Text
[841] Nr. 268
Vermerk des Ministerialrats Feßler über Verhandlungen des Interfraktionellen Ausschusses der Regierungsparteien am 5. Juli 1927
Anwesend: von der DNVP: Graf Westarp, Thomsen, Stubbendorff, v. Goldacker, Lejeune-Jung; von der DVP: Scholz, Hamkens, Schneider, Ritter1, Hepp; vom Zentrum: Stegerwald, Perlitius, Blum; von der BVP: Leicht, Horlacher; später hinzugekommen: RK Marx, REM Schiele, RWiM Curtius, RArbM Brauns.
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Einen Reichstagsabg. der DVP namens Ritter gab es nicht. Vielleicht ist der Abg. Rießer gemeint.
[Zollvorlagen2.]
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Am 2.7.27 war dem RT der „Entwurf eines Gesetzes über Zolländerungen“ vorgelegt worden (siehe Dok. Nr. 264, Anm. 13). Am 4. 7. hatte im Plenum des RT die 1. Lesung des GesEntw. stattgefunden (RT-Bd. 393, S. 11206 ff.). Dabei hatte Hilferding (SPD) die vorgesehenen Zollerhöhungen für Kartoffeln und Schweinefleisch kritisiert und hervorgehoben, „daß das Schicksal dieser Vorlage ausschließlich beim Zentrum liegt“. Das Zentrum werde sich klar darüber sein, daß es mit der neuen Zollvorlage den christlichen Gewerkschaften zumute, „Konzessionen an die Großagrarier zu machen“ (RT-Bd. 393, S. 11213 ff.).
I.
Die Verhandlungen nahmen einen sehr lebhaften Verlauf, als Stegerwald erklärte, daß die Mehrzahl der Zentrumsabgeordneten einen Schweinefleischzoll von 28 M und nicht, wie die Regierungsvorlage vorsehe, von 32 M wünsche.
Graf Westarp erklärte, daß bei den maßgebenden interfraktionellen Besprechungen das Zentrum mit der Regierungsvorlage einverstanden gewesen sei, andernfalls hätte die erste Lesung im Reichstagsplenum verhindert werden müssen. Wenn das Zentrum auf seinem Standpunkt beharre, müsse die Koalition auseinanderfallen.
Er begab sich persönlich zum Reichskanzler und veranlaßte ihn sowie die benannten Kabinettsmitglieder zur Teilnahme an der Sitzung.
Der Reichskanzler bat dringend, es bei der Regierungsvorlage zu belassen und noch am Abend eine Entscheidung des Zentrums in diesem Sinne herbeizuführen.
Stegerwald wies darauf hin, daß die Verdoppelung des Kartoffelzolls3 und die Heraufsetzung des Zolles für Schweinefleisch nach der Stellungnahme Deutschlands auf der Weltwirtschaftskonferenz und der Reichsregierung zu ihren Beschlüssen sachlich nicht vertretbar sei. Lammers und ein wesentlicher Teil seiner Fraktion habe sich entschieden dagegen ausgesprochen.
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Erhöhung von 0,50 auf 1 RM je dz.
Wie der Reichskanzler führten auch Minister Schiele und Minister a. D. Scholz aus, daß, nachdem Preußen und die Demokraten der Schweinefleischzollerhöhung auf 32 M zugestimmt haben und diese Maßnahme wegen des bäuerlichen Kleinbesitzes im „Vorwärts“ gebilligt worden sei, die nachträgliche[842] Bestimmung eines niedrigeren Satzes eine außerordentliche Verwirrung anrichten würde. Mit endgültiger Beschlußfassung des Zentrums vor den Verhandlungen des 21. Ausschusses4 über die Zollvorlage ist zu rechnen5.
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Handelspolitischer Ausschuß des RT.
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In der Sitzung der Zentrumsfraktion am 7. 7. wurde festgestellt, daß die Fraktion den Beschlüssen des Handelspolitischen Ausschusses im Plenum des RT zustimmen werde (Morsey, Zentrumsprotokolle, Dok. Nr. 178). Der Handelspol. Ausschuß empfahl in seinem Bericht vom 7. 7. die Annahme des GesEntw. über Zolländerungen in der von der RReg. vorgelegten Fassung (RT-Bd. 417, Drucks. Nr. 3575). Bei der 3. Lesung am 9. 7. wurde der GesEntw. vom RT in namentlicher Abstimmung mit 251 gegen 161 Stimmen angenommen. Mit Ausnahme des Abg. Wirth stimmte das Zentrum ebenso wie die anderen Regierungsparteien für die Vorlage (RT-Bd. 393, S. 11479, 11491 ff.). Am 15.7.27 wurde das „Gesetz über Zolländerungen“ ausgefertigt (RGBl. I, S. 180).
II.
Weiter wurde über eine Resolution Fehr verhandelt, in der dieser allgemeine Maßnahmen zum Schutze der landwirtschaftlichen Erzeugung fordert und weiter für handelspolitischen Schutz der Gemüse-, Obst-, Käse- und Milchproduktion eintritt.
[…]
F[eßler] 6. 7.