1.78.1 (lut2p): 1. Erwerbslosenfürsorge [Beamtenbesoldung].

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RTF

1. Erwerbslosenfürsorge [Beamtenbesoldung].

Ministerialrat Weigert berichtete eingehend über die Frage der Erwerbslosenfürsorge1.

1

Materialien des RArbMin. zur Finanzierung der Erwerbslosenfürsorge nicht in den Akten der Rkei. Zur Behandlung im Sozialausschuß des RT vgl. die Mitteilungen des RArbM in der Chefbesprechung am 7. 12. (Dok. Nr. 245).

[988] Staatssekretär Fischer trug den Inhalt des für die Sitzung des Haushaltsausschusses des Reichstags am 9. Dezember zusammengetragenen Materials über die Finanzlage vor2.

2

Diesem Kabinettsprotokoll ist eine 33seitige Materialzusammenstellung des RFMin. (kein Tagesdatum, nur: „Anfang Dezember 1925“) beigefügt. Sie enthält einen kurzen Überblick über die Bilanzierung der Haushalte 1925 und 1926, eine Berechnung der Kosten verschiedener Anträge der Reichstagsfraktionen zur Beamtenbesoldung (vgl. Anm. 3) und einige tabellarische Übersichten über die an Beamte und Arbeiter in den unteren Gehaltsgruppen gezahlten Bezüge. Die Finanzierung der Erwerbslosenfürsorge ist in der Zusammenstellung nicht behandelt. – Zur Bilanzierung der Haushalte wird u. a. ausgeführt: Das Rechnungsjahr 1924 habe mit einem Reinüberschuß von 496,4 Mio RM abgeschlossen. Davon seien eingestellt: „150 Mill. RM zur Bezahlung der einmaligen Aufwertungsansprüche [vgl. § 47 des Anleihenaufwertungsgesetzes vom 16.7.25, RGBl. I, S. 137 ] in den Etat 1925, 220 Mill. RM zum Ausgleich des Haushalts für 1926 als Ersatz für den Nichtverkauf von Vorzugsaktien der Reichsbahn [vgl. § 3 des Reichsbahngesetzes vom 30.8.24, RGBl. II, S. 272 ] in den Etat 1926; 60 Mill. RM sind als Sonderrücklage vorgesehen; der Rest von 66,4 Mill. RM ist zum Ausgleich des Fehlbetrages für 1925 erforderlich.“ Nichtsdestoweniger werde der Etat 1925 in seiner endgültigen Gestaltung (Einnahmen 7686, Ausgaben 7796 Mio RM) einen Fehlbetrag von 110 Mio RM aufweisen. Da weitere Einnahmen für 1925 nicht zur Verfügung ständen, könne dieser Fehlbetrag nur durch Einschränkungen auf der Ausgabenseite ausgeglichen werden.

Da zwischen den vom Reichsarbeitsministerium und Reichsfinanzministerium vorgebrachten Ziffern, betreffend Erwerbslosenfürsorge, eine Differenz bestand, die nicht ohne weiteres geklärt werden konnte, verließen die Ministerialräte Weigert und Staudinger sowie der Regierungsrat Kretschmann im Auftrage des Kabinetts den Sitzungssaal, um gemeinsam mit den Herren des Preußischen Wohlfahrtsministeriums die Angelegenheit zu klären.

Nachdem die Referenten sämtlich den Sitzungssaal verlassen hatten, berichtete Staatssekretär Fischer über die Frage der Beamtenbesoldung3. Im einzelnen wird auf die Anlage Bezug genommen4.

3

Dem RT liegen gegenwärtig folgende Anträge zur Beamtenbesoldung vor: 1) Antrag der KPD vom 19. 11.: Gewährung einer einmaligen Wirtschaftsbeihilfe von 300 RM an Beamte des Reichs, der Länder und Gemeinden in den Besoldungsgruppen I–VI. 2) Antrag der KPD vom 19. 11.: Erhöhung des Zuschlags zum Grundgehalt der Besoldungsgruppen I–VI von 12½ auf 30%, der Besoldungsgruppe VII von 10 auf 30% und gleiche Erhöhung für Angestellte, Warte- und Ruhegehaltsempfänger, Reichs- und Staatsarbeiter. 3) Antrag der SPD vom 19. 11.: Erhöhung des Zuschlags der Besoldungsgruppen I–VI von 12½ auf 30%, der Besoldungsgruppen VII–IX von 10 auf 20% (RT-Drucks. Nr. 1491 , 1492 und 1495, Bd. 405).

4

Gemeint ist die in der Materialzusammenstellung des RFMin. (vgl. Anm. 2) enthaltene Kostenberechnung für die Durchführung der Anträge von KPD und SPD. Sie gelangt zu dem Ergebnis, daß für die Anträge der KPD jährlich Mehraufwendungen von 975 bzw. 794 Mio RM, für den Antrag der SPD solche von 673 Mio RM erforderlich wären.

Die Prüfung der Möglichkeit einer Besoldungserhöhung habe zu einem negativen Ergebnis geführt. Auch bei den Ländern mache sich ein starker Widerstand gegen eine Besoldungserhöhung geltend. Einzelne Länder hätten deutlich zu erkennen gegeben, daß sie, im Falle das Reich eine Besoldungserhöhung vorzunehmen beabsichtige, gezwungen sein würden, an das Reich mit Forderungen heranzutreten. Die Reichsbahn könne keinesfalls an Besoldungserhöhung denken. Das einzige, was das Finanzministerium tun zu können glaube, sei eine Erhöhung der Unterstützungs- und Nothilfefonds in mäßigen Grenzen.

Der Reichskanzler erklärte, daß er den gestern erwähnten Plan der Gewährung einer einmaligen Wirtschaftsbeihilfe in Höhe von einem Viertelmonatsgehalt5[989] habe fallenlassen müssen, da, abgesehen davon, daß ein solches Vorgehen allen bisherigen Grundsätzen widerspreche, das Reichsfinanzministerium nicht in der Lage sei, Mittel hierfür zur Verfügung zu stellen.

5

Vorschlag StS Fischers in einer am Abend des 7. 12. abgehaltenen Chefbesprechung (Protokoll in R 43 I /2567 , Bl. 283).

Der Reichspostminister betonte, daß dieses Ergebnis zweifellos große Bedenken zu erwecken geeignet sei. Die Kriminalität besonders in den unteren Beamtengruppen sei stark im Ansteigen begriffen. Die durch die Presse und durch Äußerungen im Reichstag genährten Hoffnungen der Beamten würden damit mit einem Schlage vernichtet. Veilleicht könne man noch die Frage prüfen, ob nicht ein prozentualer Zuschlag zum Grundgehalt als einmalige Zulage gewährt werden könne.

Staatssekretär Fischer betonte, daß 1% Zuschlag zum Grundgehalt 55 Millionen bedeute. Er wolle auch nicht verfehlen darauf hinzuweisen, daß die Ausgaben für Erwerbslose in Reich, Ländern und Gemeinden einschließlich Reichsbahn, Reichspost sowie Kriegsbeschädigte etwa 8,4 Milliarden jährlich betragen.

Das Kabinett schloß sich den Ausführungen des Staatssekretärs Fischer an.

Der Reichskanzler wird in diesem Sinne noch heute mit den Parteiführern verhandeln6.

6

Über diese Verhandlungen in R 43 I nichts ermittelt. Zum Fortgang s. Dok. Nr. 248.

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