organisationen erklärten, daß sie im guten Glauben gehandelt, weil sie direkt von Reichsstellen Anweisungen erhalten hätten. So z. B. der Leiter der sächsischen Organisation Escherich, Reichsgerichtsanwalt Dr. Wildhagen. Hierdurch entstanden schwere Angriffe gegen die sächsische Staatsregierung im sächsischen Landtage und im Reichstage, die vermieden worden wären, wenn Reichsstellen und preußische Dienststellen von ihrem Vorgehen der sächsischen Regierung Kenntnis gegeben hätten. Ein unhaltbarer und unerträglicher Zustand, der erst durch die Chefbesprechung im November 1921, also zu einer Zeit, als der Selbstschutz für Oberschlesien längst erledigt war, geklärt wurde.

Der Selbstschutz in Oberschlesien wurde mit den Waffen ausgerüstet, die der Entwaffnungskommissar des Reichs durch die Länder von den Einwohnerwehren und der Bevölkerung hatte einziehen lassen. Als der Selbstschutz aufgelöst wurde, wurden vielfach die Mitglieder des Selbstschutzes mit den Waffen nach der Heimat beurlaubt. Dadurch wurden die mühsam zusammengetragenen Waffen wieder auf das ganze Reich verstreut und neue Beunruhigung unter die Bevölkerung getragen. Der Entente-Kommission wurden aber alte Waffen aus dem schlesischen Sammellager ausgehändigt. Die nicht einzeln fortgeführten Waffen wurden außerhalb des schlesischen Abstimmungsgebietes verborgen.

Nach dem Verbot des Selbstschutzes wurde der Selbstschutz vom Auswärtigen[119] Amte noch weiter erhalten und bis August vorigen Jahres, zuletzt vom Reichsministerium des Innern, besoldet.

Die Reichsregierung verbot die Organisation Escherich; als aber aus ihr die Organisation Brüder von Stein erstand und auch gegen diese in Sachsen polizeilich und strafrechtlich vorgegangen wurde, traten wieder die Leiter dieser Organisation mit der Behauptung auf, daß die Fortsetzung der Escherich-Organisation unter anderem Namen im Einverständnis mit der Reichsregierung geschehe. Bei der Aussprache mit Reichsstellen wurde dies bestätigt. Auch von diesem Vorgehen der Reichsregierung war die sächsische Regierung nicht in Kenntnis gesetzt worden und wurde hierdurch schwereren Angriffen ausgesetzt. Das Ansehen der sächsischen Regierung und der Justiz wurde schwer geschädigt; in der Bevölkerung wurde der Glaube erweckt, daß konterrevolutionäre Organisationen vom Reich begünstigt und aufgezogen würden.

Diese Vermutung fand eine Stütze darin, daß dem Kapitänleutnant a. D. von Killinger, während er wegen Verdachts der Teilnahme an der Ermordung des Reichsministers Erzberger in Haft saß, im Oktober 1921 von der Oberschlesischen Bank auf sein Münchener Bankkonto für die Organisation C 300 000 M überwiesen wurden. Auf Rückfrage der sächsischen Regierung in Berlin wurde amtlich mitgeteilt, daß dies in Ordnung gehe, denn die Reichsregierung habe die Vorbereitung für einen neuen Selbstschutz in die Wege geleitet und hierfür seien die Gelder bestimmt. Dieselbe Organisation Consul, die strafrechtlich verfolgt wird, erhält Subsidien und wird als Stütze für den neuen Selbstschutz benutzt. Ein Widerspruch, der politisch nicht vertretbar ist und der der demokratischen Staatsidee schweren Schaden zufügen muß.

Das Reichswehrministerium fördert aber die zweideutige Politik. Bei zahllosen Waffen- und Materialfunden in Sachsen und den anderen Ländern, so im Sommer 1922 in der Provinz Sachsen und kürzlich in Sachsen, ist das Reichswehrkommando des IV. Wehrkreises mit der Behauptung hervorgetreten, die gefundenen Waffen, die Munition und das Material seien Eigentum der Reichswehr und von ihr verborgen worden. Das Reichsjustizministerium hat die Landesregierungen ersucht, daß Waffenbeschlagnahmen unterbleiben möchten, wenn sie nicht der Reichsanwalt anordnet. So wurde im Dezember 1922 die Fortsetzung der vom sächsischen Ministerium angeordneten polizeilichen Haussuchungen nach von ehemaligen Zeitfreiwilligen verborgenen Waffen vom Reichsanwalt untersagt, ehe nicht die Zustimmung des Reichswehrministers eingeholt sei. Eine von der allein zuständigen Landesbehörde angeordnete polizeiliche Maßnahme wurde unterbunden und damit in die Hoheitsrechte der Landesregierung in unzulässiger Weise eingegriffen. Dabei sei festgestellt, daß der sächsischen Staatsregierung in keinem einzigen Falle von der Reichswehr oder dem Reichswehrministerium mitgeteilt worden ist, daß Waffen usw. in Sachsen verborgen seien. Verbirgt die Reichswehr Waffen ohne Vorwissen der Landesregierung, dann steigert sie damit die Unruhe im Lande und untergräbt das Rechtsbewußtsein im Volke. Nach dem Schutzgesetz für die Republik wird nur der bestraft, der Waffen ohne Wissen der Behörde verbirgt. Hat aber die Reichswehr die Waffen verborgen, so müssen die Strafprozesse wegen Verbergens von Waffen eingestellt werden und in der Bevölkerung, die den Grund[120] der Einstellung nicht erfährt, wird der Glaube erweckt, daß dies den Feinden der Republik zugute kommt und diese sich alles straflos erlauben können. Die sächsische Staatsregierung erhebt schärfsten Protest gegen solche Eingriffe in die Hoheitsrechte des Landes.

Die Ermittlungen in mehreren strafrechtlichen und polizeilichen Untersuchungen ergaben, daß das Reichswehrministerium sich zum Verbergen von Material, Munition und Waffen geheimer Organisationen bedient und daß ausgehobene Waffenlager immer wieder von geheimen Kräften ergänzt und an anderen Stellen verborgen werden. Durch diese Methode wird bei jeden Waffenfunden immer wieder neue Beunruhigung in die Bevölkerung getragen. Welcher Geheimorganisationen sich das Reichswehrministerium bedient, kann nur vermutet werden. Der Fall Killinger läßt den geradezu ungeheuerlichen Schluß zu, daß dies die Organisation C sein kann. Auch die Rano kommt in Betracht. Gegen die Rano (Reichsorganisation für persönliche Berufsvermittlung von Reichswehrangehörigen) besteht dringender Verdacht, daß sie die Fortsetzung der beseitigten Bezirkskommandos ist. Sie besitzt alle Beurteilungen und sonstigen Unterlagen für alle ausgeschiedenen Offiziere und Mannschaften des neuen und alten Heeres und führt in der Berliner Hauptstelle Stammkarten und Akten über jede einzelne Person. Unterhält das Reichswehrministerium mit geheimen Organisationen Verbindungen, so werden alle Maßnahmen der Polizei und Justiz aufgrund des Gesetzes zum Schutze der Republik hinfällig, denn dann kann jede Geheimorganisation für sich in Anspruch nehmen, vom Reichswehrministerium geduldet zu sein, und die Behörden werden unsicher.

Der Herr Reichswehrminister lebt in der Befürchtung eines Einbruches der Dänen und Polen in Deutschland und rechtfertigt damit die Anlegung von Waffenlägern. Festgestellt ist, daß solche Waffenlager in Ober- und Niederschlesien und in der Provinz Sachsen, also längs der sächsischen Landesgrenze, angelegt worden sind und unbestritten ist, daß in Bayern erhebliche Waffenlager verborgen sind. In diesem Winter steigt die Zahl der Erwerbslosen, und die Lebensmittel werden knapp. Dann steigt die Not und Verzweiflung, und der Boden für gewissenlose Putschisten ist gelockert, die Verbitterung des Volkes wird zur Leidenschaft aufgepeitscht werden, und es kommt zu Unruhen und Putschen.Fallen den Unruhestiftern die verborgenen Waffen in die Hände, dann ist der Bürgerkrieg und das Blutbad da und zu den außenpolitischen Schwierigkeiten kommen die inneren schweren Kämpfe um die Staatsform. Diese Katastrophe muß vermieden werden. Deshalb fordert die sächsische Staatsregierung, daß schnellstens mit dieser Politik gebrochen wird, daß die verborgenen Waffen ausgehoben und eingeschrottet werden, mindestens aber, daß die Waffenlager den Landesregierungen mitgeteilt und unter ihre Kontrolle gestellt werden, daß das Reichswehrministerium und seine Dienststellen die Verbindung mit Geheimorganisationen endgültig aufgibt und daß die Hoheitsrechte des Landes auch von Reichsstellen und den anderen Ländern respektiert werden.

Wird von der Reichsregierung nicht schleunigst Abhilfe geschaffen, so wird das Ministerium des Innern nach dem Vorgehen des preuß. Innenministers[121] alle beschlagnahmten Waffen nicht der Reichswehr abliefern, sondern sie der Treuhandgesellschaft des Reichs zum Einschrotten zuführen.

Die sächsische Staatsregierung erwartet, daß ihr die Stellung der Reichsregierung unverzüglich mitgeteilt wird2.

2

Über die weitere Behandlung der Angelegenheit gibt eine Reihe handschriftlicher Vermerke Auskunft. Am 15. 1. vermerkt Wever: „Der Herr StS hat heute nachm. im RT mit Herrn M Gradnauer gesprochen und angeregt, die Erledigung der Frage aus der amtlichen Korrespondenz z. Zt. auszuscheiden und zunächst mit dem RWeM Dr. Geßler und mit dem RAM bzw. StS v. Maltzan zu besprechen. Die Antwort soll dann an Dr. Gradnauer nach Benehmen mit StS Hamm erfolgen.“ Lt. Vermerk vom 20. 1. ist das Schreiben Bucks abschriftlich dem RWeM zugestellt worden, der sich mit Gradnauer in Verbindung setzen wird. Am 5. 2. mahnt Gradnauer im Auftrage seiner Regierung die Beantwortung des Schreibens an. In der Folgezeit finden sich lediglich Wiedervorlagevermerke, ohne daß ein Antwortentwurf des RWeM eingeht. Schließlich vermerkt Wever am 24. 7.: „Die Angelegenheit ist mündlich zwischen den Herren Geßler und Zeigner erledigt.“ (R 43 I /2708 , Bl. 56, 57, 68, 71). Lt. Denkschrift Geßlers über die Beziehungen zwischen der Reichswehr und Sachsen unter Zeigner waren beide am 31.5.23 bei ihrer Zusammenkunft in Dresden übereingekommen: „Sämtliche Beschwerden von beiden Seiten, die vor dieser Zusammenkunft liegen, gelten als erledigt.“ (Denkschrift Geßlers vom 22.8.23 in R 43 I /2308 , Bl. 216-222.)

Buck

Ministerpräsident.

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